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Nach Loveparade-TragödieDokumente belasteten Bürgermeister

Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland wehrt sich gegen den Vorwurf, von Sicherheitsbedenken vor der Loveparade gewusst zu haben. Doch Details belasten ihn.

Traurige Fotos: Mit einem Plakat will das Team der Loveparade seine Betroffenheit ausdrücken. Bild: dpa

Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland will dem Druck nicht weichen. Trotz immer stärkerer Vorwürfe, lehnt es der Christdemokrat weiterhin ab, die politische Verantwortung für die Katastrophe bei der Loveparade, bei der am Samstag 20 Menschen starben und mehr als 500 verletzt wurden, zu übernehmen. So bestreitet er nach wie vor, von Sicherheitsbedenken vor Beginn der Raverparty gewusst zu haben. "Mir sind keine Warnungen bekannt", sagte er der Rheinischen Post.

Eine erstaunliche Aussage, hatte doch schon Anfang 2009 der damalige Polizeipräsident Rolf Cebin eindringlich vor der Austragung des Megaevents in der Ruhrgebietsstadt gewarnt und sich damit heftigen Ärger eingehandelt: Der Duisburger CDU-Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Thomas Mahlberg forderte seine Absetzung. Dass die Duisburger Polizei erklärt habe, "eklatante Sicherheitsmängel stünden einer Durchführung der Loveparade in Duisburg im Jahre 2010 entgegen", füge der Stadt einen "Imageschaden" zu, schrieb Sauerlands Parteifreund an den damaligen Landesinnenminister Ingo Wolf (FDP). Deswegen bitte er Wolf darum, "Duisburg von einer schweren Bürde zu befreien und den personellen Neuanfang im Polizeipräsidium Duisburg zu wagen". Im Mai dieses Jahres ging Cebin in den Ruhestand.

Belastet wird Sauerland auch durch ein Sitzungsprotokoll aus dem Duisburger Rathaus, aus dem die Essener WAZ-Gruppe zitiert. Daraus geht hervor, dass vier Wochen vor der Loveparade das Bauordnungsamt massive Einwände gegen das vorgelegte Sicherheitskonzept erhoben hatte. Nachzulesen ist ein Streit über die Fluchtwege. Das an den Stadtbaudezernenten Jürgen Dressler (SPD) gerichtete Schriftstück, das eine Sitzung mit dem Loveparade-Veranstalter Lopavent, der Feuerwehr, dem Ordnungsamt und dem Ordnungsdezernenten Wolfgang Rabe (CDU) zusammenfasst, wurde laut Verteiler auch an den Oberbürgermeister geleitet. Laut dem Protokoll wehrte sich der Loveparade-Veranstalter gegen die Vorschrift, bei 220.000 Besuchern 440 Meter Fluchtweg nachweisen zu müssen und bestand auf einem kürzeren Fluchtweg. Weiter heißt es: "Herr Rabe stellte in dem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse. Die Anforderungen der Bauordnung, dass der Veranstalter ein taugliches Konzept vorlegen müsse, ließ er nicht gelten." Handschriftlich notierte Baudezernent Dressler anschließend: "Ich lehne aufgrund dieser Problemstellung eine Zuständigkeit und Verantwortung […] ab. Dieses entspricht in keinerlei Hinsicht einem ordentlichen Verwaltungshandeln und einer sachgerechten Projektstellung."

Wie es heißt, soll noch bis kurz vor dem Start der Loveparade in verschiedenen Sitzungen über das fragwürdige Sicherheitskonzept debattiert worden sein. Dabei sollen auch die Duisburger Berufsfeuerwehr und Polizisten nochmals deutlich gemacht haben, dass die Veranstaltung so aus ihrer Sicht nicht stattfinden könne. Laut Kölner Stadt-Anzeiger sollen die Bedenken so groß gewesen sein, dass die Duisburger Stadtverwaltung erst Stunden vor dem Beginn der Party am Samstag die ordnungsbehördliche Genehmigung unterschrieben habe. Demgegenüber teilte eine Sprecherin der Stadt Duisburg mit, die Genehmigung sei am Freitag unterschrieben worden. Der Zeitpunkt sei "normal", da vor Unterzeichnung erst die Aufbauten für den Event fertiggestellt sein müssten.

Die Zahl der Toten hat sich auf 20 erhöht. Am Montag erlag eine 21-Jährige ihren Verletzungen. Entgegen ersten Annahmen ist keines der Opfer durch Sturz von einer Treppe ums Leben gekommen. Die Obduktion habe ergeben, dass alle an Brustquetschungen gestorben sind, teilte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am Dienstag in Düsseldorf mit. Für die Opfer findet am Samstag in der Duisburger Salvator-Kirche eine Trauerfeier statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundespräsident Christian Wulff werden erwartet.

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17 Kommentare

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  • VW
    Volker Wagner

    Ja,Ja, ist klar. Die Behörden - Feuerwehr, Polizei und Verwaltung und auch die Dortmunder CDU - üben Schulterschluss und nun war´s eben der Veranstalter.

    Klar hat der Veranstalter in der Durchführung der Organisation der Veranstaltung schwerwiegende Fehler gemacht. Aber die hätte er nicht machen können, wenn es nix zum Veranstalten gegeben hätte. Aber die publicitygeilen Duisburger "Gasgeber" schlugen ja alle geäußerten Warnungen in den Wind, trotz aller vorhandenen Warnungen und genehmigten die Veranstaltung. Diese "Genehmiger" müssen sich der fahrlässigen Tötung von 21 Menschen verantworten. Das war kein Unglück, keine höhere Gewalt etc., das war menschliches Fehlverhalten!!!

  • LW
    lars willen

    Wieso sitzt dieser OB Sauerland noch nicht in U-Haft?

    "Alle schweine sind gleich,aber einige Schweine sind gleicher." George Orwell Animal Farm

  • M
    Max_Mustermann

    Der OB MUSS davon gewusst haben. Es ist schlicht und einfach seine Aufgabe als OB darüber bescheid zu wissen.

    Für mich ist ein Rücktritt keineswegs ausreichen. Dieser man gehört in U-Haft bis die Anklageschrift kommt. Das gleiche gilt auch für die anderen die auf der Pressekonferenz.

     

    Je mehr man drüber nachdenkt und sich die Fakten dazu anguckt, je kruser kommt einem das vor, dass so etwas stattgegeben wurde. Unglaublich!

  • A
    Amos

    Die Kommunen sind pleite. Also nimmt man schon Tote in Kauf, damit was in die Kasse kommt um regierungsfähig zu bleiben. Die ganze Sache geht wieder aus wie das Hornberger Schießen. Die Obrigkeit hat leider immer das Privileg-, gut davon zu kommen. Man erinnere sich an den Einsturz des Stadtarchivs in Köln.

  • KK
    Konsul Kramer

    Sauerland, ein typischer CDU-Soldat, für alles zu haben und für nichts zu gebrauchen, muß noch drei Monate auf seinem Oberbürgermeister-Sessel kleben bleiben, dann endlich hat er die volle Pensions-Berechtigung! Ob er das schafft?!? Längst schon hat er wegen unwürdigen Verhaltens sein Gesicht verloren!

  • W
    Wolfgang

    Wer schon einmal bei einer Behörde gearbeitet hat, kennt das Schmierentheater. Nachher sieht man immer unwissende Gesichter, eingeübte Trauerminen, hört hilfloses Gestammel, bleibt aber ganz fest im Sattel, koste es, was es wolle. Ganz frech werden andere verantwortlich gemacht, aber doch nicht eine politische Figur! Trauerfeier macht sich auch immer sehr gut in den Medien. Politiker an der Front!

    Bah, was habter doch für ne fiese Charakter.

  • G
    guapito

    Selbst wenn dieser schmierige Bürgermeister zurücktritt und Merkel/Wulff am Samstag ein paar blöde Phrasen blubbern: Die Opfer macht das nicht wieder lebendig. Die Familien werden für immer unter deren Tod leiden müssen.

  • HR
    Hubert Rudnick

    Ihren Kommentar hier eingeben

     

    Politischer und wirtschaftlicher Druck auf Amtsträger ist doch bei uns in Deutschland schon etwas ganz normales.

     

    Wenn gewisse Leute nicht ihren Willen durchsetzen können, weil sie gegen Gesetze und Richtlinien, sowie Verordnungen verstoßen, dann wird immer die große Keule der politischen Macht hervorgeholt und damit werden dann Bedienstete unter Druck gesetzt und genötigt etwas gegen die Sicherheit der Bürger zu unternehmen.

     

    Solange bestimmte Personen sich über alles hinwegsetzen können und obergeordnete Ämter und Personen in einer Handlung eingreifen können, so müssen wir dann auch mit solchen schrecklichen Unglücken, die aber von Menschen verursacht werden mit rechnen.

    Hubert Rudnick

  • S
    saalbert

    "Dokumente belasteten Bürgermeister" - Ach, "belasteten"? Jetzt belasten sie nicht mehr?

  • R
    reblek

    "Die Obduktion habe ergeben, dass alle an Brustquetschungen gestorben sind, teilte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am Dienstag in Düsseldorf mit." Frau Kraft wollte ganz medizinisch-schlau sein und hat von "Brustdruckkompression" gesprochen. Was ist ein Druck und was eine Kompression? Sehr schlaue Ministerpräsidentin.

  • H
    hiasl

    die frage die ich mir stelle ist: wozu?

     

    es gibt zwei möglichkeiten: der mann ist wirklich so ein sesselkleber oder er will jemanden schützen indem er weiter watschen kassiert.

     

    ob er klebt kann wohl beurteilen wer ihn persönlich kennt. wenn er jedoch jemanden schützen will indem er weiter mitten im schussfeld bleibt ist die frage wen.

  • B
    b.w.

    Ja, da werden sie alle sitzen in der Salvatorkirche. Werden sich duch den Hintereingang durch "sicherheitsleute" in die erste Reihe setzen. Während die Angehörigen und Betroffenen auf die hinteren Plätze verwiesen werden. Um die richtige Kulisse zu schaffen, wird für die traumatisierten Menschen, die im Tunnel waren ein abgesperrtes Gelände geschaffen. Wenn die anwesenden Politiker auch nur einen Hauch von Menschlichkeit haben, halten sie sich bitte dezent im Hintergrund. Auf Forderungen zur schnellstmöglichen Aufklärung können wir auch verzichten. Ich sage nicht, dass sie nicht kommen sollen, aber bitte, bitte, auf den hinteren Plätzen. Die Taschentücher stecken bestimmt schon gebügelt im schwarzen Anzug.

  • SW
    Stefan WELZEL

    Ein Fehler - liebe Redaktion - hat sich im Bericht eingeschlichen. Sie schreiben: "Laut dem Protokoll wehrte sich der Loveparade-Veranstalter gegen die Vorschrift, bei 220.000 Besuchern 440 Meter Fluchtweg nachweisen zu müssen und bestand auf einem kürzeren Fluchtweg." Es handelt sich bei den geforderten Fluchtwegen nicht um 440 m Länge, sondern um summiert 440 m Fluchtweg-Breite.

  • LV
    Lothar von der Ems

    War nicht anfangs von mehr als einer Million RaverInnen die Rede? Hier wird doch von allen, inklusive schlecht recherchierender Medien, gelogen, dass sich die Balken biegen. Nun waren es also doch nur etwas mehr als 200.000?! Offenbar neigt sich die Spaßgesellschaft ihrem Ende entgegen. Die oberschlauen PolitikerInnen aller Coleur sollten es dem OB von Duisburg ehrenvoll gleich tun und nicht zur Trauerfeier erscheinen, um vor laufenden TV-Kameras und fotografierenden, nach Tränen geiernden Medienfotografen heuchlerisch Krokodilstränen zu vergießen. Trauert zu Hause, und zwar um euch selbst. Das echte Trauern sollte man den Familien und FreundInnen der Opfer überlassen. Vergesst die Loveparade und spielt nicht auch noch das Lied vom Tod bei einer Totenparade. Let it be!

  • N
    Nikolini

    Ich kann es mir nicht vorstellen, das der Duisburger

    OB* über die Sicherheitsbedenken dieses Megaevents im Vorfeld nicht oder nur oberflächlich Bescheid wusste!

    Polizei und Staatsanwaltschaft sind gefordert, diese

    Katastrophe gründlich aufzuarbeiten.

     

    Fazit*: In diesem Fall sagt man entweder gar nichts

    oder weis von nichts!

  • S
    sonntag

    Wie lange, glauben Sie, würden Sie brauchen, bis Sie sich und der Welt eingestehen könnten, dass Sie persönlich für den Tod von 20 Menschen verantwortlich sind? Diese mediale Hetze finde ich unmenschlich. Lassen Sie den Mann doch erst mal die Ungeheuerlichkeit in ihrer ganzen Wucht begreifen.

     

    Im übrigen wirft das Geschehen natürlich auch die Frage nach funktionierenden oder auch nicht funktionierenden Strukturen in einer Stadtverwaltung auf. Dass einer so ein Projekt um jeden Preis durchdrücken kann und sich niemand findet, ihm in den Arm zu fallen, ist ganz sicher kein Einzelfall.

  • K
    Kai

    Wie war noch in Bochum?

     

    Die Love Parade wurde in Bochum wurde kurzfristig abgesagt, weil Sicherheitsbedenken waren zu groß. Bürgermeisterin Ottilie Scholz (SPD) musste sich daraufhin heftige Kritik gefallen lassen: Bochum sei provinziell, warf man ihr vor, die Absage "peinlich", in Bochum seien "nur Deppen am Werk", höhnte die CDU-Opposition.

     

    Zitat: Spiegel

     

    Stand Sauerland (CDU) hier womöglich unter Druck?