Nach den Protesten in Bahrain: "Ich erkenne mein Land nicht wieder"
Seit der Niederschlagung der Proteste sind viele Oppositionelle einfach "verschwunden". Es gilt das Notstandsrecht. Sunniten befürchten eine "Theokratie à la Iran".
MANAMA taz | Der gläubige Schiit Abdul Rasul Hujairi war ein frommer Mann. Wann immer es die Arbeit zuließ, ging er in seinem Heimatort Buri in die Moschee. So auch am vorigen Samstagnachmittag gegen halb vier. Es war das letzte Mal, dass ihn seine Frau Kafia Mubarak lebend sah. "Als er um neun Uhr immer noch nicht zu Hause war, habe ich ihn zweimal angerufen", sagt sie. Das erste Gespräch dauerte nur kurz. "Beim zweiten Mal legte er einfach auf." Einen Tag später war Hujairi tot.
Dutzende Personen sind verschwunden seit voriger Woche, als das Symbol der Protestbewegung, der Perlenplatz in der Hauptstadt Manama, gewaltsam geräumt wurde. Die schiitische Wifak-Partei, die bei der letzten Parlamentswahl im Oktober 18 von 40 Mandaten holte, hat eine Liste mit den Namen von 95 Vermissten zusammengestellt. Zumindest einige der Vermissten befinden sich offenbar in den Händen des Staats.
Ausländische Mediziner bestätigten Angaben von Angehörigen, dass Soldaten Verwundete aus Spitälern abtransportiert haben. Eine Regierungssprecherin hat mittlerweile eingeräumt, dass gegen 22 Patienten, die in das Salmaniya-Spital eingeliefert wurden, Ermittlungen laufen. Zwölf Patienten wurden laut der Sprecherin ins Militärhospital verlegt.
"Königstreue Sunniten haben ihn zu Tode geprügelt"
Was in den Stunden zwischen dem Verschwinden von Hujairi und dem Auffinden seiner Leiche geschah, ist ebenso unklar wie die genauen Todesumstände. Nach dem Gebet habe ihn ein Bekannter gebeten, seinen Satellitenreceiver zu reparieren, sagt ein Cousin von Hujairi. Daraufhin sei dieser in das wenige Kilometer entfernte Awali gefahren. Dort verliert sich seine Spur. Seine Brüder schalteten die Polizei ein und suchten die Gegend ab - ohne Erfolg. Am Sonntag entdeckte ein Passant die Leiche des 38-Jährigen auf einem Fußweg außerhalb von Awali. Das Innenministerium hat eine Untersuchung angeordnet. Doch für die Familie stehen die Täter fest: Königstreue Sunniten "haben ihn zu Tode geprügelt", so ein Bruder.
Oberflächlich ist in Bahrain seit den Unruhen der vergangenen Wochen wieder Ruhe eingekehrt. "Friedshofsruhe", nennt es ein ausländischer Beobachter. Es gilt das Notstandsrecht, an wichtigen Kreuzungen stehen Panzerwagen. Besonders in der Nacht, wenn in Teilen des Landes eine Ausgangssperre gilt, gehen die Sicherheitskräfte weiter mit harter Hand gegen die Opposition vor. Regierungsgegner berichten von Razzien, Festnahmen und Drohanrufen. Schiitische Pfleger sagen, sie trauten sich nicht mehr zum Dienst, seitdem Sicherheitskräfte das Salmaniya-Spital, die größte Klinik im Land, kontrollieren.
Auf sunnitischer Seite sind die Vorwürfe gegen die Schiiten nicht weniger schwer. Ein sunnitischer Arzt sagt, die Regierungsgegner hätten am Salmaniya-Spital sunnitischen Patienten die Behandlung verweigert. "Die Regierung musste dem Spuk ein Ende bereiten", sagt der Arzt. Gerüchte von Überfällen auf Sunniten machen die Runde. Staatliche Medien sind voll von Berichten über schiitische Banden, die angeblich Arbeiter aus Südasien krankenhausreif schlugen, einen Polizisten zu Tode fuhren und einen Taxifahrer umbrachten.
Theokratie à la Iran?
Was Mitte Februar als friedlicher Protest einer demokratiehungrigen Jugendbewegung begann, hat mittlerweile einen tiefen Graben zwischen Schiiten und Sunniten gerissen. Langjährige Freundschaften zerbrechen, Geschäftsbeziehungen leiden, keiner traut mehr der anderen Seite. Die Stimmung ist aufgeheizt.
"Ich erkenne mein Land nicht wieder", sagt ein sunnitischer Geschäftsmann, der anonym bleiben möchte. "Wir hatten schon etliche schiitische Rebellionen. Aber nie war das friedliche Zusammenleben gefährdet." Wie viele Sunniten ist er der Meinung, dass die Jugendbewegung den Bogen mit den Rufen nach Abschaffung der sunnitischen Monarchie überspannt hat. "Wir brauchen Reformen, das ist keine Frage", sagt er. "Aber diese Leute wollen eine Theokratie wie in Iran." Der König habe deshalb keine andere Wahl gehabt, als das Militär einzusetzen.
Viele Sunniten malen den Teufel einer Knechtschaft unter iranischen Ajatollahs an die Wand. In europäischen Diplomatenkreisen hält man die Vorwürfe für überzogen. Tatsächlich geht es den meisten Schiiten, die in dem kleinen Inselstaat die Mehrheit bilden, es aber nicht in die oberen Ränge der Sicherheitskräfte oder an die Schaltstellen der Macht schaffen, um ein Ende der Diskriminierung. Sie fordern eine konstitutionelle Monarchie nach dem Vorbild Großbritanniens. Die harte Haltung des Herrscherhauses hat jedoch jenen Auftrieb gegeben, die ein Ende der Monarchie fordern.
In Diplomatenkreisen hofft man, dass sich die Gemüter beruhigen und beide Seiten einen Ausweg finden. Doch danach sieht es gerade nicht aus. Die gemäßigte Opposition lehnt Gespräche im Angesicht von Gewehrläufen und den Truppen aus den Nachbarländern ab.
Mindestens 20 Opfer hat der Konflikt auf beiden Seiten seit Mitte Februar bereits gefordert. Derweil unterlaufen die Schiiten das geltende Versammlungsverbot, indem sie Begräbnisse zu Protestkundgebungen verwandeln. "Sie wollen Bahrain in ein zweites Kerbela verwandeln", sagt der Bruder des getöteten Hujairi. "Das werden wir nicht zulassen." Die Schlacht von Kerbela im Jahr 680, als Imam Hussein einer sunnitischen Übermacht unterlag, ist für die Schiiten der Inbegriff sunnitischer Unterdrückung. Aber auch Symbol für das Recht und die Pflicht zur Rebellion.
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