Musiktheater: Trivial Pursuit für Insider
Das Staatstheater Oldenburg erkundet die Zukunft der Oper. Erstes Ergebnis: Fällt auch der Orchestergraben, das Hermetische bleibt.
Man mag gar nicht so genau hin gucken. Der Blick in den Kehlkopf, die sich öffnenden und schließenden Stimmlippen: Es hat etwas Obszönes. Doch das Publikum muss minutenlang durchhalten, während sich auf der Leinwand in Großaufnahme Töne formen.
Es könnte ein Paradigma sein für die neue Reihe "OPERation X", die das Oldenburger Staatstheater hier mit der Musiktheater-Performance "Vox Humana - The singing Machine" beginnt: ganz nah dran. Die Exerzierhalle - deswegen auch das "X" -, die dem Staatstheater seit zwei Jahren als hippere oder doch zumindest intimere Spielort-Alternative dient, macht es möglich: Sänger und Publikum treten sich Auge in Auge gegenüber. Man hört nicht nur, sondern sieht die Töne im Entstehen. Nichts weniger als die Zukunft der Oper will "OPERation X" hier erkunden.
Mag die Schranke des Orchestergrabens auch eingerissen sein - die Barrieren bildungsbürgerlichen Herrschaftswissens sind es keineswegs: Vox Humana ist eine Collage aus Klischees und gelehrten Anspielungen über die Sangeskunst. Der Zickenkrieg der Primadonnen, die destruktive Wirkung auf zartes Glas, das unerreichte Vorbild der Nachtigall. Zu erraten, dass der kränkelnde Pierrot, der sein Halsweh mit Dampfbädern und Whiskygurgeln bekämpft, eine Anspielung auf den Superstar Enrico Caruso ist, der wiederum in der Rolle des Bajazzo glänzte: Trivial Pursuit für Insider. Mag die Oper anderswo zum Popkorn-Publikum kommen, live auf den Times Square oder gar ins Kino übertragen werden. Die Oldenburger Zukunftsmusik gibt sich hermetisch.
Ohnehin ist die Forschungsexpedition, ein Teilprojekt der "Stadt der Wissenschaft", eigentlich schon abgeschlossen, wenn das Publikum dazustößt. Vox Humana sei ein Experiment, das den traditionellen Produktionsprozess von Operninszenierungen aufbrechen solle, erklärt Dramaturgin Ina Kapp. Während üblicherweise ein vorliegendes Libretto vertont und dann das Ergebnis in Abwesenheit des Komponisten inszeniert wird, haben in diesem Fall die Beteiligten zusammengearbeitet. Komponist Leo Dick ist gleichzeitig Regisseur. Er hat dem Ensemble die Partituren auf den Leib geschrieben, die Proben sechs Wochen lang begleitet. "Es wäre Chuzpe, zu sagen: Was wir hier machen, ist die Zukunft der Oper", sagt Kapp. "Es geht darum zu fragen: Wie wird Oper gemacht?" Solche Fragen zu stellen, sagt die Dramaturgin, sei kein Privileg der Großstadtbühnen. "Das sollte man in jedem Theater machen."
Auf der Bühne indes spielt sich ein Experiment ab, an dessen Gelingen niemand ernsthaft glaubt: Ein durchgeknallter Professor versucht, aus einer Versuchsanordnung unterschiedlicher Sängertypen die perfekte Stimme zu generieren. Die Verspieltheit von Vox Humana unterlaufe das Verdikt Theodor Adornos, das Emotionen nachhaltig aus der zeitgenössischen deutschen Musik verbannte, sagt Ina Kapp. Jedoch ist Ironie wahrscheinlich nicht der Königsweg zwischen Emotion und Sachlichkeit. Das Moment der Grenzüberschreitung, das die Faszination des Gesangs ausmacht und Zuhörer zu Tränen und sogar Ohnmachten rührt, erklärt sie jedenfalls nicht. Und damit in einem futuristisch-multimedialen Musiktheater Texte, Bilder und Musik gleichberechtigt wirken, eignen sich Texte wenig, die zum Belächeln angelegt sind.
Dabei böten der Traum von der perfekten Stimme und die kruden deterministischen Ideen des 19. Jahrhunderts vom idealen Sänger durchaus Stoff für Assoziationen. Vielleicht ja in der nächsten Spielzeit: OPERation X reloaded.
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