NACHRUF: Ruhe sanft, Liste neun
Ein Beiratsmandat in Obervieland ist der größte Erfolg der großspurig gestarteten Formation "B+B" in Bremen. Sie will irgendwie weiter machen - mit wem, ist unklar
12.352. Das ist, in Stimmen gemessen, der exakte Erfolg der Wählervereinigung Bremen + Bremerhaven (B+B) bei der Bürgerschaftswahl. Das ist mit weniger als ein Prozent nicht einmal ein Zehntel dessen, was offiziell als Wahlziel ausgegeben wurde.
Der größter Erfolg von B+B: Elke Scharff, 65, Rentnerin wird in den Beirat Obervieland einziehen, in dem sie früher schon mal für den SPD-Rechtsausleger "Arbeit für Bremen" (AfB) saß. Es ist das einzige Stadtteilparlament, in dem B+B vertreten sein wird. Sieht man einmal von der zersplitterten Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven ab, in die es auch Sinan Yesil geschafft hat, ein 32-jähriger, in Bremerhaven geborener Werftarbeitersohn, der mal Boutiquebesitzer war und derzeit Vertriebsleiter eines Leuchtmittelherstellers ist.
"Ich bin überhaupt nicht enttäuscht", sagt Bernd-Artin Wessels, Kopf des Vereins "Selbstständiges Land Bremen" aus dem die B+B hervorging. Deren offizielles Wahlziel sei von Anfang an illusorisch gewesen, sagt der Mann, der früher mal designierter CDU-Wirtschaftssenator war. Aber dass B+B die Fünf-Prozent-Klausel würde knacken können - doch, daran hat Wessels schon ernsthaft geglaubt. Einige andere auch, noch am Wahlabend. "Es gibt hier derzeit keinen Markt für bürgerlich-konservative Politik", bilanziert der Kaufmann heute. Sein Verein, der gerade 18 Mitglieder hat, werde auf jeden Fall weiter machen. Und wenn das auch für B+B gelte, hätten die auf jeden Fall weiter seine Unterstützung. Ansonsten sei "Selbständiges Land Bremen" aber überparteilich, offen für andere, sagt Wessels. Und dass er auch mit der "intern zerfleischten", "unglaubwürdigen" CDU reden würde. Aber bislang sei die nicht auf ihn zugekommen.
Auf der Website von B+B gibts das Wahlergebnis noch nicht. Dort befindet man sich noch im Wahlkampf. Der muss teuer gewesen sein: Oft hat B+B großformatige Farbanzeigen im Weser-Report geschaltet. Laut Preisliste hätten die mehrere tausend Euro gekostet. Wer das wohl zahlt? Wahlkampfkostenerstattung gibt es laut Gesetz ja erst ab 1,0 Prozent. Also nicht für B+B.
"Natürlich machen wir weiter" - dieser Satz ist derzeit von vielen bei B+B zu hören. Aber mit wem? Das ist derzeit noch offen. "Was ich politisch weiter mache, behalte ich mir vor", sagt etwa Axel Adamietz, der auf Platz vier kandidierte, aber auch schon 1979 für die Bremer Grüner Liste, später dann für die FDP im Parlament saß. "Ob ich weiter mache, wird die Zeit zeigen", sagt Thomas Blaeschke, Intendant des Waldau-Theaters, Listenplatz zwei. Er sinniere gerade.
Diese Wahl sei keine Abstimmung über das Programm von B+B gewesen sei, sagt Adamietz. Eher eine über Personen. Es habe "ein Zugpferd" gefehlt, sagt Wessels. Spitzenkandidat Michael Busch, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer bekam nur 643 Personenstimmen. Die AfB, das oft genannte Vorbild, bekam 1995 aus dem Stand 10,7 Prozent.
Viele Menschen hätten eben "nicht begriffen", wie sehr die Selbständigkeit Bremens bereits in Gefahr sei, sagt Wessels. Auch die Medien nicht, rügt Adamietz. "Unsere Themen sind richtig", beharrt er. Ein Beleg: Keine zwei Tage nach der Wahl sei Bremen "unter das Kuratel" des Stabilitätsrates gestellt worden. Neben der Linkspartei sind B+B die einzigen, die den Konsolidierungskurs strikt ablehnen. Stattdessen hätte Bremen erneut beim Verfassungsgericht klagen sollen: Bis 2020 habe das Land "berechtigte Ansprüche" auf 4,6 Milliarden Euro. "Rot-grün hat vor der Wahl nicht in die Wahrheit in der Finanzpolitik gesagt", so Adamietz. Er habe darauf vertraut, dass es trotzdem genügend Menschen gebe, die eine "realistische Einschätzung" hätten. Sieht mans so, waren es genau 12.352.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?