NPD-Chef Udo Voigt: Sein Kampf
Seit zwölf Jahren, erstaunlich lange für die NPD, hält sich Udo Voigt an der Spitze. Für den Parteitag Ende Mai schickt die Basis Konkurrenten ins Rennen. Die wären noch extremer.
BERLIN-KÖPENICK/BAD SAAROW taz Die Tür geht auf, wortlos reicht der Mitarbeiter ein Fax herein. Auf dieses Schreiben hat der Parteichef lange gewartet. Es ist der Mietvertrag. Endlich! Ende Mai soll in der Bamberger Kongresshalle der NPD-Bundesparteitag stattfinden, Udo Voigt blättert hastig durch die Seiten. Sein Mund verzieht sich zu einem breiten Lächeln. Es ist jene angestrengte Miene, die er oft trägt in der letzten Zeit. Vor allem dann, wenn es nichts zu lachen gibt. So wie jetzt.
April 1952: Udo Voigt kommt in Viersen zur Welt, er wächst als Einzelkind auf. Sein Vater, ehemaliges SA-Mitglied, arbeitet als Fahrer für die britische Rheinarmee. Noch als Schüler tritt Voigt 1968 der NPD in Viersen bei.
März 1996: Nach seinem Aufstieg zum NPD-Landesvorsitzenden in Bayern und zum Bundesvorstandsmitglied gelingt Voigt der Vorstoß an die Parteispitze. Beim Bundesparteitag in Bad Dürkheim setzt er sich mit 88 zu 86 Stimmen gegen seinen Vorgänger Günter Deckert durch.
24./25. Mai 2008: Beim Bundesparteitag der NPD in der Bamberger Kongresshalle wird der Vorstand neu gewählt. Udo Voigt kämpft darum, nach zwölf Jahren noch einmal von den Delegierten zum Parteichef gekürt zu werden.
Die Stadt Bamberg fordert 100.000 Euro Kaution für die Halle. 100.000 Euro! Wo doch jeder weiß, dass die NPD vor lauter Schulden schon ihre Mitglieder anbettelt. Voigt sagt: "Die werfen uns Knüppel zwischen die Beine, wo sie nur können." Er sieht angespannt aus.
Es ist sind ja nicht nur Bamberger Bürokraten, mit denen er sich herumschlägt. Auch in der NPD gibt es Ärger. Und die Kameraden tun ihm nicht den Gefallen, die Streitereien diskret zu behandeln. Seit Wochen berichtet die Presse über einen "Machtkampf" an der NPD-Spitze - es geht um seinen Posten, auf dem er sich seit zwölf Jahren hält. Als Vorsitzender der radikalsten unter den rechtsextremen Parteien in diesem Land. Erst ließ der NPD-Fraktionschef im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, erklären, die Parteiführung zu übernehmen. Zwei Tage später schloss sich dessen Pressesprecher Andreas Molau an. Inzwischen hat die Basis eine ganze Reihe Gegenkandidaten vorgeschlagen. Ist Udo Voigt, gelernter Metallflugzeugbauer, 56 Jahre, am Ende?
Nein, sagt der NPD-Chef, die "Führungsfrage" stelle sich gar nicht. Er hält die Arme vor dem Bauch verschränkt. Er lächelt mal wieder.
Es ist ein strahlender Frühlingstag in Berlin-Köpenick, Voigt hat die Jalousien vor den Fenstern seines Büros im ersten Stock der Parteizentrale heruntergelassen. Hier drinnen in dem schäbigen Altbau hat er sich sein kleines Reich geschaffen. Es könnte die Kulisse für eine Führer-Klamotte sein. Fahnen stehen in einem Halter hinter seinem Sessel, an der Wand hängt eine Karte des Reiches aus anderen Zeiten, und wenn der NPD-Chef aufschaut, blickt ihn eine Bismarck-Büste an.
Udo Voigt vergleicht sich gerne mit dem Reichskanzler. Der ist weniger heikel als Hitler. Schon als Grundschüler habe er sich für Bismarck begeistert. "Er ist für mich ein politisches Vorbild", sagt Voigt ehrfürchtig. "Er war auch ein Offizier und Soldat." Der Gedanke ans Militär bringt ihn ins Schwärmen. Er habe in seiner Jugend "Kriegsliteratur" verschlungen - auch jene, die ihm sein Vater, ein SA-Mann und Wehrmachtsveteran, hinlegte. Voigt seufzt. "Ich wäre lieber Offizier als Parteivorsitzender."
Zwölf Jahre hatte Voigt bei der Bundeswehr gedient, bevor er rausflog, nachdem er rechtsextrem agitiert hatte. Es war ein Kosmos, wo Befehl und Gehorsam galten - und wo es nicht nötig war, den Demokraten zu spielen. "In der Partei muss man jede Entscheidung vorbereiten, man muss sie diskutieren und ist einem Hinterfragungsprozess ausgesetzt." Für die Demokratie hatte Voigt noch nie etwas übrig - außer Verachtung. "Beim Militär wird gesagt: So wird es gemacht. Und wer nicht mitmacht, der wird vorläufig festgenommen", schwärmt er. "Dann ist die Sache erledigt."
So wie sich seine Truppe dieser Tage benimmt, wären wohl einige Parteifreunde reif für den Arrest.
Würde Voigt gestürzt und durch Pastörs ersetzt, droht eine weitere Radikalisierung der NPD. Unter anderem deshalb halten Fachleute in den Sicherheitsbehörden einen Abgang Voigts beim Parteitag für unwahrscheinlich. Bisher gebe es "keine ernsthaften Anzeichen für eine Palastrevolution", urteilt ein hochrangiger Beamter. "Die Signale stehen eher auf Kontinuität." Eine Einschätzung, die andere Verfassungsschützer teilen. Die Mehrheit der NPD-Delegierten seien "Traditionalisten", denen sei ein unkontrollierter "Demagoge" wie Pastörs "schwer vermittelbar".
Man muss die zwei nur gemeinsam erleben. Beide gleich alt, beide Wessis. Doch an Pastörs Seite wirkt Voigt wie ein altersmüder Schäferhund neben einem jungen Terrier: Voigt schreitet, Pastörs wieselt. Voigt neigt zu zähen Referaten, Pastörs liebt provokante Reden.
So wie kürzlich, bei einer Protestaktion gegen die Innenministerkonferenz im brandenburgischen Bad Saarow. Voigt liest aus dem Grundgesetz vor, seine Rede zieht sich, die ersten Kameraden gähnen, da trifft mit halbstündiger Verspätung Pastörs ein. Klein, drahtig, akkurat gescheitelt. Im Stechschritt stürzt er auf den Parteichef zu, streckt ihm die Hand entgegen, verbeugt sich so tief, als sei er am japanischen Hof in die Lehre gegangen, und reiht sich artig ein in den Halbkreis rechtsextremer Zuhörer. Als Pastörs schließlich selbst ans Mikrofon darf, wedelt er nicht mit dem Grundgesetz, er beschimpft lieber den Bundestag als "Knesset an der Spree". Da wachen auch die Provinzneonazis am Straßenrand wieder auf.
Fragen nach seinen Ambitionen weicht Pastörs aus. "Politik ist dynamisch, nicht statisch", orakelt er in eine TV-Kamera. Und dass er "notfalls" bereit stehe - "wenn die Partei mich ruft". Sein Bückling vor dem Chef, eine gespielte Geste der Demut? Udo Voigt hört dem Parteifreund aufmerksam zu. Er schweigt. Lächelt.
Ein paar Tage später gibt Voigt sich siegesgewiss. Keiner habe bisher im NPD-Präsidium eine Gegenkandidatur angemeldet. "Und man würde dem Vorsitzenden doch wenigstens sagen: Ich beabsichtige gegen dich anzutreten!"
Gemessen an seinen Vorgängern hält sich Udo Voigt erstaunlich lange an der Spitze der NPD - seit 1996, als er sich knapp gegen seinen Vorgänger Günter Deckert durchsetzte. Der saß damals im Gefängnis, die Partei war ein desolater Haufen. Unter Voigt hat sie ihre Mitgliederzahl fast verdreifacht, während die "Republikaner" und die DVU schrumpften. Sie zog in zwei Landtage ein, erwarb sich in einigen Gebieten im Osten den Ruf als akzeptierte Regionalpartei.
Voigt kann, was wenige in der Szene beherrschen: zwischen den Parteiflügeln vermitteln. Er gilt als politisches Chamäleon besonderer Art, er vermag jederzeit sein Erscheinungsbild anzupassen - von hellbraun bis dunkelbraun. Voigt ist ein Rassist und ein Verfassungsfeind, der mit seiner Verherrlichung der NS-Zeit schon öfter die Staatsanwaltschaft hellhörig machte, der Hitler als "großen deutschen Staatsmann" pries und die Bundesrepublik "abwickeln" will. Aber er weiß genau, wo die Grenze verläuft. Wenn er öffentlich redet, dann mit einer Schere im Kopf.
Er ist ein pragmatischer Extremist, ein personifizierter Kompromiss. In seiner Amtszeit gewannen junge, militante Neonazis in der NPD an Einfluss - gleichzeitig besänftigte Voigt die alten Kader und schmiedete obendrein den "Deutschland-Pakt", ein Wahlbündnis mit der Altherrenpartei DVU. Wie elastisch Voigt seine Position anpasst, zeigt der Streit um den Vertrag mit der DVU. Seit Monaten fordert die NPD-Basis, der DVU entgegen den Absprachen bei der Landtagswahl in Thüringen doch nicht den Vortritt zu lassen. Voigt ließ die eigenen Leute abblitzen. Doch jetzt, kurz vor dem Parteitag, verkündet der NPD-Chef plötzlich die Wende: Der Pakt mit der DVU werde nachverhandelt.
Voigts strategischer Schwenk dient wie so oft dem eigenen Machterhalt. Er will um jeden Preis Zoff beim Parteitag verhindern. Auch weil seine Bilanz der vergangenen Monate alles andere als glanzvoll ausfällt. Bei Wahlen im Westen blieb der Durchbruch aus. Die Finanzlage der Partei ist wieder mal brenzlig. Und seit Februar sitzt auch noch der Schatzmeister in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Erwin Kemna, 627.000 Euro von NPD-Konten abgezweigt zu haben. Sicherheitskreise orakeln zwar, der Fall werde vermutlich eine "kleinere Nummer" als gedacht. Sollten die Ermittler aber vor dem Parteitag doch noch brisante Fakten auftischen, die auch Voigt betreffen, dann könnte es für ihn vorbei sein.
Denn Kemna gehört zu jenen Funktionären, mit denen der NPD-Chef dicke war. Er steht bis heute zu ihm. Voigt sagt, er habe von dessen Methoden "kreativer Geldbeschaffung" gewusst. Er erzählt sogar, dass der Schatzmeister ihm aus dem Gefängnis schreibe, "nette, freundlich gehaltene Briefe". Gerade erst habe Kemna ihm zum Geburtstag gratuliert. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das Vertrauen missbraucht hat."
Udo Voigt hat viele Affären ausgesessen. Er zählt zu den Meistern dieser Disziplin. Er redet sich weiter ein, dass er "große Aufgaben" vor sich hat. Berufen ist, "das deutsche Volk zu bewahren".
Selbst wenn er es auf dem Weg durch die Institutionen so weit noch nicht gebracht hat. Seit Herbst sitzt Voigt im Bezirksparlament Treptow-Köpenick, letzte Reihe. Er darf sich Bürgerfragen zu Hundeauslaufgebieten anhören und über Tempo-30-Zonen abstimmen.
Dreieinhalb Stunden vergehen, bis der NPD-Chef an diesem Aprilabend seinen ersten Auftritt hat. Im dunkelblauen Anzug steht er vorne am Mikrofon. "Meine sehr verehrten Damen und Herren", hebt Voigt an - um dann im getragenen Ton seinen Antrag zu begründen. Es geht darin auch um Nöte des deutschen Volkes, allerdings ziemlich kleine, gemessen an Voigts Zielen. Die NPD verlangt die "Aufstellung öffentlicher Toiletten" - "barrierefreie", wie Voigt in seiner Rede anmerkt. Keine Chance, die Demokraten im Saal stimmen geschlossen dagegen. Der Vorstoß für mehr Klohäuschen im Bezirk scheitert.
Zumindest diese Niederlage aber wird Voigt wohl nicht lange grämen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos