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„Nach acht geht kein Vietnamese mehr raus“

VietnamesInnen trafen sich in Ost-Berlin/ Erstmals formiert sich Widerstand gegen Übergriffe von Skinheads  ■ Aus Berlin Andrea Böhm

Möglicherweise sei das ja rechtswidrig, sagt der Mann und dreht verlegen das Mikrofon in seinen Händen hin und her, aber, bitteschön, was sollen sie denn machen. Fast jeden Abend lungern die Skinheads an der Bushaltestelle herum, wo seine vietnamesischen Landsleute aussteigen müssen. Letzte Woche hat seine Frau wieder einen Kollegen mit Kopfplatzwunde, zerschlagenem Gesicht und drei gebrochenen Fingern ins Krankenhaus gebracht. „Und die Polizei kommt immer erst, wenn alles vorbei ist. Also müssen wir uns doch selber schützen.“ Jetzt laufen sie Streife im Ostberliner Wohnheim. Nicht, daß irgendeiner von ihnen Streit sucht. „Nach acht Uhr“, sagt eine junge Vietnamesin, „geht von uns sowieso keiner mehr auf die Straße.“ Aber die KollegInnen von der Spätschicht will man wenigstens sicher nach Hause bringen.

Betroffene Gesichter bei den anwesenden Deutschen, die sich am Samstag zusammen mit rund 60 Vietnamesen in Berlin-Weißensee versammelt hatten. Eingeladen hatte das Komitee Cap Anamur und die Ausländerbeauftragte des Ostberliner Magistrats, Anetta Kahane. Thema war die Situation der vietnamesischen VertragsarbeiterInnen in der ehemaligen DDR, deren erzwungener Exodus zurück nach Vietnam seit Monaten forciert wird.

Von den ursprünglich 53.000 VietnamesInnen, die aufgrund bilateraler Regierungsverträge zwischen Hanoi und Ost-Berlin in die DDR-Betriebe geholt wurden, sind nach Schätzung der ehemaligen Ausländerbeauftragten des Ministerrates, Almuth Berger, noch rund 35.000 im Land. Fast täglich starten Maschinen vom Ostberliner Flughafen Schönefeld Richtung Hanoi. Daß sie selbst bald in einem der Flugzeuge Platz nehmen müssen, war den meisten der Versammelten klar. Gerüchte und Halbinformationen kursieren darüber, was die HeimkehrerInnen bei der Ankunft erwartet. Von „Säuberungslagern“ wollten einige gehört haben. Schließlich sind sie Augenzeugen des Sturzes eines ehemaligen Bruderregimes geworden und somit mit der „polnischen Krankheit“ behaftet — Synonym der vietnamesischen Presse für die politischen Reformen in Osteuropa. Internierungslager für HeimkehrerInnen gebe es nicht, versicherte Rupert Neudeck vom Komitee Cap Anamur den Anwesenden, doch die Regierung in Hanoi habe zweifellos Angst, daß die ehemaligen VertragsarbeitenInnen Unruhe ins Land bringen könnten. „Außerdem will Vietnam natürlich, daß die Leute in der DDR bleiben, weil es für 99 Prozent der Rückkehrer keine Arbeit gibt.“

In der ehemaligen DDR versucht man indes, mit einer Mischung aus Fußtritten und Zuckerbrot die ehemaligen ArbeitskollegInnen loszuwerden. Um zu retten, was noch zu retten war, hatte die damalige Ausländerbeauftragte des DDR-Ministerrates mit den Regierungen in Angola, Mozambique und Vietnam neue Verträge ausgehandelt: Ausländische VertragsarbeiterInnen, die vorzeitig entlassen werden und freiwillig nach Hause wollen, müssen demnach eine einmalige Abfindung von 3.000 Mark, sowie über einen Zeitraum von drei Monaten 70 Prozent ihres Nettoverdienstes ausgezahlt bekommen — außerdem muß der Betrieb für das Flugticket aufkommen. Wer nach seiner Entlassung nicht „freiwillig“ zurückkehren will, darf offiziell zwar bleiben, erhält aber keine Entschädigung. Arbeit und Wohnung muß er sich selbst suchen, „und das ist fast unmöglich“, sagt Ha, eine 35jähriger Dolmetscherin. Sie lebt mit Mann und ihrer zehnjährigen Tochter auf 15 Quadratmeter im Wohnheim. Seit die Unterbringung nicht mehr staatlich subventioniert wird, zahlen die drei pro Bett 230 Mark im Monat. Damit nicht genug, hat sich nun auch noch die vietnamesische Botschaft, lange Zeit unter den VietnamesInnen gefürchtetes Kontrollorgan, gemeldet: Wer nach seiner Kündigung einen neuen Arbeitsplatz finde, so heißt es in einem Botschaftsschreiben, der sei weiterhin verpflichtet 12 Prozent seines Lohnes an die vietnamesische Regierung zu überweisen. „Andernfalls drohen sie uns mit Ärger für die Familien zu Hause“.

Mit effektivem Rat und Unterstützung taten sich die anwesenden Deutschen schwer. Zu wenig wissen viele Vietnamesen über ihre Rechte. Erste Rechtshilfeberatungen werden aufgebaut. Gegen die tägliche Bedrohung durch Skinheads und Neonazis gestand auch die ehemalige DDR- Ausländerbeauftragte ihre Hilflosigkeit ein: „Alles genau aufschreiben und an mein Büro schicken.“

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