Muslime stärken Wulff den Rücken: "Das ist unser Präsident!"
Wegen seinen Ansichten zum Islam genießt Christian Wulff unter deutschen Muslimen viele Sympathien. Die Affäre um seinen Privatkredit hat daran nichts geändert.
BERLIN taz | "Lasst unseren Bundespräsidenten in Ruhe!", schreibt Ekrem Senol, der Chefredakteur des Onlinemagazins Migazin, das sich auf migrationspolitische Themen konzentriert, in seinem Editorial. "Christian Wulff hat es wie sonst keiner vor ihm geschafft, diesem Amt ein bisher noch nie dagewesenes Gewicht zu verleihen", findet er sogar. Denn Wulff sei "ein Bundespräsident, der zum ersten Mal uns allen gehört". Ob Deutschland angesichts der vielen offenen Fragen, welche die Neonazi-Mordserie aufgeworfen habe, keine anderen Sorgen habe, will Senol wissen.
"Es gibt wichtigere Dinge", findet auch die Schriftstellerin Hatice Akyün. Günther Jauchs Talkshow zum Thema empfand sie als "unglaublich respektlos". Und sie fragt: "Wer von den Verantwortlichen, die zehn Neonazi-Morde geschehen ließen, ist denn bis jetzt zurückgetreten?"
Diese Meinungen spiegeln die Stimmung unter vielen muslimischen Deutschen angesichts der aktuellen Kritik am Bundespräsidenten. Wulff genießt dort ein hohes Ansehen, weil er gleich zu Beginn seiner Amtszeit erklärte hatte, der Islam gehöre zu Deutschland. Auch seine Solidarität mit den Hinterbliebenen der Opfer des Rechtsterrorismus wird ihm hoch angerechnet.
"Viele Migranten sprechen sich für Wulff aus, weil er etwas sehr Wichtiges gesagt hat", erklärt die Schriftstellerin und Publizistin Hilal Sezgin, die regelmäßig auch für die taz schreibt. Sein Bekenntnis zu den muslimischen Einwanderern auf dem Höhepunkt der Sarrazin-Debatte sei "alles andere als eine Selbstverständlichkeit" gewesen. "Kaum war er im Amt, hat er dafür seinen Kopf hingehalten." Es sei erschütternd, dass das anscheinend so viele schon wieder vergessen hätten.
Viele Muslime seien "traurig" über die Art und Weise, wie Bundespräsident Christian Wulff demontiert werde, heißt es auch in der Deutschlandausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung Zaman. Die islamisch-konservative Zeitung zitiert den Sprecher des Koordinationsrats der Muslime, Bekir Alboga, der Wulff ein hohes Ansehen bescheinigt - "nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere auch auf internationale Ebene". Der Bundespräsident habe sehr gute Botschaften ausgesandt, um die Zugehörigkeit der Muslime zu Deutschland zu unterstreichen. "Es wäre deshalb sehr schade, wenn er aufgrund politischer Intrigen diese Politik nicht mehr fortführen könnte."
Auch in der Europaausgabe der Hürriyet griff die Aussagen Albogas auf und titelte dazu: "Volle Unterstützung für Wulff durch Muslime".
Etwas verhaltener äußerte sich der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. "Wir brauchen jetzt mehr denn je ein stabiles politisches Berlin, damit unserer Gesellschaft nicht weiter auseinander driftet", sagte er der Mitteldeutschen Zeitung, und mahnte einen "schonenden Umgang" mit Bundespräsident Christian Wulff an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut