Nach den Wahlen ist vor den Wahlen: „Es geht um die Wurst“
In der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung ist der Server mehrfach zusammengebrochen. Leiterin Martina Weyrauch kennt die Gründe.
taz: Frau Weyrauch, welche Folgen könnte der Ausgang der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen auf die in drei Wochen stattfindenden Wahlen in Brandenburg haben?
Martina Weyrauch: Wir haben seit geraumer Zeit einen großen Zugriff auf unsere Seiten, auf der wir überparteilich über die Wahlprogramme aller Parteien und den Ablauf der Wahlen informieren. Aber seit Sonntagabend ist der Server mehrfach zusammengebrochen, so groß ist der Zugriff. Das hat es zuvor noch nie gegeben.
taz: Wie deuten Sie dieses plötzliche Interesse?
Weyrauch: Den Bürgerinnen und Bürgern ist offenbar noch klarer geworden: Am 22. September geht es in Brandenburg um die Wurst. Bevor sie ihr Kreuz auf dem Wahlzettel machen, wollen sie sich noch mal informieren und in sich gehen: Bin ich wirklich mit den Inhalten der Partei einverstanden oder lasse ich mich vielleicht von einem Gefühl tragen, das verheerende Folgen haben könnte.
taz: Gibt es noch andere Gründe, warum Brandenburger schon gefasste Wahlentscheidungen überdenken und revidieren könnten?
Weyrauch: Die Menschen werden sehr genau verfolgen, was in den nächsten drei Wochen in Thüringen und Sachsen mit Blick auf Koalitionsverhandlungen geschieht. Ob sich bestimmte Parteien entkleiden, weil bundespolitische Anliegen nicht auf Landesebene abgehandelt werden können. Ob die Parteien in der Lage sind, alle Listenplätze zu besetzen. Das ist ja eine Erfahrung aus den jüngsten Kommunalwahlen in Brandenburg, wo die AFD immer noch nicht alle Mandate besetzen konnte.
taz: Noch ein Wort zu den Jungwählern: In Thüringen setzten laut Forschungsgruppe Wahlen 36 Prozent der Menschen zwischen 18 und 29 ihr Kreuz bei der AfD, in Sachsen 30 Prozent. Was kommt da in Brandenburg auf uns zu?
Weyrauch: Es ist ein Mythos, dass junge Leute immer links wählen. Die Zeit der Pandemie hatte auf die Jugendlichen eine verheerende Wirkung. Sie waren auf sich zurückgeworfen und auf die sozialen Netzwerke. Persönliche Kommunikation ist bei der politischen Willensbildung und auch sonst im Leben aber das A und O. Viele junge Menschen versammeln sich bei Tiktok, was die AfD frühzeitig für sich zu nutzen wusste. Andere Parteien sind inzwischen auch bei Tiktok. Interessant ist in diesem Punkt aber eine neue Studie der Uni Potsdam. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass die Jugendlichen beim Surfen überdurchschnittlich viel mit AfD-Werbung konfrontiert werden, auch wenn sie gar keine Seiten der AfD aufgerufen haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Die Brennelementefabrik und Rosatom
Soll Lingen Außenstelle von Moskaus Atomindustrie werden?