piwik no script img

Nach Inzestskandal in AmstettenKastration und höhere Strafen gefordert

In Österreich schlägt die Stunde der Populisten: Rechtsaußen Westenthaler will nach dem Inzestskandal in Amstetten härter gegen Sexualstraftäter vorgehen.

Die dunkelsten Stunden im Amstettener Haus des Josef F. sind Vergangenheit Bild: dpa

WIEN taz Rudolf Mayer ist erschüttert. Der österreichische Staranwalt, der den mutmaßlichen Inzest-Täter Josef Fritzl aus Amstetten vertritt, bekam in den letzten Tagen eine Serie von E-Mails, die er nicht lustig finden kann. Gemeinsam mit seinem Mandanten gehöre er aufgehängt, war der Tenor der rabiatesten Hassbotschaften.

Mayer hat die angesichts des umfassenden Geständnisses des Beschuldigten und überwältigender Sachbeweise für dessen vorsätzliche Straftaten die einzig mögliche Verteidigungslinie eingeschlagen: Er plädiert auf Unzurechnungsfähigkeit des Mannes, der seine eigene Tochter 24 Jahre im Bunker eingesperrt und jahrelang missbraucht hat.

Ganz oben auf der Populismuswelle reitet Peter Westenthaler, der seinem BZÖ durch stramme Law-and-Order-Politik Aufschwung verschaffen will. In der Fernsehpressestunde am Sonntag forderte er die Verdoppelung aller Strafen für Sexualstraftäter, chemische Kastration von Wiederholungstätern und eine öffentlich einsehbare Täterkartei. Außerdem sollen Personen, die ihre Strafe abgesessen haben, mit Berufsverbot belegt werden und sich nicht in der Nähe von Schulen, Kindergärten oder Familien mit Kindern ansiedeln dürfen. "Die haben ihr Menschenrecht verwirkt", so der Chef der kleinsten Parlamentspartei, die eigentlich nur in Kärnten präsent ist. Das BZÖ bringt zudem am Mittwoch einen Misstrauensantrag gegen Justizministerin Maria Berger, SPÖ, ein. Es wirft ihr vor, nicht für Strafverschärfungen gesorgt zu haben.

Die ÖVP, die sich in Sachen Recht und Ordnung nicht gerne rechts überholen lässt, äußerte sich zunächst wohlwollend zu den Tiraden Westenthalers. Er spreche die richtigen Probleme an, habe aber keine Lösungen parat. Auch die FPÖ stimmte erwartbar in den Chor ein.

Experten wie der Kriminalpsychologe Thomas Müller sind davon überzeugt, dass sich Triebtäter nicht von höheren Strafen abschrecken lassen. Man müsse bei der Prävention ansetzen. Und aus dem Justizministerium heißt es, die Rückfallquote bei vorzeitig entlassenen Sexualstraftätern sei mit unter 5 Prozent niedriger als bei anderen Delikten.

Justizministerin Maria Berger versuchte abzuwiegeln und sprach sich zunächst nicht grundsätzlich gegen Strafverschärfungen bei Sexualstraftätern aus. Doch betonte sie, dass man darin "kein Allheilmittel" sehen dürfe. Zuerst sei aber die Rechtsprechung zu evaluieren, ob die Richter das Strafmaß nicht ausreichend ausschöpfen.

Berger und die Grünen sprechen sich dafür aus, die Tilgungsfristen für Sexualdelikte zu verdoppeln. Außerdem sollen die Behörden in Adoptions- und Pflegschaftsfragen verpflichtet werden, das Vorleben der Antragsteller zu überprüfen. Bisher ist das eine Kann-Bestimmung.

Aus der Klinik in Amstetten berichten Ärzte und Anwalt, dass die Familie erstaunlich guter Dinge sei und sich die von Geburt an Eingekerkerten langsam an Frischluft und Sonnenlicht gewöhnen. Der Wunsch von Elisabeth F., ihre im künstlichen Tiefschlaf befindliche Tochter Kerstin im Landeskrankenhaus zu besuchen, kann derzeit nicht erfüllt werden, da Reporter und Paparazzi weiter beide Krankenhäuser belagern. RALF LEONHARD

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!