Musikstil Rembetiko: Ein Vagabund und Angeber
Unser Autor ist Historiker und Musiker. Er kommt aus dem New Wave und dem Punk. Inzwischen spielt er Rembetiko. Hier beschreibt er, warum.
Rembetiko ist vielfältiger und gegenwärtiger, als man denken mag. Und weiblicher. Die Rembetisses, die Sängerinnen des Rembetiko, waren emanzipierte Frauen, die ihre Freiheit auskosteten und sich in der Männerwelt der „Macker“, der Magkas, behaupteten. Aus Konstantinopel kam anfangs des letzten Jahrhunderts die Jüdin Roza Eskenazi nach Griechenland. Sie sang in griechischer, türkischer und armenischer Sprache. Der Dokumentarfilm „Mein süßer Kanarienvogel“ erzählt das Leben der Sängerin und Tänzerin.
Es stimmt, in alten Rembetiko-Liedern werden Frauen als Puppe, Obdachlose oder Zigeunermädchen bezeichnet. Viele Lieder sind Oden an die Mutter oder die Geliebte. Aber es gibt eben auch wichtige Frauenfiguren. „Meine Wasserpfeife, warum erlischst du?“, gesungen von Georgia Myttaki, wird oft neu interpretiert. Marika Ninou wurde 1922 auf einem Flüchtlingsschiff während der Fahrt nach Piräus geboren. Sie lebt in dem Kinofilm „Rembetiko“ von Costas Ferris weiter. Noch heute geben Frauen auf Gläser, Zimbeln, Löffel oder Tamburin den Takt an und rücken in den Vordergrund.
Die Schlüsselfigur des Rembetiko der 1930er Jahre war allerdings tatsächlich der Magkas, ein derber Vagabund und Angeber. Er trug eine Schärpe für Messer und Tabaksbeutel, Stiefeletten, Republikaner-Hut oder Schiebermütze, Sakko und Stock. Er posierte mit Schnauzer und Pomade, war tätowiert und spielte lässig mit seiner Kummerkette, dem Komboloi. Er zog ein Bein nach, sprach mit heiserer, langsamer Stimme und drohendem Blick Straßenslang.
Giorgos Batis von der Halbinsel Methana bekam den Spitznamen „O Magkas“ verpasst. Sein Kafenion, Musikaliengeschäft und seine Tanzschule waren Mittelpunkt der Szene in Piräus. Batis würdigte in seinen Texten die Arbeit der Schwammtaucher, Seemänner, Tabakarbeiter und Barbiere. Auch Markos Vamvakaris von der Insel Syros übte einen bürgerlichen Beruf aus, er war Hafenarbeiter in Piräus und Metzger.
Sänger Stratos Pagioumtsis, genannt „der Faulpelz“, geflüchtet aus Kleinasien, war Fischer und Fährmann. Anestis Delias, genannt „die schwarze Katze“, flüchtete auch aus Kleinasien. Er starb 1941 als Streuner auf der Straße an Heroin, mit seiner Bouzouki im Arm. Die vier Musiker bildeten in den 30er Jahren die Tetras, das legendäre Quartett aus Piräus.
Holzbude und Haschischhöhle
Die meisten Rembetika der 30er Jahre haben ihre Wurzeln in Volksliedern aus der heutigen Türkei, dem Café Aman, in dem Straßenmusiker Sängerinnen und Tänzerinnen begleiteten, den orientalischen Weisen aus Smyrna, der italienischen Oper, der Athener Revue und der Operette.
Rembetiko klingt schwer, oft traurig, und wird manchmal als griechischer Blues bezeichnet, beinhaltet aber weder betonte blue notes noch das gängige Blues-Schema, sondern eigenständige Tonleitern, die Piräotische oder Arabische. Der Tanz des Rembetiko ist meist der Zeibekiko im 9/8-Rhythmus, entstanden in Gebieten der heutigen Türkei. Der Tänzer improvisiert, aber hält sich auch an eindeutige Tanzfiguren.
Die 30er Jahre bildeten die überragende Epoche dieser Musik. Die Szene fungierte als Nährboden. Treffpunkte waren Plätze in Athen und Piräus und die teke als eine Art Holzbude und Haschischhöhle. Dort spielten die Vagabunden das Brettspiel Tavli und Karten, rauchten Wasserpfeife, die nargile, und musizierten.
Viele Rembetiko-Musiker lebten in Baracken, Waggons, Hütten oder in Zelten, die für die Geflüchteten aus Kleinasien ab 1922/23 gebaut worden waren. Die Kleinasiatische Katastrophe, die in der Rembetiko-Literatur auch als „ethnische Säuberung“ bezeichnet wird, führte zu einer Zwangsumsiedlung von 1,25 Millionen Griechen und 500.000 Türken.
Ursache war die griechische Megali Idea, vormals griechisch besiedelte Gebiete in Kleinasien militärisch zurückzugewinnen. Dies scheiterte jedoch an der Armee Atatürks und spitzte sich in dem Massaker von Smyrna zu, das in Schutt und Asche gelegt wurde. Bei diesem Massenexodus ertranken Tausende Griechen jämmerlich im Meer. Danach strebte die bürgerliche, nach Westeuropa ausgerichtete städtische Gesellschaft Griechenlands einen Nationalstaat westlicher Prägung an.
Eine Keimzelle des Rembetiko war das Gefängnis
Dagegen pflegten die Rembetiko-Musiker ihre eigene hedonistische Subkultur, bis sie schließlich von Geschäftemachern aus Clubs und Varietés und der Schallplattenindustrie vereinnahmt wurden. Nicht wenige geflüchtete Rembetiko-Musiker waren dem nationalistischen Bürgertum als „orientalisch minderwertige, in Joghurt getauchte Türkenbrut“ ein Dorn im Auge, sie waren Feindseligkeiten ausgesetzt und wurden nicht selten von der Polizei verprügelt. Die faschistische Diktatur unter Ioannis Metaxas (1936–1941) zensierte nicht salonfähige Rembetika. Nicht wenige Rembetiko-Musiker verstummten.
Simon Steiner ist Autor des Buchs „Wie der Punk nach Stuttgart kam“ (edition-randgruppe). Er spielt im Rembetiko-Duo Lefta und lebt auf Euböa sowie in Stuttgart.
Eine weitere Keimzelle des Rembetiko war das Gefängnis, denn viele Rembetiko-Musiker lebten als Kleinkriminelle, Drogenkonsumenten, Schmuggler, Zocker oder Taschendiebe. Im Gefängnis musizierten die gerissenen Kerle auf dem selbstgebauten Baglamas, hergestellt aus Draht, Holz und einem Klangkörper aus Kürbis oder einer Dose: Sessions im Knast! Die Eingesperrten hockten im Kreis, klatschten, schnipsten oder schnalzten. Abwechselnd wurden Stegreifzeilen zugerufen. So entstanden die Gefängnislieder.
Die osmanische Gesellschaft in Kleinasien war facettenreich. Griechen lebten neben Türken, Juden, „Zigeunern“, Armeniern, Russen, Syriern, Bulgaren, Slawo-Makedonen und Albanern.
In der aufgefächerten osmanischen Gesellschaft Kleinasiens und in Griechenland lebten am Ende des 19. und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verschiedene Randgruppen, in denen Männer dominierten. Sie gehören zu den Wurzeln des Rembetiko-Kosmos der 30er Jahre: Der Kapadais war der autoritäre Gegenspieler zum Polizisten des Stadtviertels. Der Tsiribasis war eine Art Robin Hood. Er lebte von Schmuggel und Spiel und kontrollierte die Hafenarbeiter, Kaffeehäuser und Bordelle. Der bewaffnete Zeybekis war Partisan. Er war Mitglied einer Bande, die in Kleinasien gegen das Osmanische Reich kämpfte. Die Klephten waren Räuber, Rebellen und Freiheitskämpfer gegen die osmanische Herrschaft.
Kombinierbar mit Metal, HipHop oder Dub
Im Dezember 2017 wurde Rembetiko in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Ganz zu Recht, wer Griechenland verstehen will, muss den Rembetiko verstehen. Gemütlich sitzt die parea, die Gemeinschaft, bei Häppchen zusammen. Das Essen gehört zur Musik wie die Sonne zu Griechenland! Der Besuch eines Rembetiko-Clubs ist ein kostspieliger Höhepunkt, um dem Alltag zu entfliehen. Es wird getanzt, viele trinken Whisky, man isst Früchte, pafft eine Zigarre und wirft mit Tellern oder Blumen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Aber auch in der weltweiten Szene ist diese Musik anschlussfähig. Die Band Markos Elektrik aus Athen, mit der Sängerin Nektarillia Tsompanoglou, widmen ihre YouTube-Filme dem Patriarch des Rembetiko: Markos Vamvakaris. In den sozialen Medien tummeln sich Jung und Alt und zelebrieren Rembetiko wie immer auf Bouzouki und Baglamas. Experimentierfreudige Bands kombinieren Oldtime-Rembetiko mit Synthesizer, Drumcomputer und Loops. Locomondo verbindet Rembetiko mit Reggae. Meet-Sos und Imam Baildi arbeiten mit Remixes. In den Suchmaschinen lassen sich Begegnungen zwischen Rembetiko und Metal, HipHop oder Dub finden. Und in den ländlichen Tavernen der griechischen Inseln gehören Auftritte einer Rembetiko-Kompania zu den warmen Sommerabenden wie die Sterne, die am Himmel tanzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!