piwik no script img

NPD in OranienburgWer hat die bloß gewählt?

Seit Montag sitzt die rechte NPD im Stadtparlament von Oranienburg. Von den Wählern der Kreisstadt will es keiner gewesen sein. Eine Erkundung.

Oranienburg, OrangerieEr legt den Briefumschlag mit der Tagesordnung auf den Tisch, hängt seine braune Jacke über den Stuhl. Ganz rechts, ganz hinten haben sie den Tisch mit dem NPD-Schild hingestellt. Reimar Leibner setzt sich, verschränkt die Arme. Der Schnauzbart des 52-Jährigen ist nach oben gezwirbelt, die grauen Haare sind raspelkurz, er trägt einen kleinen Ohrstecker. Im Strickpullover starrt Leibner nach vorn und wartet.

Es ist eine feine Adresse, in der sich an diesem Montagabend das Oranienburger Stadtparlament konstituiert: die erst vor wenigen Jahren sanierte Orangerie im städtischen Schlosspark, zu Zeiten Friedrich des Großen noch königliches Festhaus. Hier beraten die Abgeordneten über die Geschicke Oranienburgs, der 40.000-Einwohner-Stadt nördlich von Berlin. Erstmalig wird auch die NPD dabei sein. 5,4 Prozent der Stimmen haben die Rechtsextremen bei der Kommunalwahl errungen. Das reichte für zwei Mandate.

Hinter Leibner auf den Besucherplätzen sitzt der NPD-Kreisvorsitzende Detlef Appel. Er wurde nicht ins Stadtparlament gewählt, sitzt aber seit der Wahl im Kreistag des Landkreises Oberhavel. Leibner steht noch mal auf, beugt sich zu Appel, tuschelt. Der Sitz neben Leibner bleibt leer. Eigentlich hätte hier Martin Buschner sitzen sollen. Einer der Jungen von der NPD, 23 Jahre, Maurer. "Hattet ihr nicht zwei Leute?", fragt ein Sitznachbar. "Verzogen nach Dresden", grummelt Appel. "Da rückt einer nach."

Germendorf, Dorfstraße

Ganz im Westen der Stadt liegt der Ortsteil Germendorf. Ein beschauliches Dörfchen, 1.716 Einwohner, 2003 von Oranienburg eingemeindet. Alte Backsteinscheunen und grau verputzte Fassaden, am Anger stehen die neuen Fertighäuser der Zugezogenen. Zwölf Prozent holte die NPD hier. So viel wie sonst nirgends im Landkreis.

Sieht so eine rechte Hochburg aus? Die Gehwege sind neu gemacht, es gibt drei Gaststätten, eine Dorfkirche, einen Baumarkt, ein Hotel und sogar einen Tierpark. Die Germendorfer schütteln mit dem Kopf oder verschwinden hinterm Haus, wenn man sie auf die NPD anspricht. "Eine Schweinerei ist das, ich verstehe das nicht", schimpft Edeltraut Bartel. Die 80-Jährige sitzt auf "ihrer" Bank am Straßenrand in der Herbstsonne. "Von uns in der Volkssolidarität hat bestimmt niemand diese Leute gewählt.

Das hohe NPD-Ergebnis müsse soziale Gründe haben, mutmaßt ein 35-jähriger Familienvater. Mit Pfeife und Jogginghose steht er am Spielplatz, behält die Kinder im Auge. Mit Ausländern gebe es jedenfalls keine Probleme. "Ich kenn nur den Fidschi vom Baumarkt, sonst hab ich hier keinen gesehen." Laut Einwohnermelderegister wohnen 27 Menschen ohne deutschen Pass in Germendorf.

Auch in der Dorfgaststätte "Zum Fröhlichen Landmann" hat man keine Erklärung. "Wahrscheinlich sinds die Alten, die umgekippt sind von der CDU zur NPD", sagt ein älterer Gast und nippt am Kristallweizen. Es müsse Frustration gewesen sein, mutmaßt Elfi Dalcke, 45 Jahre alt. Ihr Dorf sei doch eigentlich "eine Idylle". Marcel, 23 Jahre, behauptet zu wissen, wer die NPD in Germendorf wählt: Es seien die 30- bis 40-Jährigen, die Ex-Jungnazis und heutigen Familienväter. "Hängengebliebene", sagt Marcel. Früher habe er vor ihnen die Straßenseite gewechselt, heute würden die Nazis nur noch in der Kneipe oder auf dem Fußballplatz ihre Gesinnung raushängen lassen. "Es ist ruhiger um sie geworden."

Oranienburg, Orangerie

In der Orangerie hat die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung begonnen. Die Parlamentsvorsitzende begrüßt die neuen Abgeordneten. "Auf eine faire, sachliche Zusammenarbeit." Die Vorsitzende lässt abstimmen, ob die Tagesordnung wie veröffentlicht eingehalten wird. 32 Abgeordnete stimmen mit ja.

Einer stimmt dagegen - NPD-Mann Reimar Leibner. So geht das weiter - Vorsitz im Hauptausschuss, Anzahl der dortigen Sitze, Stellvertreter der Parlamentschefin - Leibner lehnt ab oder enthält sich. Als Einziger. "War das eine Ablehnung oder Enthaltung, Herr Leibner?", ruft die Vorsitzende. "Enthaltung", sagt Leibner.

"Oranienburg ist anders", wirbt Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke, ein SPD-Mann, bei seinen Auftritten. "Anders" als sein hartnäckiger Ruf: triste Vorstadt, hohe Arbeitslosigkeit, der Rechtsextremismus. Anfang der 90er-Jahre zündeten Rechtsextreme jüdische Baracken auf der Gedenkstätte des ehemaligen KZ Sachsenhausen an. 1992 ermordeten zwei rechtsradikale Skinheads einen 51-jährigen Oranienburger. Noch 2002 jagten Neonazis einen Tunesier durch die Stadt.

Auch heute noch wohnen hier führende NPD-Landespolitiker. Ihr Nachwuchs, die "Jungen Nationaldemokraten", organisierten "nationale Fußballturniere" und Rudolf-Hess-Gedenkabende. Und dann gründeten Jugendliche einen "Sturm Oranienburg".

Als die Polizei bei der inzwischen aufgelösten Kameradschaft Hausdurchsuchungen durchführte, fand sie Baseballschläger, Wurfmesser und eine Armbrust. Vor der Wahl steckte die NPD ihre bunten Faltblätter in die Briefkästen, plakatierte mehr als alle anderen Parteien die Laternenmaste: "Die Mark wählt deutsch".

Eigentlich gehört Oranienburg zu den märkischen Gewinnerstädten - mitten im nördlichen Speckgürtel der Hauptstadt gelegen, Kreisstadt des Landkreises Oberhavel, solide Wirtschaft, aufkeimende Kultur. Das städtische Barockschloss ist frisch herausgeputzt, neue Straßen und Brücken sind gebaut.

Die Stadt wird auf Vordermann gebracht für die Landesgartenschau im nächsten Jahr. Selbst ferne chinesische Investoren interessierten sich plötzlich für die Stadt. Sie wollten hier eine 500 Millionen teure Chinatown aus dem Boden stampfen. Das Projekt scheiterte am Geld, nicht an Oranienburg. Man hätte die fremden Gäste gerne empfangen, versichert Bürgermeister Laesicke.

Oranienburg, Südstadt

Es ist ein kleines blaues Häuschen, das Reimar Leibner bewohnt. In der Südstadt hat er sich niedergelassen. Lauter Einfamilienhäuser, hohe Hecken, dazwischen Wochenendgrundstücke der Berliner. Eine kleine Treppe führt zu Leibners weißer Haustür, der Carport ist mit Fahrrädern, Rasenmähern und Gerümpel zugestellt.

Leibner ist schon lange mit der NPD verbunden. 1998 gehörte er zu den Mitgründern der NPD Oberhavel, in den Anfangsjahren war er ihr Vorsitzender. Der 52-Jährige ist Familienvater, Tischler und tritt bei den Oranienburger Schlossparkläufen an. "Der Reimar ist bei der NPD? Keine Ahnung." Die Nachbarin zuckt mit den Schultern. Eine große Familie habe er, man grüße sich, mehr nicht. Ein anderer Nachbar weiß mehr: Ein Einzelgänger sei der Leibner und ein "richtiger Deutscher". - "Seine Kinder und Haustiere haben alle deutsche Namen."

Nur wenige Spazierminuten entfernt erhielt die NPD im Wahllokal der städtischen Förderschule 10,1 Prozent der Stimmen. Das weiß man sich auch in der Südstadt nicht zu erklären. "Vielleicht Protest", vermutet Rico Paps, ein Endzwanziger. "Frustrierte, Naive", sagt eine 37-Jährige mit Hund. Ein Mittvierziger verweist in die Nachbargegend: "Gehen Sie mal rüber ins Getto, wo die Russen wohnen. Dann wissen Sie, warum."

Oranienburg, Mittelstadt

Die "Russen" sind Spätaussiedler aus Kasachstan, Usbekistan oder Sibirien. Rund 1.200 von ihnen haben in den Neubaublocks in der Stadtmitte eine Wohnung gefunden. Dazwischen wohnen oft auch die, die keine Arbeit haben. "Die Spätaussiedler leben hier in einer Art Parallelgesellschaft", sagt Hans-Ulrich Krause.

Der Mann mit dem Lockenkopf und Schnauzbart hat sein Büro mitten zwischen den Blocks. Als Mediator, zwischen Einheimischen und Spätheimkehrern, als Begeisterer für die jeweils andere Kultur soll der Mitarbeiter vom Zivilen Friedensdienst wirken. Stattdessen spricht er von "Blockadekräften auf beiden Seiten", von "gespürten Vorurteilen", von "einem Nährboden für rechtsextreme Ressentiments".

Ganz bewusst hatte die Stadt vor drei Jahren in die Mittelstadt ihr Bürgerzentrum gebaut. Erst vor wenigen Wochen hängte Bürgermeister Laesicke neben der Tür ein Schild auf: "Ort der Vielfalt". Mit diesem Titel ehrte das Bundesfamilienministerium Oranienburg - für seinen demokratischen Einsatz der vergangenen Jahre. Antirassismusdemonstrationen hatte die Stadt veranstaltet, Stolpersteine zum Gedenken an NS-Opfer verlegt, Netzwerke und ein Forum gegen Rechtsextremismus gegründet. Eine Woche vor der Kommunalwahl zog ein bunter Karnevalszug aus städtischen Vereinen, Schulen und Kirchen durch die Stadt - um für ein demokratisches Wahlvotum zu werben.

Oranienburg, Orangerie

Eine gute Stunde, dann ist die Sitzung des Stadtparlaments beendet. Reimar Leibner schiebt seine Papiere wieder in den Umschlag. Die Abgeordneten versammeln sich vor der Orangerie zum Gruppenfoto. Leibner steht abseits, links neben dem Bürgermeister. Zwei Parlamentarier würden noch dazwischen passen. "Für heute bin ich zufrieden", sagt er. Dann schiebt ihn der NPD-Kreischef weg. "Wir geben keine Interviews." Zusammen trotten beide aus der Orangerie. Keiner verabschiedet sich von ihnen.

"Wir dürfen uns nicht verkriechen vor Schreck über den Einzug der NPD", sagt Bürgermeister Laesicke. Man müsse die Rechten demokratisch und argumentativ entlarven. "Die NPD hat hier keinen Platz, das müssen wir zeigen. Abstimmungen, in denen die NPD das Zünglein an der Waage spielt, dürfe es nicht geben.Frank Rzehaczek von der CDU nickt. Zuversichtlich schwingt sich Bürgermeister Laesicke aufs Fahrrad. "Die Bürger werden sehen, dass außer Geschrei nichts hinter der NPD steckt."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!