Nach Ypsilantis Rot-Grün-Rot-Bekundung: SPD ringt um Entschlossenheit
Während die SPD-Linke Ypsilantis Minderheitsregierungspläne mit gebremsten Optimismus aufnimmt, versinkt die SPD und ihr Chef Beck im Umfrage-Loch.
Kein kritisches Wort, nirgends. Am Tag nach Andrea Ypsilantis Willensbekundung für eine rot-grüne Minderheitsregierung in Hessen, toleriert von der Linkspartei, ist der linke Flügel in der Bundes-SPD um Geschlossenheit bemüht. "Die hessische SPD kann mit Rückendeckung von der Bundespartei rechnen", versichert der Parteivorständler Niels Annen. "In einem Dilemma von Versprechen und Verantwortung hat Andrea Ypsilanti sich für die Inhalte entschieden", sagt der Abgeordnete Ernst-Dieter Rossmann. Begeisterung klingt anders.
"Andrea Ypsilanti hat unsere volle Unterstützung", sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Lauterbach gilt neben der Parteivizechefin Andrea Nahles und dem SPD-Vorstandsmitglied Björn Böhning als einer der Wortführer innerhalb der SPD-Linken. Und der Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer, der zu den engen Beratern Ypsilantis zählt und Superminister in ihrer rot-grünen Minderheitsregierung werden soll, lobt: " Nur politische Defensivkünstler kommen nie dazu, sich zu bewegen."
Was sollen sie auch sagen? Zugeben, dass der jetzt eingeschlagene hessische Weg - gegründet auf Wortbruch, knappen Mehrheitsverhältnissen und Heckenschützen womöglich selbst in den eigenen Reihen - "eine hochriskante Veranstaltung" bleibt, wie einer warnt? Dazu beitragen, dass der Richtungsstreit, die Debatte über die Eignung des Parteivorsitzenden Beck sich verschärfen und damit die Demontage der eigenen Partei vorantreiben? Das tun schon die SPD-Rechten, die CDU, die FDP - und die Wähler: Nur noch auf 24 Prozent käme die SPD laut einer Forsa-Umfrage, wäre am nächsten Sonntag Bundestagswahl. Die persönlichen Werte für den Parteichef sind noch desaströser (siehe unten); scheitert Beck, scheitern aber auch die Hoffnungen der SPD-Linken auf einen weiteren Linksschwenk innerhalb der Partei.
Also schweigen viele SPD-Linke ihren Missmut über Ypsilantis rot-grün-rotes "Himmelfahrtskommando", von dem sie ihr bis zuletzt abrieten, lieber weg. Ihre Sorge freilich schien nicht so sehr auf das Schicksal der hessischen SPD-Spitzenfrau gerichtet, die bei einem etwaigen Scheitern vor dem politischen Aus stünde.
Manchem in der linken Bundes-SPD ging es um Größeres: Platze Rot-Grün-Rot in Hessen, dann sei zum einen der Parteivorsitzende Beck so stark beschädigt, dass 2009 als Kanzlerkandidat womöglich der Außenminister Frank-Walter Steinmeier drohe. Und, schlimmer noch: Das rot-rot-grüne Projekt, das manche schon als Modell für künftige Landesregierungen andernorts in Westdeutschland wähnten, wäre auf absehbare Zeit "desavouiert", wie es einer formulierte.
Entsprechend vorsichtig, so soll Ypsilanti nach taz-Informationen von linken SPDlern ermahnt worden sein, sei mit den rot-rot-grünen Erfolgsperspektiven umzugehen. Im Klartext: Ypsilanti solle sich angesichts der unsicheren Mehrheitsverhältnisse nicht zur Wahl stellen. Besser sei eine große Koalition, in der zunächst Roland Koch regieren und nach zwei Jahren nach dem Rotationsprinzip von Andrea Ypsilanti abgelöst würde. Über die Zumutbarkeit dieser Lösung machte sich offenbar kaum jemand Gedanken.
Als weitere Variante soll Ypsilanti von den Linken in der Bundes-SPD vorgeschlagen worden sein: Sie könne Koch geschäftsführend weiterregieren lassen. Um ihn sodann mit rot-rot-grünen Anträgen und Gesetzesentwürfen zu überziehen, die Koch gegen seinen Willen umsetzen müsste - bis er aufgebe. Umstritten war dabei, ob Ypsilanti anschließend die Regierung übernehmen oder Neuwahlen ausrufen solle. Oder aber sie lasse sich im April zur Ministerpräsidentin wählen und rufe umgehend Neuwahlen aus. Das Risiko, dabei als Verliererin dazustehen, hat Ypsilanti durchschaut - und sich anders entschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos