Nach dem Sturm aufs Kapitol: Rauswurf im Eilverfahren?
Fast 190 Demokraten sprechen sich für ein erneutes Impeachmentverfahren gegen Donald Trump aus. Dieser bliebe aber trotzdem bis zum Ende im Amt.
Trump wird vorgeworfen, mit seinen Tweets und seiner Rede vor den versammelten Demonstrierenden am vergangenen Mittwoch direkt zum Sturm auf das Parlamentsgebäude aufgerufen zu haben, der fünf Menschen das Leben kostete und die Sitzung zur Bestätigung von Bidens Wahlsieg über Stunden unterbrach. „Wir können es nicht bei ernst formulierten Presseerklärungen belassen. Wenn Trump nicht zurücktritt, muss der Kongress ihn verurteilen, um ihn zur Verantwortung zu ziehen“, sagte Lieu der New York Times. Trump würde damit zum ersten Präsidenten der US-Geschichte, gegen den der Kongress gleich zweimal Anklage erhebt.
Allerdings würde ein Impeachmentverfahren nicht verhindern, dass er bis zum festgelegten Ende seiner Amtszeit am 20. Januar um 12 Uhr Washingtoner Ortszeit mit allen Machtbefugnissen im Amt bleibt.
Im Repräsentantenhaus würde die einfache Mehrheit der demokratischen Abgeordneten genügen, um die Anklage zu verabschieden. Und das könnte schnell gehen: „Nachdem er seine Anhänger mit Lügen über den Wahlausgang in einen Rausch versetzt hat, stachelte der Präsident einen Aufstand an, und das in aller Öffentlichkeit“, sagt Norm Eisen, juristischer Architekt des ersten Impeachmentverfahrens, dem Magazin Politico. „Was braucht man mehr?“
Einen Tag vor Bidens Amtseinführung
Deshalb wäre es durchaus möglich, dass das Repräsentantenhaus im Eilverfahren über die Anklage abstimmt und nicht erst nach langen Zeugenanhörungen wie im Jahr 2019 wegen der Ukraine-Affäre.
Selbst dann aber würde der Senat, der letztlich in einer Art Gerichtsverfahren über die Anklage entscheiden muss und in dem es eine Zweidrittelmehrheit bräuchte, um Trump des Amtes zu entheben, sich frühestens am 19. Januar erstmals damit befassen – einen Tag vor Bidens Amtseinführung.
Verhandeln muss er aber auch dann, wenn Trump nicht mehr im Amt ist. In dem unwahrscheinlichen Fall einer Verurteilung bliebe das für Trump nicht folgenlos: Ihm wäre dann untersagt, noch einmal für ein öffentliches Amt zu kandidieren.
Den ganzen Samstag über, berichten US-Medien, habe Nancy Pelosi, die demokratische Chefin des Repräsentantenhauses, Gespräche über das weitere Vorgehen geführt. In einem Brief an die demokratische Fraktion äußerte sie sich nicht eindeutig darüber, ob sie das Verfahren tatsächlich in Gang setzen wolle, forderte aber die Abgeordneten auf, sich bereitzuhalten, um nach Washington zurückzukehren. „Es muss festgehalten werden, dass diese Schändung [des Parlamentsgebäudes] vom Präsidenten angestiftet wurde“, schrieb sie.
Politischer Ausweg für Nancy Pelosi
Abwägen muss sie allerdings weit mehr. Der kommende Präsident Joe Biden, der zudem immer wieder bekräftigt, das Land einen zu wollen, braucht in den nächsten Monaten einen Senat, der mit Volldampf daran arbeitet, seine Nominierten für Regierungsposten zu bestätigen und an neuen Gesetzen zu arbeiten. Ein Senat aber, der sich wochenlang mit Trump beschäftigen würde – und dann auch noch Fragen wie die strafrechtliche Verantwortung von Demonstrationsveranstalter*innen für von Teilnehmer*innen ausgehende Gewalt zu verhandeln hätte – kann nicht im Interesse des geplanten Neuanfangs liegen.
Mehrere jener republikanischen Abgeordneten, die am Mittwoch für die Bestätigung von Bidens Wahlsieg votierten, haben sich mit der Bitte an Biden gewandt, Pelosi von der Einleitung eines neuen Impeachmentverfahrens abzubringen. Biden selbst hielt sich dazu bedeckt – er werde diese Entscheidung dem Kongress überlassen, hieß es lediglich.
Von republikanischer Seite hat die Idee des neuen Impeachmentverfahrens bislang kaum öffentliche Unterstützung erfahren. Auch diejenigen, die seit Mittwoch ihre Abneigung gegen Trump neu entdeckt haben, hielten sich zurück – auch wenn davon auszugehen ist, dass viele von ihnen fürchten, was Trump in seinen verbleibenden Tagen im Amt noch alles anstellen könnte.
Pelosi hatte bereits Ende vergangener Woche nicht nur versucht, Vizepräsident Mike Pence dazu zu bringen, gemeinsam mit dem Kabinett eine schnelle Absetzung Trumps durch Anwendung des 25. Verfassungszusatzes in Gang zu setzen – was Pence ablehnte. Sie versuchte auch, mit dem Generalstab darüber zu sprechen, Trump die Befugnisse zu entziehen, die er als Oberbefehlshaber laut Verfassung noch bis 11.59 Uhr am 20. Januar hat, insbesondere die Verfügung über die Atomwaffencodes. Dafür allerdings sieht die Verfassung kein Verfahren vor, solange ein Präsident im Amt ist.
Ein politischer Ausweg für Pelosi könnte es sein, zwar in der kommenden Woche im Repräsentantenhaus über die Anklage abstimmen zu lassen – sie dann aber vorerst nicht an den Senat zu übermitteln. Das politische Statement wäre abgegeben, aber die Beschäftigung mit Trump stünde einem guten Start der Biden-Regierung nicht im Wege.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül