Muslimische Friedhöfe: Die Toten liegen falsch
In Berlin fehlt Platz für muslimische Bestattungen – Die Bürgerplattform „Wir in Neukölln“ fordert deshalb einen islamischen Friedhof an der Hermannstraße.
Auf einem islamischen Friedhof kommt es auf den richtigen Winkel an: Bahri Deniz hat sich an die Längsseite der Grabreihen gestellt. Mit der Hand zieht er eine Linie von seiner Brust in Richtung Osten. „Die Toten liegen falsch“, stellt er fest. „Die lange Seite des Grabes muss eigentlich genau nach Mekka zeigen.“
Auf dem städtischen Friedhof am Columbiadamm sind Christen und Muslime begraben. Das Gelände liegt hinter den Minaretten der Şehitlik-Moschee und dem kleinen türkischen Friedhof. Deniz kennt sich hier gut aus. Seit zwanzig Jahren organisiert er islamische Bestattungen. Viele der Toten hat er selbst beigesetzt. „Der Friedhof ist beliebt“, erklärt er. „Ich bekomme oft Anrufe von Angehörigen, die nach einer Grabstelle für Verwandte fragen.“ Doch die muslimischen Grabfelder am Columbiadamm sind voll. „Nur wer schon reserviert hat, bekommt noch einen Platz.“
1866 eröffnete mit dem „Türkischen Friedhof“ am heutigen Columbiadamm der älteste Friedhof für Muslime in Berlin. Als dort der Platz ausging, kamen muslimische Grabstätten auf dem angrenzenden städtischen Friedhof hinzu. Seit 2012 ist auch dort die Kapazität erschöpft. Muslime können sich auf den städtischen Friedhöfen in Gatow und Ruhleben beisetzen lassen. Auch auf dem Friedhof der Schöneberger Zwölf-Apostel-Gemeinde gibt es ein islamisches Gräberfeld. Der St.-Thomas-Friedhof in Neukölln hat eine alevitische Abteilung. Früher haben sich Muslime häufig in den Herkunftsländern bestatten lassen, inzwischen nimmt die Anzahl islamischer Beerdigungen in Berlin zu. (taz)
Auch sonst fällt es Muslimen schwer, in der Stadt geeignete Grabstellen zu finden. Islamische Vertreter bitten deshalb schon seit Längerem um zusätzliche Friedhöfe. Auf dem St.-Jacobi-Friedhof an der Hermannstraße bietet sich nun eine Gelegenheit: Das Areal wird von der evangelischen Kirche nicht mehr für Beisetzungen genutzt. „Wir könnten dort etwa drei Hektar an Muslime abgeben“, erklärt ein Vertreter des Evangelischen Friedhofsverbands Stadtmitte (EVFBS).
St. Jacobi bietet nicht nur Platz, er liegt auch mitten in Neukölln, nahe an den Wohnorten vieler Muslime. Zwar gibt es zurzeit auch andere muslimische Grabfelder, etwa auf den Friedhöfen in Gatow und Ruhleben. Vielen ist das aber zu weit draußen. „Wir brauchen einen innerstädtischen Friedhof, dort, wo viele Muslime leben“, sagt auch Ali Taouil vom schiitischen Verein Al-Irshad. Es sei wichtig, dass Verwandte ihre toten Angehörigen besuchen können. Außerdem nehme die Zahl der muslimischen Bestattungen zu. „Wenn wir keine neuen Friedhöfe schaffen, werden die Grabstätten in ein paar Jahren nicht mehr ausreichen. St. Jacobi ist eine Möglichkeit, die wir nicht verpassen dürfen.“
In den Räumen seines Vereins sitzt Taouil mit Susanne Sander und Johannes Zwick. Sander ist vom Deutschen Institut für Community Organizing, Zwickel von der evangelischen Vereinigung „Herrnhuter Brüdergemeine“. Gemeinsam mit Vertretern anderer islamischer und christlicher Gruppen haben sich die drei zur Bürgerplattform „Wir in Neukölln“ (Win) verbunden. Dem Bündnis gehören auch die Şehitlik-Moschee und der Berliner Landesverband der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş an. Der islamische Friedhof an der Hermannstraße ist eines ihrer zentralen Anliegen. In dem schmucklosen Veranstaltungsraum startet gleich im Anschluss ein Strategietreffen. Eilig wurden dafür einige Holztische zusammengeschoben. Bevor es losgeht, bleibt noch etwas Zeit für Pressefragen.
Das größte Problem: Den Muslimen fehlt das Geld. „Die Verbände in der Stadt sind nicht in der Lage, einen Friedhof zu betreiben“, sagt Taouil. Um selbst die Verantwortung zu übernehmen, müssten sie einen Verein gründen, der nachweislich die Finanzierung für die kommenden Jahre schultern kann. Völlig unmöglich, erklärt Taouil.
Als Träger ist deshalb der Bezirk Neukölln im Gespräch. Dort verhandelt man bereits mit dem EVFBS über eine Übernahme der Flächen. Aber auch der Bezirk scheut die Kosten des Projekts: Um St. Jacobi für islamische Bestattungen fit zu machen, seien Investitionen von etwa 3 Millionen Euro nötig, erklärt eine Sprecherin. Auf dem 150 Jahre alten Friedhof müssten Grabanlagen geräumt, Wege angelegt und Müllplätze geschaffen werden. Der islamische Ritus verlangt außerdem, dass die Grabanlagen im korrekten Winkel nach Mekka ausgerichtet werden. „Das Bezirksamt kann die Umbaukosten keinesfalls tragen“, heißt es aus Neukölln. Um den Friedhof zu realisieren, müsse der Senat die Umbaukosten übernehmen.
In der zuständigen Senatsverwaltung möchte man sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht festlegen. Erst wenn die Übernahme der Flächen durch den Bezirk geklärt sei, könne man Mittel für das Projekt zur Verfügung stellen, so ein Sprecher auf Anfrage. Ende August wollen sich Senatsverwaltung, Bezirk und EVFBS zu einer weiteren Verhandlungsrunde treffen. Neben den Baukosten dürfte es dann auch um den Kaufpreis des Grundstücks – hier liegen noch keine Zahlen vor – und die laufenden Kosten gehen. Für Letztere rechnet der Bezirk mit einer Belastung von rund 350.000 Euro pro Jahr.
Auch Vertreter der Win-Plattform möchten bei den Verhandlungen mitreden. „Wir wollen beim Treffen im August dabei sein“, sagt Sander. Die Gruppe ist zwar nicht direkt an den Entscheidungen beteiligt. Sie versteht sich aber als Stimme der Betroffenen. Kurz vor Beginn des Strategietreffens trudeln immer mehr Win-Mitglieder ein. Am Ende sitzen Vertreter sunnitischer Verbände neben Schiiten und Kirchenleuten. Auf den Holztischen stehen Baklava und Fruchtkuchen. „Wir brauchen muslimische Friedhöfe, da sind wir uns hier alle einig“, sagt Taouil. Wenn St. Jacobi denn kommt, soll er ein Friedhof für alle Muslime sein, egal, ob sunnitisch, schiitisch oder alevitisch.
Finanziert wird die Bürgerplattform aus den Mitteln der Mitgliederverbände, so berichten es die anwesenden Vertreter. Ob über die Dachverbände der verschiedenen Gruppen auch Gelder und Einfluss aus dem Ausland hereinströmen? Taouil schüttelt den Kopf. Die Bürgerplattform sei ein Projekt der Berliner Verbände.
Wenige hundert Meter Luftlinie entfernt sitzt Bestatter Deniz im Innenhof der Şehitlik-Moschee. Nach der Friedhofstour werden Tee und Kekse serviert. Aus dem Inneren des Gebäudes kommen Männer vom Mittagsgebet. Die Toten auf dem Moscheehof liegen übrigens auch nicht ideal. Ihre Gräber wurden damals von den Architekten mit den Füßen nach Mekka gelegt.
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