NACH DEM RABATTGESETZ: DAS FEILSCHEN WIRD SCHWIERIGER: Neuer Zwang zum Preisvergleich
Seit Beginn der Woche stört das Rabattgesetz nicht mehr. Wer den Preis verhandelt, ist jetzt König! Zeitungen und Fernsehen präsentieren uns die neue Leitkultur am Ladentisch: fahrende Händler, die über jeden Preis mit sich reden lassen – und sich gar nicht erst die Mühe machen, Etiketten auf ihre Waren zu kleben. Ein Volk büffelt nun den Feilsch-Knigge: „Hart, aber herzlich“ sei die beste Taktik, werden wir belehrt.
Was ist eigentlich am Feilschen so schön? Wer in die Abgründe dieser Kulturtechnik blicken will, dem sei ein Besuch in der Chinatown von San Francisco empfohlen. Dort reiht sich ein Elektronikgeschäft ans nächste. An Taschenrechnern, Videokameras und CD-Playern prangen Preisschilder mit Mondpreisen – bis zu viermal höher, als das Produkt wert ist. Dann kommt der Verkäufer mit einem „tollen Angebot“: Wie wäre es mit dem halben Preis? Und nun muss man mühsam die Ware auf den eigentlichen Preis herunterhandeln. Das dauert schon mal eine halbe Stunde. Vielleicht hat man so viel Zeit, wenn man eine Kamera kauft. Wenn man bloß einen Objektivdeckel benötigt, kann einen das schon in den Wahnsinn treiben.
Früher konnten wir uns wenigstens beim Einkaufen entspannen – jetzt wird auch das zur Schufterei. Spätestens an der Kasse packt einen die Furcht, man könnte über den Tisch gezogen werden. Etwas verpassen. Ist die Uhr wirklich 150 Mark wert? Oder nur 130? So mutieren bislang unauffällige Kunden zu pöbelnden Angstfeilschern.
Wen hat eigentlich das Rabattgesetz ernsthaft beim Feilschen gestört? Es gab ja auch hierzulande schon Ausnahmen: in allen kleinen Läden, wo man sehr viel oder sehr teuer einkaufte. Kaum jemand, der den „Listenpreis“ beim Autohändler noch ernst nahm und den Laden verließ, ohne ein paar Extras oder eine kostenlose Inspektion ausgehandelt zu haben. Und wer sich in seiner Lieblingsboutique für 1.000 Mark neu einkleidete, brauchte schließlich bloß charmant zu fragen, ob es das dritte Hemd nicht billiger gibt? Meist mit Erfolg.
Wer das im Moment versucht, hat’s freilich schwer. Unübersehbar die neue Entschlossenheit in den Augen der Verkäufer: getrimmt auf Abblocken. Ein handelsweiter Präventivschlag, damit der aktuelle Basarwahn ja nicht einreißt. Hoffentlich halten sie durch: Feilschen ist nur schön, solange es die Ausnahme bleibt. Alles andere bedeutet Arbeit – und einen Verlust an Transparenz. Die Preis vergleichen zu können, das ist schließlich die schärfste Waffe des Kunden. In San Franciscos Chinatown kaufen übrigens nur Touristen. Einheimische bevorzugen Geschäfte, die auf Rabattgesuche schlicht sagen: „Wir sind am günstigsten, vergleichen Sie doch selbst.“ MATTHIAS URBACH
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