NS-Völkermord an Sinti und Roma: Die Vitrinen-Affäre
Das Landesschulamt in Wiesbaden will ein Schülerprojekt zur Geschichte der Sinti und Roma von der Liste der Gedenkorte streichen. Es hagelt Proteste.
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WIESBADEN taz | Der Abbau der kleinen Gedenkstätte, die im Jahr 2006 für die Sinteza Maria Theresia Lehmann in einer Wiesbadener Schule errichtet wurde, schlägt hohe Wellen.
„Der ganze Vorgang ist Ausdruck des Unwillens, verantwortungsvoll mit der Geschichte umzugehen“, sagte nun der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, in einer Erklärung. Gerade eine Schule müsse mit gutem Beispiel vorangehen und bei Kindern ein Bewusstsein für historische Verantwortung schaffen.
Den Vorfall an der Wiesbadener Schule hält Rose für beispielhaft „für den diskriminierenden Umgang mit dem NS-Völkermord an 500.000 Sinti und Roma.“ Von „einem unwürdigen Umgang mit dem Gedenken“ spricht auch die Wiesbadener Bundestagsabgeordnete Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD).
Die kleine Vitrine war das Ergebnis einer Projektarbeit, die die verstorbene Schulleiterin mit Schülern der vierten Klasse im Jahr 2006 erarbeitet hatte. Mit Fotos und Dokumenten zeichneten die Kinder den Weg der Sinti und Roma in die Vernichtungslager nach.
Kein Wort des Bedauerns
2008 wurde der Schaukasten wieder ausgeräumt. Und im Februar dieses Jahres schließlich wandte sich das Landesschulamt in Wiesbaden an das Dokumentationszentrum der Sinti und Roma mit der Bitte, den Ort auch von der Liste der Gedenkorte der Sinti und Roma zu nehmen.
Während die Schule unter Beschuss geriet, kommt von der Verantwortlichen im Landesschulamt kein Wort des Bedauerns. Stattdessen wird bestritten, dass es sich bei der Vitrine überhaupt um eine „Gedenkstätte“ gehandelt haben kann.
Während Romani Rose auf die Einladung von der Schule aus dem Jahr 2006 verweist, in der von der Eröffnung „unserer Gedenkstätte“ die Rede ist, spricht das Hessische Kultusministerium von einer „Schülerprojektarbeit“. Einen Antrag auf Einrichtung einer Gedenkstätte gab es nicht, sagt Sprecher Christian Henkes. „Braucht ein Gedenkort eine staatliche Anerkennung des Landes, um gegen Zerstörung geschützt zu sein?“, fragt Wieczorek-Zeul.
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