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Nach der SicherheitskonferenzExpress­verbindung von München nach Paris

Macron lädt Chefs wichtiger europäischer Staaten gleich für Montag zum Krisengipfel in Paris. Europa sucht Vision für neue Verteidigung. Und Geld dafür.

Tipp für klamme Regierungschefs: Tickets für den TGV von München nach Paris gibt es im Supersparpreis schon ab 39,90 Euro Foto: Philippe Huguen/AFP/dpa

München taz | Es ist der Vertreter eines kleinen Staates, der am Sonntag die aktuelle Stimmung in der EU auf den Punkt bringt. „Ich weiß nicht, was in Paris besprochen werden soll“, sagte der Ministerpräsident von Luxemburg, Luc Frieden, am Sonntag auf der Sicherheitskonferenz in München. Am Montag sollen in Frankreich einige der Staats- und Regierungschefs der EU zusammenkommen, um über das weitere Vorgehen gegenüber der Ukraine zu beraten. Luxemburgs christdemokratischer Premier sagte, dass es wichtig sei, „eine gemeinsame Vision zu haben“.

Wie diese Vision aussehen soll, wer daran mitarbeitet und wie sie gegenüber den USA vertreten werden kann, versucht die EU nun im Eiltempo zu klären. Laut französischer Regierung sollten Großbritannien, Deutschland, Polen, Italien, Spanien und Dänemark an dem Treffen in Paris teilnehmen. Große Einigkeit bestand zunächst zumindest in der Rhetorik: Fast wortgleich beschworen EU-Diplomat*innen und Po­li­ti­ke­r*in­nen auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Stärke und Einigkeit Europas, nun an einem Strang zu ziehen.

„Innerhalb von 24 Stunden haben meine europäischen Kollegen einen Sinneswandel durchlebt. Weg von der Illusion, dass die USA Europa verteidigen, hin dazu, dass wir uns selbst mit der Hilfe der USA verteidigen müssen“, sagt die litauische Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė am Samstagabend in München.

Verunsicherung und Besorgnis

Die US-Delegation um Vizepräsident JD Vance, Außenminister Marco Rubio und dem Sonderbeauftragten für die Ukraine, Keith Kellogg, haben mit ihren Aussagen auf der Münchener Sicherheitskonferenz nicht nur unter Europäern und anderen Nato-Verbündeten für viel Verunsicherung und Besorgnis gesorgt.

Vor allem die bisher unterbreiteten Vorschläge über ein Ende des Kriegs in der Ukraine treffen auch unter amerikanischen Kongressabgeordneten auf viel Skepsis. In den öffentlichen Auftritten und Hintergrundgesprächen wurde dies über die vergangenen Tage deutlich.

Der republikanische Senator Lindsey Graham erklärte, dass die westlichen Länder „bescheuert“ wären, sollten sie die Waffenlieferungen a die Ukraine nicht deutlich erhöhen. Die demokratischen Senatoren und Abgeordneten, die ebenfalls in München dabei waren, sind ähnlicher Meinung und fanden deutliche Worte für das Vorgehen der Trump-Regierung während der vergangenen Woche. Zwei US-Senatoren, mit denen die taz gesprochen hatte, bezeichneten ihre Gespräche als „Schadensbegrenzung.“

Auch die kanadische Außenministerin Melanie Joly bestätigte, dass Rubio und andere US-Vertreter in Gesprächen klargemacht hätten, dass die USA weiterhin zur Nato und zur Ukraine stehen würden. Trotzdem ist die Unberechenbarkeit der Trump-Regierung ein Anlass, die Zusammenarbeit mit Europäern weiter auszubauen, erklärte sie.

USA verschickt Fragebogen

Die Angst, vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, die wächst und wurde bei der Konferenz auch von den USA genährt. Der Ukraine-Beauftragte der USA, Keith Kellogg, sah die europäischen Partner zwar nicht am Verhandlungstisch. Unterdessen berichtete die Financial Times aber, bereits in der vorherigen Woche habe die US-Regierung eine Art Fragebogen an die europäischen Regierungen geschickt. Darin sollen die Bündnispartner auflisten, welche Waffensysteme sie der Ukraine nach einem Friedensschluss liefern, welche Friedenstruppen sie zur Verfügung stellen und welche Sicherheitsgarantien sie abgeben könnten. Doch was kann Europa finanziell stemmen?

Der britische Außenminister David Lammy schwor die europäischen Staaten auf höhere Verteidigungsausgaben ein. „Putin wird nicht gehen, daher müssen wir stärker investieren.“ Großbritannien sei bereit, 2,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung bereitzustellen, und hoffe, dass die EU ihren Anteil auch erhöhe. „Wir investieren lediglich europaweit 0,01 Prozent unserer Wirtschaftsleistung für den Krieg in der Ukraine.“ Mehr müsse möglich sein, forderte er. Dass die 27 EU-Mitglieder eine gemeinsame Linie finden, ist eine Herausforderung.

Das Problem: Verteidigung ist auf nationalstaatlicher Ebene geregelt. Zwar will die EU einen eigenen Verteidigungsfonds auflegen, doch wie dieser finanziert werden soll, ist unklar. Auch die Zuständigkeit ist umstritten. Dazu kommt, dass in vielen EU-Ländern das Geld für mehr Verteidigung fehlt. „Wir sprechen seit Jahrzehnten über europäische Verteidigung, doch unsere finanziellen Ressourcen sind begrenzt“, betonte der polnische Außenminister Radosław Sikorski. Dabei müsse Europa sich neu aufstellen. „Unsere Unterstützung wird nicht in Worten, sondern in Geld und Waffenlieferungen gemessen“, sagte er.

Verschuldung über Eurobonds?

Neben der Möglichkeit, dass die Länder mehr aus ihren Haushaltsbudgets für Verteidigung ausgeben, gäbe es auch weitere Finanzierungsmöglichkeiten, wie Eurobonds. Doch neue Gemeinschaftsschulden sind für viele Mitgliedstaaten keine Option – allen voran Deutschland. Die Bundesregierung beharrt darauf, dass die EU-Schulden im Rahmen der Coronapandemie eine Ausnahme bleiben sollen.

Eine weitere Möglichkeit, die Sikorski ansprach, waren Gelder aus eingefrorenen russischen Zentralbankreserven. Die 200 Milliarden Euro werfen jährlich mehrere Milliarden Euro an Anlage- und Zinsgewinnen ab. Geld, das in die European Peace Facility fließen soll. Daraus werden bereits Waffenlieferungen für die Ukraine finanziert. Ungarn blockiere jedoch diesen Finanzierungsweg, „vielleicht kann General Kellogg es überzeugen“, hofft Sikorski in München.

Doch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen machte bei ihrer Eröffnungsrede in München deutlich, dass Brüssel den Mitgliedstaaten bei der Frage der Finanzierung von Rüstungsprojekten gerne die Sorgen nehmen würde. Die CDU-Politikerin brachte ins Spiel, Verteidigungsausgaben von den europäischen Schuldenregeln auszunehmen. Auch Deutschland als traditioneller Verfechter einer strengen Fiskalpolitik steht hinter diesem Kurs. Olaf Scholz (SPD) schlug in seiner Rede vor, bei Verteidigungsausgaben „Ausnahmen beim Stabilitätsmechanismus einzuführen“.

In Deutschland wird dabei immer klarer, dass nach den Bundestagswahlen die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form keine Zukunft hat. So gab auch CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz auf der Sicherheitskonferenz unumwunden zu, dass unklar sei, woher er das Geld nehmen wolle, wenn er über eine deutliche Steigerung des deutschen Verteidigungsbudgets jenseits der zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt spreche. „Die Frage ist noch offen. Ich bin offen über Diskussionen über Ressourcen“, so der Unionschef.

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10 Kommentare

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  • Mir fällt auf, dass ihr häufig kreative und lesenswerte Bildunterschriften habt - so wie bei diesem Artikel hier.

    Danke dafür!

  • Europa steht im Überlebenskampf gegen den russischen Faschismus, den amerikanischen Imperialismus und das Neoimperiale China. Die Rücksichten gegenüber dem "Freund" in Washington und den russischen U-Booten wie Ungarn in der EU müssen über Bord! Es sollte sich eine Allianz der Willigen ( FR,GB,Finnland, Norwegen, Schweden, Dänemark, Deutschland, Niederlande..) formieren, eine europäische Armee samt nuklearer Komponente geschaffen werden und ein gemeinsames Oberkommando, einen europäischen Geheimdienst, ein zentrales Rüstungsamt. Die Wirtschaft ist auf Kriegsproduktion umzustellen, Waffenkäufe in Trumpmuskovia formerly known as USA zu streichen. Finanziert werden sollte das Ganze aus: Beschlagnahmen russischer Vermögen, Strafzahlungen der Internetoligarchen und Einbehaltung der EU -Subventionen für die Einflussagenten des russischen Faschismus in Europa ( Orban und Co). Die Herren Trump und Putin wollen die regellose Welt?Geben wir sie Ihnen! Mal sehen, wie es den Trumpmuskovia - Fans gefällt,wenn die Rüstungsmilliarden,die zwangsläufig notwendig werden,nur noch in Europa ausgegeben werden.Machen wir uns jetzt nicht gerade,können wir uns von Demokratie, Rechtsstaat usw verabschieden

    • @Schytomyr Shiba:

      Guter Aufschlag, hat mich zum Schmunzeln gebracht und an "Die glorreichen Sieben" (oder 9, oder 11, oder...?) denken lassen. Auch wenn der Kern genauso nationalstaatlich ist wie bei allen Anderen.

      Abgesehen von meinem Störgefühl bei "auf Kriegswirtschaft umstellen"; Sie schreiben am Ende "... können wir uns von Demokratie, Rechtsstaat usw verabschieden."



      Müssten wir das nicht beim Umsetzen Ihres Vorschlags auch bereits unterwegs tun? Gibt es förderliche und hinderliche Rechtsstaatlichkeit?

    • @Schytomyr Shiba:

      Aufrüsten hin oder her, die EU (und davon ja nicht einmal alle Staaten, siehe z.B. Ungarn) können sich noch so zusammenraufen, für eine Begegnung auf Augenhöhe mit den drei Großen wird es kaum reichen. Damit will ich nicht gegen die Aufrüstung sprechen, sondern eher für einen realistischen Blick, was damit überhaupt erreicht werden kann.



      Ich sehe es als schwer vermeidbar an, mit allen drei immer wieder gewisse themenbezogene Zweckbündnisse einzugehen. Speziell mit China ist die wirtschaftliche Verflechtung nicht von der Hand zu weisen. Wirtschaftliche Entflechtungen ("Friendshoring", "Derisking" etc.) werden, sofern überhaupt machbar, erst in mehreren Jahren wirksam.

  • Eine Zwangslage für Europa zwischen sehr unangenehmen Alternativen und bei nicht wirklich berechenbaren / verlässlichen Führern von Atommächten mit wenig Hang zur Konsensfindung, weiterhin mit zudem veritabler, erkennbar erprobter Beratungsresistenz.



    Das wird eine echte Nagelprobe für die Allianz der europäischen Ukraine-Unterstützer.



    Auf die Beschlüsse aus Paris darf man gespannt sein.

  • Eines kann ich versichern: Wenn im Dienste der "schwarzen Null" nur wieder Arme, Kranke und Rentner die Zeche für die fraglos notwendige Aufrüstung zahlen müssen - dann haben wir 2029 eine AFD/BSW - Regierung und Deutschland wird ein Proxy des russischen Faschismus!

    • @Schytomyr Shiba:

      Das Traurige daran ist m.M.n., dass auch ohne "schwarze Null" es mehrheitlich zu Lasten von Armen, Kranken und Rentner gehen wird. Und insbesondere Rentnerinnen/Rentner wird es ab ca. 2030 viele geben.

      Ich sehe das einfach nicht kommen, dass eine von der Merz'schen AfD... pardon, von der "CDU/CSU" geführte Bundesregierung die schwarze Null abschafft und dann überall gute ausgestattete Schulen, Kliniken oder Brücken entstehen oder gar die immer mehr werdenden Milliardäre zur Kasse bittet.



      Viel eher sehe ein Zurückdrängen an Löhnen, Streikrecht, Bürgergeld usw. aufkommen, damit es die Lohnabhängigen es ja nicht zu gehen lassen sollen. Armut oder Krankheit wird dann einfach als "selber schuld" definiert.

  • Ich verstehe ehrlich gesagt nicht ganz warum das jetzt so ein Schock ist, dass die USA unter Trump, oder allgemeiner, unter den Republikanern kein Interesse daran haben sich um Europa wie Babysitter zu kümmern. Das war schon während Trumps ersten Präsidentschaft offensichtlich, und spätestens letzten Sommer sollten die Chefstrategen und Außenpolitiker*innen Pläne für eine Wahl Trumps und deren Folgen vorbereitet haben? Warum wurde das nicht getan? Wofür werden diese Menschen bezahlt? Warum jetzt diese Schockstarre?

    Ich verstehe das nicht. Tun die alle nur so oder sind die Bürokraten in Brüssel wirklich dermaßen inkompetent?

    • @Okti:

      Sie sind Gastwirt und bekommen die Information, dass ein Reisebus ankommt mit 60 Gästen. Alle sollen ein Mittagsessen bekommen uns einen Kaffee.



      Kurz vor 12 erhalten Sie die Ansage, der Bus hält nicht bei Ihnen, die Gäste steigen nicht aus und kommen auch später nicht?



      Lösungsvsorschlag bei untreuen Vertragspartnern?



      Wenn ich das Wort Babysitter lese, erkenne ich, dass Sie kein Freund von Verträgen sind. Muss man nicht sein. Aber geschlossene Verträge sind einzuhalten!



      Gut, jetzt werden sich zwei unterhalten, die sich ungern an "gewachsene" humanistische Regeln halten wollen.



      Bin gespannt, ob der große wachsende Riese China da mitreden wird. Denn auf sein Wachstum haben die Verträge durchaus Auswirkungen.



      Wenn Trump und Putin Europa schwächen, wird China sei Planung nicht realisieren können. Indien ist kein Ersatz!

    • @Okti:

      Naja, bisher sah es so aus, als würde es reichen die Verteidigungsausgaben zu erhöhen und da hätte dann die Rüstungsindustrie unwillentlich dabei mitgeholfen Trump am langen Arm verhungern zu lassen. Man hätte die Rüstungsausgaben nur so weit erhöhen können wie die Industrie auch Kapazitäten aufbauen kann, also innert 4 Jahren sicher nicht bis 4% BIP...

      Jetzt redet Trump aber in die Innenpolitik in europäischen Staaten rein und macht das zu seiner zusätzlichen Forderung für den militärischen Beistand. Diese Forderungen mit der Verteidigung verknüpft... das ist dann doch komplett neu...