Nach Neonazi-Aufmarsch und Protesten: Polizei hat sich vergaloppiert
Die Opposition verlangt eine Sondersitzung des Innenausschusses, um die Einsatztaktik der Polizei in Wandsbek zu hinterfragen. Ein Komplex steht für alle Faktionen im Fokus.
![](https://taz.de/picture/210616/14/C_polizei_naziaufmarsch_protest_hamburg_wandsbek.jpg)
Die Ausschreitungen und die Übergriffe der Polizei im Zuge der Sitzblockaden beim Neonazi-Aufmarsches am Samstag in Wandsbek werden ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Antje Möller hat eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. "Ich halte die Klärung der Einsatztaktik und die Überprüfung der einzelnen Eingriffe für dringend notwendig", sagt Möller. Die Oppositionsfraktionen haben bereits Zustimmung gegeben.
Ein Komplex steht dabei für alle Faktionen besonders im Fokus: Warum hat die Polizei den rechten Treck mit 500 Teilnehmern als Alternativroute für den blockierten Eilbeker Weg in das Hasselbrook-Quartier gelotst, obwohl der angemeldete Marschweg weit gehend frei war? In den engen Straßen des Quartiers saß der Nazi-Marsch samt Polizei und Wasserwerfern eine Stunde fest, weil tausende Demonstranten die Straßen blockierten. Und warum musste die Kreuzung Peterkampsweg/Marienthaler Straße mit Brachialgewalt geräumt werden, indem massiv Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt wurden?
"Es ist völlig unverständlich, eine Route für die Nazis durch ein eng bebautes Wohngebiet zu führen", sagt Möller. Und auch ihr CDU-Kollege Kai Voet van Vormizeele kann "nicht begreifen", dass die Polizeiführung den Nazis eine Trasse zugewiesen hat, auf der sich sogar eine Baustelle mit potenziellem Material für Steinewerfer befinde. "Das wird die Polizei erklären müssen", sagt Vormizeele.
Im Kreuzfeuer der Kritik steht auch die Einkesselung von rund 600 Demonstranten auf der Wagnerstraße. Die Menschen mussten mehrere Stunden ohne Wasser ausharren, ihre Notdurft in Plastiktüten verrichten, so dass Erinnerungen an den legendären Hamburger Kessel von 1986 wach wurden. "Das war ein massiver Eingriff in die Freiheitsrechte und in die Versammlungsfreiheit", sagt Möller.
Entsetzen hat auch der Einsatz der Reiterstaffeln aus Hamburg und Niedersachsen bei einer gewaltfreien Sitzblockade an der Seumestraße ausgelöst, bei der Reiter mit Pferden in die Menge galoppierten und Blockierer aus dem Sattel mit Pfefferspray einnebelten. "Das war gefährlich für Mensch und Tier", sagt Möller. Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei Christiane Schneider will der Einsatz von Pferden gegen Menschen künftig verbieten. "Die Pferde gehören auf die Weide und sollen ihr Gnadenbrot bekommen."
Die Polizeigewerkschaft kann die Kritik nicht verstehen. "Es war ein äußerst gelungener Einsatz", sagt ihr Chef Rainer Wendt, der sich künftig bei solchen Anlässen die Erlaubnis für den Einsatz von Gummigeschossen wünscht. Obwohl sich Neonazis und Blockierer durch das Einsatzchaos in Hasselbrook auf zwei Metern Distanz gegenüberstanden, ist für Wendt die Trennung beider Lager "gelungen". Zufrieden mit der Polizei sind auch die Neonazis. "Ein großes Lob an die Polizei", ist auf dem Szeneportal "Thiazi-Forum" zu lesen. "Die Wasserwerfer rollten dem Pöbel entgegen und spülten den Dreck von der Straße, um unsere Route frei zu machen."
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