: NEVER BECOME AN ADULT
■ Lindy Annis mit einer neuen Performance-Reihe
Sie trägt ein Lotterhemdchen, wie es sonst nur Zausels über die Hose hängen lassen, eine kniekurze Hose, aus der die dünnen Waden hervorstaksen, graue Söckchen und derbe Schuhe, kurz, die richtige Kleidung, um die Förmchen aus der Spielkiste zu holen und mit Mutters Segen im Sandkasten zu verschwinden. Auch als sie vor dem zweiten Teil ihrer kurzen und schmerzhaften Aufführung ins kleine Rote schlüpft, wirkt sie noch wie frisch vom Spielplatz. Lindy Annis startet zu einer neuen Performance-Reihe, weg von ihrem jugendlich chaotischen Aufbruch mit Reisekoffer, hin zur Midlife -crisis.
Fünfundzwanzig ist ein gutes Alter für die erste Midlife -crisis. Bezeichnend für die Krise Mitte zwanzig sind die ersten grauen Haare, die ersten Falten, die sich unter den Augen und um den Mund eingraben, die merkwürdigen Hautwülste, die sich hier und da gebildet haben. Aber gleichzeitig, und das ist ja das Gemeine, sind die letzten Pubertätspickel noch nicht verschwunden. Der junge Mensch befindet sich also an der Grenze zwischen Jugend und dem scheußlichen Erwachsenendasein, die er oder sie doch nie überschreiten wollte. Und nun schleichen sich schon all die Verhaltensweisen Woody Allenscher Stadtneurotiker in das eigene Leben ein. Das ist es, was die „quarter-life-crisis“ hervorruft.
Genau an diesem Punkt ihres Lebens muß Lindy Annis angekommen sein. Zeit, ihre ersten fünfundzwanzig Lebensjahre zu überdenken und die Gegenwart unter die Lupe zu nehmen. Atemlos läuft Lindy Annis von einer Ecke des Raumes in die andere und zählt: one, two, three, four, five, seven, nine, fifteen - was wollte sie in dem Alter nicht alles werden! Model, a writer, a secretary, a money-maker, a bus-driver (of course, wer wollte nie LokomotivführerIn werden?), und wie all die schönen Berufe heißen, von denen Kinder träumen. Noch war die Welt in Ordnung. Nur manchmal, da störte etwas die heile Welt, ein überfahrenes Nachbarskind auf der Straße zum Beispiel. Solch ein Erlebnis wurde dann ganz schnell in die Verdrängungskiste geschoben. Aber in der „quarter-life-crisis“ tauchen die Bilder wieder auf.
Verlieren konnte sie als Kind nie, sagt Lindy Annis und springt über imaginäre Hüpfekästchen. Sie beteiligte sich prinzipiell nur an Spielen, bei denen sie gewann. Das hat im „Erwachsenenleben“ gefälligst immer noch zu funktionieren. Warum sonst gehen die Großen in die Spielkasinos und versuchen solange zu gewinnen, bis sie letztendlich verloren haben? Auch Lindy Annis wird erwachsen. Rot ist ihre Farbe, erklärt sie mit verzerrtem Gesicht, auf Rot setzt sie und mit Rot gewinnt sie. Natürlich hilft solch ein Trotz nicht gegen das klug berechnende Gewinnsystem einer Spielbank.
Schwierig ist es, ein Kraut zu finden, das gegen das Erwachsenenwerden gewachsen ist. Wie an einen Strohhalm klammert sich Lindy Annis daran, daß sie immer noch von der Hand in den Mund leben und schwarz U-Bahn fahren muß, während ihre Altersgenossen längst a secretary oder a money -maker geworden sind.
Luftballons fliegen aus Überraschungskisten und müssen zerplatzen. Das „Liebes„-Leben zweier Verheirateter saust in einer Folge loser Blätter mit Kinderzeichnungen vorbei Bett, Schrank und eins, zwei, drei, ganz viele kleine Kinder. Fünfundzwanzig ist Lindy Annis, schlägt sich die Hand vor den Kopf und fällt um, 28 und bang und die Hand schlägt den Kopf mitsamt der Lindy Annis zu Boden, und 33 und bang, und dann geht es wieder rückwärts: 28, 25 usw. Das schmerzte schon beim bloßen Zuschauen, nicht nur der Schläge gegen den Kopf wegen, sondern weil sich die Befürchtung einschlich, daß das eigene Älterwerden nicht anders als so „bang“ gegen den Kopf fortschreiten könnte oder gar schon so fortgeschritten ist. Die Versuchung, darüber leise zu heulen, ist groß. Doch Lindy Annis‘ plakative Performances sind so charmant, daß ein Mundwinkel sich das Lächeln einfach nicht verkneifen kann.
Claudia Wahjudi
Lindy Annis zeigt die nächsten drei Teile am 12.-14.5. (Food and fun), 19.-21.5., (Fun in bars) und 26.-28.5. (All about me) in Berlin-Mitte, Friesenstraße 23, 1-61, jeweils um 21 Uhr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen