Nach Frühchen-Infektionen in Berlin: Das Personal soll sauber sein
Ein Rechtsmediziner rät zur Exhumierung des verstorbenen Babys in der Charité. Das Klinikpersonal soll nicht auf Darmkeime untersucht werden.
BERLIN taz | Nach der Erkrankung mehrerer Babys an Serratien halten die Berliner Charité und das Deutsche Herzzentrum Berlin es für unnötig, das pflegerische und das ärztliche Personal auf den Darmkeim untersuchen zu lassen. Bislang seien weder Stuhlproben genommen worden noch Abstriche des Mund-Rachen-Raums, sagte die Leiterin des Gesundheitsamts Berlin-Mitte, Anke Elvers-Schreiber, der taz.
Der bezirkliche Krisenstab, der die Quelle der Infektionen ermitteln soll und hierbei seit einer Woche nicht einen Schritt weiter gekommen ist, halte diese Untersuchungen auch nicht für angemessen: „Man kann doch wohl davon ausgehen“, so Elvers-Schreiber, „dass sich Pflegerinnen und Ärzte nach dem Toilettengang die Hände waschen“.
Möglicherweise irrt sie, was das vermeintlich vorbildiche Verhalten des Klinikpersonals angeht: Der Sprecher der Gesellschaft für Krankenhaushygiene, Klaus-Dieter Zastrow, sagte der taz, Serratien siedelten normalerweise im Darm, vorübergehend könnten sie auch in der Nase und im Rachen nachweisbar sein. Nicht selten gelangten sie dann an die Hände des Klinikpersonals und würden sodann durch Hand-Körper-Kontakt auf die Babys übertragen: „Das passiert immer dann, wenn die Basis-Hygieneregeln nicht eingehalten werden“, so Zastrow. „In einer solchen Situation muss man alle Kontaktpersonen abstreichen und nach dem Keim suchen.“
Vom Keim besiedelte Mitarbeiter müssten zudem behandelt werden, um weitere Übertragungen zu verhindern. Eine Untersuchung lediglich der Hände der Pflegerinnen und Pfleger, wie sie zuletzt von der Charité vorgenommen worden war, sei „sinnlos“. Denn: „Da sind die Serratien nach 30 Sekunden nicht mehr nachweisbar.“ Im Körper dagegen existierten sie weiter und könnten jederzeit wieder - bei entsprechender Missachtung der Hygienevorschriften - an die Hände gelangen und übertragen werden.
Klinik rückt von eigener Darstellung ab
Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl Max Einhäupl, behauptete indes am Sonntag in der Berliner Morgenpost, in der Charité sei „kein Kind an Serratieninfektionen zu Schaden gekommen“. Auf die Frage, weshalb Serratien-Erkrankungen - deren Spätfolgen sich oft erst, insbesondere bei Frühchen, nach Jahren zeigen - nicht als Schaden gewertet würden, schränkte eine Charité-Sprecherin gegenüber der taz ein: „Die Aussage ist im Zusammenhang mit der Äußerung zu sehen, an der Charité ist es bislang zu keinem weiteren Todesfall gekommen“.
Unterdessen rückte Einhäupl von einer weiteren Darstellung seines Klinikums ab: Das am 5. Oktober verstorbene Frühchen, das erst in der Charité und dann im Herzzentrum behandelt worden war, sei entgegen bisheriger Berichte nun doch nicht an den Keimen gestorben, jedenfalls nicht „ursächlich“, so Einhäupl. Bislang hatten die Charité und das Herzzentrum angegeben, das Baby sei nach erfolgreicher Herzoperation an einer Blutvergiftung infolge des Serratien-Befalls gestorben. Davon wollte Einhäupl nun nichts mehr wissen.
Vielmehr sei das Kind an seiner schweren Herzerkrankung gestorben, bei der die Serratien einen fraglichen Beitrag geleistet hätten. Für eine solche Aussage fehlt jedoch derzeit jeglicher Beweis: Um die tatsächliche Todesursache feststellen zu können, müsste das am 5. Oktober verstorbene und am 12. Oktober in Berlin bestattete Baby exhumiert und anschließend von Rechtsmedizinern untersucht werden. „Eine Entscheidung hierüber werden wir zeitnah mit den Rechtsmedizinern treffen“, sagte ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft am Sonntag der taz.
Ermittlungen wegen fahrlässiger Tötung
Ermittelt werde wegen fahrlässiger Tötung im Fall des verstorbenen Kindes und wegen fahrlässiger Körperverletzung in mehreren Fällen erkrankter, aber nicht gestorbener Kinder. Wolfgang Huckenbeck, Vize-Chef des Instituts für Rechtsmedizin an der Uniklinik Düsseldorf und spezialisiert auf den postmortalen Nachweis bakterieller Entzündungen, sagte der taz, eine Exhumierung sei trotz der verstrichenen Zeit sinnvoll und zu befürworten. Es sei auch jetzt, mehr als drei Wochen nach dem Tod und gute zwei Wochen nach der Beisetzung, noch möglich, die Todesursache bei dem Frühchen nachträglich festzustellen: „Man muss dazu gar nicht unbedingt den Keim finden“, so Huckenbeck, „es reicht im Zweifel, eine Entzündung nachzuweisen, die für den Tod ursächlich war“.
Weshalb das Kind überhaupt bestattet werden konnte, obwohl zu erwarten war, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen würde, nachdem die Charité am 9. Oktober das Gesundheitsamt Berlin-Mitte als Aufsichtsbehörde über mehrere Serratieninfektionen informiert hatte, ist zwischen den Beteiligten strittig. Die Staatsanwaltschaft gibt an, sie habe von der bereits erfolgten Beisetzung erst erfahren, als sie die Obduktion des Leichnams anordnen wollte. Das Deutsche Herzzentrum Berlin schweigt und verweist - unter Hinweis auf die laufenden Ermittlungen - auf die Staatsanwaltschaft.
Und die Charité? Sie tut inzwischen so, als habe sie mit ihrem kleinen Patienten nach dessen Verlegung ins - nur wenige Meter entfernte Deutsche Herzzentrum - nichts mehr zu tun gehabt: „Da das Kind im Deutschen Herzzentrum Berlin verstorben ist, hatte die Charité keine Kenntnisse von den näheren Umständen nach dem Tod des Kindes“, mailte eine Charité-Sprecherin am Sonntag der taz. Und: „Nach unserem vorläufigen Kenntnisstand wurde das Kind beigesetzt.“ Die Charité habe sich darüber hinaus nichts vorzuwerfen: „Bis zur Verlegung in das Deutsche Herzzentrum Berlin (DHZB) zur Operation wurden in der Charité keine Serratien nachgewiesen. Da das Kind im DHZB verstorben ist, hatte die Charité zunächst keine Kenntnisse vom Tod des Kindes, sowie den näheren Umständen.“
Zwei Frühchen entlassen
Wirklich? Noch bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz am vergangenen Dienstag hatten der Direktor der Charité-Klinik für Neonatologie, Christoph Bürer, und der Direktor der Klinik für angeborene Herzfehler am Herzzentrum, Felix Berger, ihre gute Zusammenarbeit bei der Betreuung hin- und her überwiesener Patienten betont. Und: Die Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité, Petra Gastmeier, ist auch für die Hygiene am Herzzentrum zuständig.
Und da soll die Charité nichts von den Keimen und von dem Tod des Kindes am Herzzentrum erfahren haben? Die Charité beharrt darauf: Die Feststellung der Todesursache - und damit gemeinhin die erste Weichenstellung dafür, ob zeitnah bestattet werden darf oder zunächst obduziert werden muss - sei „Sache der Ärzte des DHZB“.
„Sicher“, schrieb die Charité-Sprecherin der taz am Sonntag, sei „lediglich, dass in einer Blutkultur am 4.10. (ein Tag vor dem Tod) Serratia marcenscens nachgewiesen wurde.“ Mit den Eltern des verstorbenen Kindes hätten Ärzte der Charité wiederum am 21. Oktober Kontakt aufgenommen und am 24. Oktober ein Gespräch geführt. Die Staatsanwaltschaft habe die Charité am 23. Oktober über die Identität des Säuglings und den Wohnort seiner Eltern informiert - da lag das Kind schon 11 Tage unter der Erde.
Die Charité teilte am Sonntag mit, zwei Frühchen, die den Keim in sich trugen, aber nicht daran erkrankten, seien inzwischen nach Hause entlassen worden. Es gebe jetzt insgesamt noch sechs erkrankte sowie sechs lediglich mit Serratien „besiedelte“ Kinder in der Charité. Ihre Situation sei stabil. Das Deutsche Herzzentrum Berlin überließ es dem Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte, Christian Hanke, über die Situation seiner mit Serratien befallenen Patienten zu informieren.
Danach hat es am Herzzentrum seit dem Ausbruchsbeginn im September insgesamt fünf Serratien-Fälle gegeben, von denen vier Kinder erkrankten (inklusive des später verstorbenen Frühchens). Bei einem weiteren Kind wurden die Keime lediglich nachgewiesen, ohne dass eine Krankheit ausbrach. Ob und wieviele der Kinder zuvor in der Charité in Behandlung waren, ist weiterhin offen.
Unbekannt ist auch, ob die Serratien aus dem Herzzentrum zum gleichen Bakterienstamm gehören wie die in der Charité. Weil sowohl das Herzzentrum als auch die Charité den Ausbruch der Infektionen zu spät gemeldet hätten, drohte das Gesundheitsamt Berlin-Mitte den beiden Kliniken Bußgelder wegen Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz an.
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