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NULLRUNDE IM ÖFFENTLICHEN DIENST: DAS WÄRE EINE FRECHHEITGeld gibt’s allein für Reiche

Der Staat muss wirklich arm sein: Sogar seine Arbeiter und Angestellten kann er nicht mehr bezahlen. Also fordert der oberste Dienstherr, Innenminister Otto Schily, eine „Nullrunde“. Und droht Entlassungen an für den Fall, dass es doch zu leichten Lohnerhöhungen kommen sollte. Das ist ein ganz neuer Gedanke: Der Staat ist so pleite, dass er betriebsbedingte Kündigungen aussprechen muss.

Angesichts der immensen öffentlichen Schulden würde die kompromisslose Schily-Attitüde sogar überzeugen – wären da nicht noch Erinnerungen an den Wochenanfang. Montag: Bundeskanzler Schröder stellt seinen neuesten Coup vor; die Zinsbesteuerung wird umgestellt, Bestverdiener müssen jetzt nicht mehr 48,5 Prozent zahlen, sondern nur noch eine Pauschale von 25 Prozent. Kosten und Nutzen sind unklar, aber Betuchte sollen motiviert werden, ihre Steuern nicht mehr zu hinterziehen. Dienstag: Der Niedriglohnsektor wird ausgeweitet; Staat und Sozialkassen verlieren mindestens 2,5 Milliarden Euro – so die optimistische Schätzung der Bundesregierung. Das Experiment könnte jedoch leicht auch 5 Milliarden Euro jährlich kosten. Außerdem wird unbeirrt daran festgehalten, in einem Jahr den Spitzensteuersatz von 48,5 auf 42 Prozent zu senken. Auch das wird viele Milliarden verschlingen.

So arm kann der Staat also gar nicht sein, wenn er sich diese Geschenke gönnt. Was als Sachzwang verkauft wird, ist – wie immer in der Politik – eine Frage der Prioritäten: Krankenschwestern haben nicht die gleiche Macht wie die Lobby der Besserverdienenden. Und so ist es das allseits Bequemste, wenn die Angestellten im öffentlichen Dienst die Steuergeschenke finanzieren.

Das ist allerdings nicht die einzige Ungerechtigkeit. Sie setzt sich innerhalb des öffentlichen Dienstes fort: Verbeamtete Lehrer stehen sich netto bestens – weit besser meist als Akademiker in der freien Wirtschaft. Polizisten oder Justizvollzugsbeamte hingegen schieben anstrengende Nachtschichten und erhalten dafür nur einen Minilohn. Kurz: Über eine „Nullrunde“ für Lehrer oder Professoren könnte man diskutieren; eine Nullrunde für Krankenschwestern und Busfahrer ist eine Frechheit. ULRIKE HERRMANN

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