Musikhören in Zeiten von KI: Algorithmen, die Ohrwürmer schreiben
Musik, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz produziert wurde – das geht heute schon in Sekunden. Unsere Autorin hat deshalb Vorurteile.
S eit einiger Zeit habe ich einen fiesen Ohrwurm. Er ist nicht immer da, zum Glück. Manchmal taucht er ab und dann wieder auf, wie ein sporadischer Albtraum. Dabei mag ich den Song nicht einmal. Wobei – das so zu behaupten, ist unfair. Ich habe ihm nie eine Chance gegeben, von mir gemocht zu werden.
Ich habe nur deshalb reingehört, weil es ein mit Künstlicher Intelligenz (KI) generierter Song ist, um den ein Hype läuft, und der beim Streamingdienst Spotify mittlerweile Abrufe im Millionenbereich hat. Aber ich habe lange genug selbst Musik gemacht, um eine Ahnung von dem Zauber zu bekommen. Und daher immer zu wollen, dass Menschen davon leben können und weiter auf neue, spannende musikalische Ideen kommen.
Unfair ist meine Haltung aber noch aus einem anderen Grund: Denn natürlich stecken auch hinter der KI-Musik Menschen und ihre Arbeit. Die werden zwar eher mit Prompts experimentieren, den Anweisungen für die Algorithmen, als mit Drumset und Gitarre. Aber schon bei der Vermarktung auf Social Media ist der Unterschied zwischen menschlichem und KI-generiertem Werk dahin. Ohnehin läuft auf Spotify wohl schon Diverses an algorithmisch produziertem Content – mal in Playlists zum Aufwachen oder Entspannen reingehört?
Also: Mag ich den KI-Song nicht, weil ich nichts mit 70er-Jahre-Rock-Folk-Country-Klängen anfangen kann? Oder weil ich möchte, dass Musik von Menschen gemacht wird? Die Frage wird uns noch alle beschäftigen, schließlich brauchen KI-Dienste wie Suno oder Udio nur einige Schlagworte und Sekunden, um einen Song zu generieren.
Und die Literatur?
Und es ist nicht nur Musik. Literatur zum Beispiel. Ich bin Fan des Werks der spanischen Autorin Almudena Grandes. Als sie vor dreieinhalb Jahren starb, war klar, dass – wenn nicht noch irgendwo ein unveröffentlichtes Skript liegt – keine neuen Bücher dazu kommen werden.
Wenn es nun möglich wäre, einen Algorithmus mit ihren Werken zu trainieren, sich einen groben Plot auszudenken und danach einen neuen 400-Seiten-Wälzer in Grandes’ Stil zu erhalten, in dem vielleicht eine starke Frauenfigur inmitten des spanischen Bürgerkrieges in eine Dreiecksgeschichte zwischen den Fronten verwickelt wird – würde ich dieses Buch genauso gefesselt lesen wie ihre eigenen? Oder immer denken: Näh, das sind ja nur von einem Algorithmus anhand von Wahrscheinlichkeiten zusammengestoppelte Wörter? Die Frage ist derzeit hypothetisch, denn so weit ist KI noch nicht. Aber was, wenn?
Erstmal arbeite ich am Ohrwurm-Loswerden. Dafür gibt es natürlich längst eine Anti-Ohrwurm-Playlist auf Spotify – eine Art Best-of der nervigsten Kreationen aus den vergangenen Jahrzehnten. Und es gibt einen Tipp aus der Wissenschaft: Ohrwürmer entstehen demnach häufig, wenn unvollständige Melodieschnipsel im Gehirn bleiben. Es fehlt also das rettende Ende und daher wird der Teil davor immer wieder abgespult. Die Lösung ist leider eine unangenehme: Das Lied noch mal hören. Ganz.
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