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Nach Neonazi-Aufmarsch und ProtestenPolizei hat sich vergaloppiert

Die Opposition verlangt eine Sondersitzung des Innenausschusses, um die Einsatztaktik der Polizei in Wandsbek zu hinterfragen. Ein Komplex steht für alle Faktionen im Fokus.

Polizisten lösen eine Blockade gegen den Aufmarsch der Neonazis auf: Parlamentarisches Nachspiel. Bild: dpa

Die Ausschreitungen und die Übergriffe der Polizei im Zuge der Sitzblockaden beim Neonazi-Aufmarsches am Samstag in Wandsbek werden ein parlamentarisches Nachspiel haben. Die innenpolitische Sprecherin der Grünen Antje Möller hat eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. "Ich halte die Klärung der Einsatztaktik und die Überprüfung der einzelnen Eingriffe für dringend notwendig", sagt Möller. Die Oppositionsfraktionen haben bereits Zustimmung gegeben.

Ein Komplex steht dabei für alle Faktionen besonders im Fokus: Warum hat die Polizei den rechten Treck mit 500 Teilnehmern als Alternativroute für den blockierten Eilbeker Weg in das Hasselbrook-Quartier gelotst, obwohl der angemeldete Marschweg weit gehend frei war? In den engen Straßen des Quartiers saß der Nazi-Marsch samt Polizei und Wasserwerfern eine Stunde fest, weil tausende Demonstranten die Straßen blockierten. Und warum musste die Kreuzung Peterkampsweg/Marienthaler Straße mit Brachialgewalt geräumt werden, indem massiv Wasserwerfer, Schlagstöcke und Pfefferspray eingesetzt wurden?

"Es ist völlig unverständlich, eine Route für die Nazis durch ein eng bebautes Wohngebiet zu führen", sagt Möller. Und auch ihr CDU-Kollege Kai Voet van Vormizeele kann "nicht begreifen", dass die Polizeiführung den Nazis eine Trasse zugewiesen hat, auf der sich sogar eine Baustelle mit potenziellem Material für Steinewerfer befinde. "Das wird die Polizei erklären müssen", sagt Vormizeele.

Im Kreuzfeuer der Kritik steht auch die Einkesselung von rund 600 Demonstranten auf der Wagnerstraße. Die Menschen mussten mehrere Stunden ohne Wasser ausharren, ihre Notdurft in Plastiktüten verrichten, so dass Erinnerungen an den legendären Hamburger Kessel von 1986 wach wurden. "Das war ein massiver Eingriff in die Freiheitsrechte und in die Versammlungsfreiheit", sagt Möller.

Entsetzen hat auch der Einsatz der Reiterstaffeln aus Hamburg und Niedersachsen bei einer gewaltfreien Sitzblockade an der Seumestraße ausgelöst, bei der Reiter mit Pferden in die Menge galoppierten und Blockierer aus dem Sattel mit Pfefferspray einnebelten. "Das war gefährlich für Mensch und Tier", sagt Möller. Die innenpolitische Sprecherin der Linkspartei Christiane Schneider will der Einsatz von Pferden gegen Menschen künftig verbieten. "Die Pferde gehören auf die Weide und sollen ihr Gnadenbrot bekommen."

Die Polizeigewerkschaft kann die Kritik nicht verstehen. "Es war ein äußerst gelungener Einsatz", sagt ihr Chef Rainer Wendt, der sich künftig bei solchen Anlässen die Erlaubnis für den Einsatz von Gummigeschossen wünscht. Obwohl sich Neonazis und Blockierer durch das Einsatzchaos in Hasselbrook auf zwei Metern Distanz gegenüberstanden, ist für Wendt die Trennung beider Lager "gelungen". Zufrieden mit der Polizei sind auch die Neonazis. "Ein großes Lob an die Polizei", ist auf dem Szeneportal "Thiazi-Forum" zu lesen. "Die Wasserwerfer rollten dem Pöbel entgegen und spülten den Dreck von der Straße, um unsere Route frei zu machen."

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12 Kommentare

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  • F
    Fritz

    Sitzdemonstrationen muessen geaechtet werden, egal wer sie ausfuehrt und egal gegen wen. Es geht um das demokratische Minimum und wer das anruehrt soll meinetwegen erschossen werden. Politik ist kein Kindergarten!!!

     

    Klingt sehr boese, ist es aber nicht.

     

    Wer im Fall der angeblichen Nazis symbolische Politik betreibt, betreibt sie auch dann, wenn es wichtig wird, einen klaren Kopf zu behalten. DAS ist naemlicxh das Problem. Die Leute konsumieren nur noch und konsumieren dann so eine modische Sitzdemonstration mit. Sie sind nur noch Zombies, die um sich selbst kreisen. Genau das soll nicht sein!

  • V
    vic

    Bravo Theresa!

  • T
    teresa

    @ joey: Aber, aber Herr Hauptkommissar, wer wird sich denn hier mit seiner Naziideologie hinter der Polizeimütze verstecken wollen ?

     

    Sie sind doch von der Sorte "Mensch", die die Nazis für die Fortsetzung Ihrer stadtbekannten Polizeibrutalität benutzen ! Mit dem Demonstrationsrecht im Rücken und den Nazis voran die restliche Demokratie abschaffen, dabei friedliche Bürgerinnen und Bürger in die Krankenhäuser prügeln. So war's doch !

     

    Ohne Augen für die Wirklichkeit, aber immer mit dem nötigen Hass in Armen und Beinen.

     

    Die größte Gefahr in diesem post- und präfaschistischen Staat ging immer von seinen willigen Gestapo-Polizisten aus, von denen Sie einer sein könnten: Nach außen hin zum Schein den formalen Anforderungen verpflichtet, aber wehe der Bürger hat 'ne schlechte Meinung von Ihnen, dann wird sich an nichts gehalten.

     

    Die Polizeiverbrechen in Wandsbek konnten unter Ausnutzung der staatswilligen Anonymität geschehen, weil die Täter immer noch nicht persönlich identifizierbar gekennzeichnet sind. Weder an Helm, Waffe, Vorder- und Hinterkörper sind Klarnamen, Dienstnummern, Einheitsbezeichnungen angebracht. Wäre das - wie in Berlin - längst anders, hätten sich die Polizeitäter der Strasse mit Sicherheit anders verhalten. Man hätte sie nämlich, wie jeden Zivilbürger auch, effektiv belangen können. Die Präventionswirkung wäre erheblich gewesen.

     

    Die Mindestanforderung der Identifizierbarkeit, die man an jeden Zivilbürger polizeiseitig wie selbstverständlich stellt, wurde hier noch nicht mal bei "hoheitlichen" Akten des Polizeipersonals umgesetzt. Ein typisches Manko Ihres preussisch-schiefen grundautoritären Staatsverständnisses.

  • N
    Norman

    @joey

     

    Bei den Artikelschreiberlingen Andreas Speit und Peter Müller ist das auch nicht verwunderlich. Schließlich pflegt man beste Kontakte zur örtlichen Antifa.

  • W
    Weinberg

    Handelt es sich bei der Polizei mitunter um eine hirnlose Prügelgarde?

  • T
    Tierfreundin

    @joey

     

    Wessen Geistes Kind? Etwa ein Enkelkind der Opfer des Altonaer Blutsonntags? Oha! Hier gebährdet sich ein Wolf im Schafspelz als Demokrat.

  • J
    joey

    Immer wieder erstaunlich,wie linke Kriminelle ihre zahlreichen Straftaten auf Demos schönreden und Anderen (Polizei,NPD) die Schuld in die Schuhe schieben wollen. Der Krawall und die Agressivität gingen von den linkslastigen Gesinnungsgenossen aus(wie so oft). Man merkt,dass Menschen mit linkslastigem Gedankengut sich regelmäßig der Realität verweigern und ein zweifelhaftes Demokratieverständnis haben. Die Polizisten schützen nicht die Rechten,sondern das Recht auf Versammlungsfreiheit und die Meinungsfreiheit. Unter dem Vorwand gegen "rechts" zu demonstrieren,begehen die Linksautonomen Randalierer ihre teils schweren Straftaten, ohne dass dies von der taz auch nur ansatzweise Erwähnung findet.Wenn es gegen die Polizei geht,ist die taz schnell mit von der Partei,mit ihrer sehr einseitigen Berichterstatung, Da weiß man ja wessen Geistes Kind der jeweilige taz-Redakteur ist.

  • RA
    Ragnar aus Fürth

    Es ist mehr als leicht, sich abgeschottet und mit Scheuklappen aus der Ferne selbst zu feiern.

    Reflektion? Konfrontation? Fehlanzeige.

    Alles was getan wird ist sich selbst als gegen Nazis zu feiern, für Toleranz, und für die Presse das Bild der weltoffenen Stadt zu feiern.

     

    FAKT ist dass die Bürgerlichen Kräfte sich so weit wie möglich vom aktuellem geschehen abschotten, um jah nicht mit den rechten auch nur in Sichtweite zu kommen.

    FAKT ist dass es wasser predigen und wein trinken ist, wenn die gewählten Vertreter des Volkes sich gegen nazis aussprechen, aber in sicherer Entfernung ihre Bratwurst essen.

     

    Eine kleine Idee:

    Wie wäre es, wenn sich die gewählten Volksvertreter selbst mal zur Gegendemo bewegen? Abgewandelt gesagt, es ist so lange leicht, von Linken chaoten zu reden, wenn man nicht selbst mit dabei ist und an den Beamten aus dem Algäu gerät, dem der knüppelarm zwanzig mal ausrutscht.

     

    Ebenso halte ich es für notwendig, dass sich der Staat mal ganz genau ansieht, wer da eigentlich Nazidemos durch Wohngebiete genehmigt, und zwanbgsweise die Vergangenheit derjenigen durchleuchtet. Ich würde sogar sagen dass bei politischen Einsätzen wie diesem es eine erhöhte Wichtigkeit besitzt, diejenigen mit offensichtlich verfassungsfeindlichen Tendenzen von SÄMMTLICHER Befehlsgewalt ausztuschließen, und die Richter und Polizisten wegen Befangenheit nicht zuzulassen.

     

    @ Gummigeschosse für Demopolizisten:

    Ich selbst würde es als guten Grund sehen, sämmtliche Kritik am gewaltsamen Wiederstand oder am schwarzem Block einzustellen.

    Was dann kommt ist folgendes:

    - Altnazi in der Stadtverwaltung räumt für seine Kameraden die Demoerlaubnis her.

    - Staatsschutz will Gewalt verhindern, schleußt Agent Provocateurs ein, die Gewalt frühzeitig ausbrechen lassen.

    - Polizei sieht steigende Gewaltbereitschaft in der Demo, packt die Pistolen aus, und schießt.

     

    wir haben einen juristischen Apparat, der Unterstützende Terroristen einer öffentlich verfassungsfeindlichen Organisation gewähren lässt, wärend der Protest dagegen kriminalisiert , unterwandert und jetzt auch noch beschossen wird.

     

    Ich sage nicht dass ich es gutheiße, wenn nach dem Einsatz von Gummigeschossen gegen Mütter, Kinder und rentner die ersten Polizisten Opfer ihrer eigenen Waffen werden, und endlich mal ÖFFENTLICH verletzt / tot zu sehen sind...

     

    Aber jetzt kann ich es verstehen.

     

    Ragnar - I will love and tolerate the shit out of you

  • T
    Tierfreundin

    @Erik

     

    Hä? Linksradikale Schlägertrupps? Mit Flaschen, Steinen etc. Menschen angegriffen? Die einzigen Flaschenwürfe stammten meines Wissens von frustrierten Nazis. Habe sonst keine Gewalttäter gesehen, außer vielleicht noch die Repräsentanten der Staatsgewalt, leider. Gewiss, über den Barrikadenbau auf der Demostrecke kann man geteilter Meinung sein. Denn ist es nicht ein Skandal, dass eine Demo, die hauptsächlich von „freien Kameradschaften“ frequentiert war, die mit Sicherheit nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, so ohne weiteres genehmigt wurde? „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“ Wie auch immer, offensichtlich wurden durch die Müllcontainer keine Personen gefährdet, durch die „freien Kameraden“ mit ihren „ausländerfreien Zonen“ hingegen sehr wohl. Nun im Nachhinein eine insgesamt friedliche Demo zu kriminalisieren ist völlig daneben.

  • S
    Stefan

    @ Erik

     

    Ich habe auch nirgendwo gelesen, dass sich der Senat, Polizeipräsident oder die Polizeigewerkschaft von Gewalt aus den eigenen Reihen distanzieren. Davon gab es an dem Tag genug:

    Der Einsatz von Reiterstaffel, Wasserwerfern, Knüppeln, Faustschlägen und Tritten sowie Pfefferspray gegen Sitzblockierer und unbeteiligte Passanten ist da nur eins von vielen Beispielen.

    Das Vorgehen der Polizei stand dem bei Stutgart 21 in nichts nach.

  • E
    Erik

    @Tierfreundin

     

    Welcher friedliche Protest? Man kann auch alles durch eine rosa-rote Brille sehen. Fakt ist doch eins, linksradikale Schlägertrupps haben Polizisten, Demonstrationsteilnehmer etc. mit Flaschen, Steinen, Böllern und sonstigen Gegenständen angeriffen. Haben Müllcontainer angezündet, Autos beschädigt und in Brand gesetzt usw. und so fort. Wer diese Art von Gewalt verharmlost, der scheint wirklich ein ganz großes Demokratiedefizit zu haben. Es ist bezeichnend das gerade Die Linke und die Initiatoren (u.a. HBgR) der Gegenproteste sich nicht klar distanzieren von der Gewalt die aus ihren Reihen gekommen ist. Der Aufruf im vorwege von Herrn Harms friedlich zu sein, ging ja bekanntlich daneben. Wie wäre es denn mal damit wenn sich diejenigen die meinen gegen Gewalt zu sein, sich aktiv auf der Straße gegen die Gewalttäter stellen würden, um ein klares Zeichen zu setzen. Es wird ja immer gern behauptet die Mehrheit wäre friedlich. Und schließlich tauchen immer wieder diese zumeist linken Gewalttäter rund um die Gegenproteste gegen die Nazis auf. Solange die Veranstalter und Gruppen von Gegenprotesten gemeinsame Sache mit Gewalttätern machen, muss man sich nicht wundern wenn die Polizei im Zuge ihrer Amtshandlungen auch gegen diese vorgeht. Protest gegen Nazis ist angebracht, aber dann bitte mit friedlichen und demokratischen Mitteln. Ich vermisse auch von den Veranstaltern und Initiatoren klare Konzepte wie man diese Gewalttäter von den Versammlungen fern halten kann. Liegt wohl daran das man denen eine gewisse Akzeptanz und schweigendes Dulden entgegenbringt.

  • T
    Tierfreundin

    Nachdem die Route genehmigt worden war, was sich leider nicht verhindern ließ, setzte die Antifa die Strecke in Brand (wohlgemerkt, ohne Menschen zu gefährden), so dass die Nazis nicht losmarschieren konnten. Statt es dabei zu belassen, wurde dem armseligen Häuflein eine Alternativstrecke genehmigt und sie konnten ein paar Meter marschieren. Das verkaufen sie jetzt als Erfolg und lachen sich ins Fäustchen, weil die Polizei, die sie so sehr verachten, ihnen ihren Aufzug ermöglicht hat.

     

    Wieder einmal fragt man sich als besorgte Bürgerin, ob denn der Staat auf dem rechten Auge blind ist. Während auf dem Rathausmarkt die Einheit der Demokraten zelebriert wurde, wurde in Wandsbek mit äußerster Brutalität gegen die Sitzblockierer vorgegangen. Die armen Pferde, die sich ihren Job nicht aussuchen können, wurden in die Menge getrieben, harmlose Bürger machten Bekanntschaft mit Pfefferspray und Wasserwerfern, Demonstranten wurden wahllos herausgegriffen und zusammengeschlagen. Und im Nachhinein wird der friedliche Protest in fast allen Medien kriminalisiert.

     

    Statt Fehler einzugestehen fordert die Polizeigewerkschaft am Ende den Einsatz von Gummigeschossen. Verkehrte Welt!