Nach Rausschmiss aus Islamkonferenz: Radikalere Milli Görüs befürchtet
Es war falsch, dass der Innenminister die islamische Gemeinschaft von der Islamkonferenz ausgeschlossen hat, kritisieren Fachleute. Das schwäche die Reformer.
BERLIN tazRenommierte Islamkenner hinterfragen die Entscheidung von Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU), den Islamrat aus der Islamkonferenz der Bundesregierung auszuschließen. "Ich sehe das kritisch", sagte der Islamwissenschaftler Michael Kiefer der taz. Er befürchtet, dass damit die "zaghaften Reformprozesse" bei der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)" weiter erschwert werden.
De Maiziere hatte den Islamrat von der weiteren Teilnahme an der Islamkonferenz "suspendiert". Der Islamrat wird von der IGMG dominiert, gegen einige führende Mitglieder ermitteln die Staatsanwaltschaften Köln und München unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. "Mit solchen Repräsentanten kann ich mich nicht an einen Tisch setzen", sagte de Maiziere.
Die IGMG, die über 300 Moscheen betreibt, ist die größte islamistische Organistaion in Deutschland. Laut Verfassungsschutz hat sie 27.000 Mitglieder, nach eigenen Angaben 87.000. Milli Görüs (deutsch: "Nationale Sicht") geht zurück auf den türkischen islamistischen Politiker Necmetin Erbakan, der Anfang der 70er Jahre die Bekämpfung der säkularen und die Errichtung einer "gerechten Ordnung" auf islamischer Grundlage zum Ziel erklärte. Umstritten ist, wie strikt sich die IGMG an diesem Ziel noch orientiert. Während der Verfassungsschutz die "verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat" in Zweifel zieht, betont der IGMG-Experte Werner Schiffauer von der Universität Frankfurt/Oder die Integrationsbereitschaft insbesondere jüngerer Mitglieder.
Schiffauer hält den Ausschluss des Islamrats für falsch: "Das bringt dem Flügel, der gegen die Öffnung hin zur deutschen Gesellschaft ist, nur neue Argumente." Ermittlungen und Ausschluss führten dazu, dass die IGMG wieder stärker zusammenrücke. Schiffauer vermutet, dass das Innenministerium damit auch "einen ebenso kompeten wie unbequemen Gesprächspartner" loswerden will. Für die Islamismus-Kennerin Claudia Dantschke ist nun entscheidend, ob Länder und Kommunen dem Beispiel de Maizieres folgen und Milli Görüs ausgrenzen. Das wäre aus ihrer Sicht kontraproduktiv. "Es muss darum gehen, die Mitglieder vor Ort einzubinden."
Auf Landesebene sind die Konsequenzen unterschiedlich: Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet (CDU) kündigte bereits an, alle Kontakte zum Islamrat und Milli Görus ruhen zu lassen. Mit beiden Organisation habe es bislang ohnehin nur informelle Gespräche gegeben. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) dagegen hält den Ausschluss des Islamsrats für falsch. "Wenn man den Islam einbinden will, muss man mit allen Muslimen reden, auch den Kritischen," so Körtings Devise. Im Berliner Islamforum sind folgerichtig auch Verbände vertreten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden.
Unterdessen drohen die islamischen Verbände, die sich im Koordinierungsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen haben, nach dem Ausschluss des Islamrats weiter mit Konsequenzen für die Islamkonferenz. Am Montag trafen sie sich mit Spitzenbeamten des Bundesinnenministeriums, um über den Fortgang zu sprechen. Die Spitzen der vier Verbände, zu denen auch der Islamrat gehört, wollen im Laufe der Woche über das weitere Vorgehen entscheiden. "Es bleibt dabei: Wir behalten uns alle Schritte vor, was die weitere Teilnahme und die Bedingungen unserer Zusammenarbeit mit der Islamkonferenz angeht", sagte DITIB-Mann Bekir Alboga, der derzeit KRM-Sprecher ist, am Montag.
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