■ Die Soziologin Ute Gerhard zur geplanten CDU-Quote, „Quotenfrauen“ und „männlichen Normalbiographien“: Mut, Kraft und Quote
Ute Gerhard lehrt an der Universität Frankfurt/M. Soziologie mit dem Schwerpunkt Frauenarbeit/ Frauenbewegung und hat dazu zahlreiche Aufsätze und Bücher veröffentlicht.
taz: Frau Gerhard, Sie haben geschrieben, Gleichheit muß immer erst gefordert und hergestellt werden. Ist in diesem Zusammenhang die Quote, wie sie bei den Grünen und der SPD existiert, ein ideales Instrument?
Ute Gerhard: Da sich trotz der verfassungsrechtlich garantierten Gleichstellung freiwillig keine gleiche Repräsentanz von Frauen herstellt, ist die Quote eine rechtliche Vereinbarung, die für eine bessere Vertretung der Frauen sorgt. Auch wenn die Quote einen gewissen Zwangscharakter hat, ist sie letztlich das einzige Mittel, das wir haben, wenn wir keine Gewalt anwenden wollen.
Nun ist die Quote aus vielen Gründen bei vielen unbeliebt. Selbst bei denjenigen, denen sie helfen soll. Keine will die berühmte „Quotenfrau“ sein. Wären Sie gern eine „Quotenfrau“?
Ich fände das überhaupt nicht schlimm. Die „Quotenfrau“ gehört zum Vokabular der Gegner. Das müssen wir uns nicht zu eigen machen. Sobald mit Hilfe der Quote in politischen Gremien die Hälfte aller Mitglieder Frauen sind, kann man außerdem nicht mehr von „Quotenfrauen“ sprechen.
Zum Teil grenzen sich selbst SPD-Politikerinnen vehement von der Quote in ihrer Partei ab und betonen, sie seien keine Quotenfrau, beispielsweise die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis.
Manche Frauen haben offensichtlich Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität. Anders kann ich mir das nicht erklären. Männer würden nie sagen, ich bin nur ein Quotenmann. Dabei existiert bei den Professuren seit Jahrzehnten eine 97prozentige Männerquote. Ein Amt wie das des Bundeskanzlers ist seit Bestehen der BRD 100prozentig männerquotiert. Es ist längst an der Zeit, daß Männer für eine Übergangsphase Benachteiligungen in Kauf nehmen.
Sie haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit der Geschichte des Rechts befaßt. Welche Dynamik haben in diesem Zusammenhang Gesetze wie solche, die Quoten festschreiben?
Mit der Quote haben wir keine Rechtserfahrung. Allerdings gibt es genügend Erfahrung mit den mühsamen Schritten hin zu mehr Gleichberechtigung. Dabei war das Recht für die Veränderung der Situation von Frauen nicht unerheblich. Seit den Kämpfen der ersten Frauenbewegung Ende des vorigen Jahrhunderts gibt es in vielerlei Hinsicht Errungenschaften für Frauen; 1919 in staatsbürgerlicher Hinsicht, seit 1949 auch im Privatrecht. Mit der Reform des Ehe- und Familienrechts von 1977 sind dann all diejenigen Forderungen endlich eingelöst worden, die Frauen schon um 1900 eingefordert hatten.
Gesetze können also soziale Wirklichkeit verändern?
Auf lange Sicht schon. Frauen können sich auf das Recht berufen. Was die einzelne daraus macht, ist letztlich eine Frage ihres Mutes und ihrer Kraft. Bedeutsam ist aber vor allem, daß es nicht die einzelne alleine erkämpfen muß, sondern daß es auf der Basis einer allgemeinen Vereinbarung geschieht. Nachdem Frauen heute per Gesetz als Gleiche anerkannt sind, geht es jetzt um das, was Gleichberechtigung praktisch im Leben von Frauen bedeutet. Wir können uns die Maßstäbe für das, was gleiches Recht ist, nicht von der herrschenden Meinung vorgeben lassen. Denn die orientiert sich an männlicher Lebensweise und männlicher Normalbiographie. Selbst das Recht kann sich Gleichberechtigung nur als Angleichung an die Mannesstellung vorstellen. Doch Gleichberechtigung ist nicht Angleichung. Es geht um die Gleichberechtigung in der Differenz. Frauen sollten ihr Recht auf Verschiedenheit selbst bestimmen.
Heute wird die CDU auf ihrem Parteitag darüber streiten, ob sie eine parteiinterne Quote einführt oder nicht. Teilen Sie die Einschätzung, daß ein Quotierungsbeschluß bei der CDU ein Quantensprung in der Gleichstellungspolitik wäre?
Das halte ich für übertrieben. Wir sollten von einem solchen Mittel keine Wunder erwarten. Wenn die CDU als letzte große Volkspartei endlich zu einer Quotierung stehen würde, dann würde das natürlich auch die Verhältnisse verändern. Ich sehe allerdings noch nicht, daß die CDU diese Quote tatsächlich innerparteilich durchsetzt. Außerdem ist mir dieses Quorum von einem vagen Drittel, das da für vier Jahre bis 1999 vorgesehen ist, zu verschwommen. Davon erwarte ich wirklich nicht viel. Es käme darauf an, diese Rechtsregel härter zu formulieren. Gerade bei den Listenplätzen und in den entscheidenden Gremien muß eine feste Beteiligung von Frauen vorgesehen werden.
Die Gegner und Gegnerinnen der Quote innerhalb der CDU argumentieren damit, daß die CDU eine Partei der Freiheit sei. Da könne man nicht solche Zwangsmaßnahmen anwenden.
In unserer Verfassung hat die Gleichheit ebensolch einen Rang wie das Recht auf Freiheit. Gleichzeitig ist verfassungsrechtlich erwiesen, daß zwischen den Werten Freiheit und Gleichheit ein Spannungsverhältnis existiert. Eine absolute Gleichheit auf Kosten der Freiheit ist nicht wünschenswert, aber das gilt umgekehrt ebenso. Die Freiheit, von der die CDU spricht, kann sich ja nur verwirklichen, wenn die Basis für gleiche Handlungsmöglichkeiten gegeben ist, wenn es gleiche Bedingungen gibt. Ohne gleiche Ausgangsbedingungen bleibt Freiheit absolut hohl, bleibt sie eine Ausrede für das Recht des Stärkeren.
Die Forderung nach gleicher Teilhabe, nach einer Quotierung kommt aus der Frauenbewegung und hat nach und nach Eingang in die Politik gefunden. Gleichzeitig ist die Quote jedoch ein rein formales Instrument, und Frauen können sich von ihr nicht automatisch frauenpolitische Quantensprünge erwarten.
Es ist nicht garantiert, daß Feministinnen Nutznießerinnen der Quote werden. Im Gegenteil, mit der Quote haben es in der Regel die Frauen leichter, die nicht so radikal sind und keinen deutlichen Frauenstandpunkt vertreten. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Trotzdem wird jede Frau, die in politischen Gremien arbeitet, irgendwann auf die Frage nach ihrem Geschlecht gestoßen. Und ich verspreche mir trotz aller schlechten Erfahrungen, daß sich durch die gleiche Teilhabe von Frauen das Klima verändert. Politik kann für Frauen attraktiver werden, wenn sie eine reale Chance haben, beteiligt und repräsentiert zu sein. Interview: Karin Flothmann
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