Musikfunktionär Dieter Gorny: Ein Lautsprecher verstummt
Seit über zwei Jahrzehnten ist Dieter Gorny Multifunktionär. Auch als Kulturdirektor der Ruhr.2010 trommelte er im Vorfeld für die Loveparade im Pott - jetzt schweigt er.
Die Arbeiter, die tagtäglich in dem 2004 abgerissenen Gebäude der Dortmund Union-Brauerei malocht haben, dürften es kaum für möglich gehalten haben, dass an dieser Stelle ein paar Jahre später ein so genanntes European Centre of Creative Economy (ECCE) residieren wird. Der Name klingt für eine Dortmunder Institution etwas gewöhnungsbedürftig, man könnte glauben, dahinter verberge sich eine Sektenfirma. Doch das ECCE ist ein Institut der Ruhr.2010 GmbH, und der Name ist durchaus typisch für die verbale Kraftmeierei, die der Direktor dieses Hauses in den letzten zwei Jahrzehnten kultiviert hat. Der Mann heißt Dieter Gorny
Dieser Text stammt aus der aktuellen sonntaz vom 7./8. August 2010 -ab Samstag mit der taz am Kiosk oder direkt in ihrem Briefkasten.
Kurz nach der Loveparade sollte im ECCE eine Pressekonferenz mit Gorny stattfinden, man wollte hier das "Förderkonzept für eine nachhaltige Stärkung" der "Kreativwirtschaft" vorstellen. Vielleicht wäre das ganz aufschlussreich gewesen - zumal eine Website, die eine Ahnung davon vermittelt, was die kreativen Menschen im ECCE eigentlich den lieben langen Tag so treiben, bisher nicht existiert. Die Konferenz wurde allerdings kurzfristig abgesagt. Den Medien unter dem Eindruck von 21 Toten Wirtschaftsstandort-Philosophie zu präsentieren, erschien den Veranstaltern dann doch unangemessen.
Vor allem von Gorny hätten die Journalisten gern ein paar Worte gehört, zu den Argumenten, die dieser noch vor einigen Monaten für die Loveparade in Anschlag gebracht hatte. Im Januar, als zur Debatte stand, die Veranstaltung aus finanziellen Gründen abzusagen, sagte er der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung, es gebe "keine bessere Gelegenheit, sich international zu blamieren, als wenn man diese Chance verpasste". Dank der Loveparade kämen "absolute Weltstars" nach Duisburg, "weit über Europa hinaus" werde sich das für die Region positiv auswirken. Von den Politikern forderte er: "Wir wollen die Veranstaltung und alle Kraft einsetzen, sie zu retten!" Eine Absage würde den guten Ruf der Kulturhauptstadt gefährden. "Eine richtige Metropole", so Gornys Fazit damals, "kann das stemmen."
Oft ist in der bisherigen Nachbetrachtung der Loveparade-Katastrophe die Rede gewesen vom verhängnisvollen Geltungsbedürfnis regionaler Fürsten und Strippenzieher. Man darf davon ausgehen, dass die Entscheidungsträger die Worte Gornys nicht kalt gelassen haben. Zumal diese drastische Form der Politikberatung ja von einem einflussreichen Netzwerker stammte, den der Spiegel einst Gerhard Schröders "Berater in Sachen Kunst" nannte.
Die Schlagzeilenmaschine
Derzeit ist die gute alte Schlagzeilenmaschine Gorny allerdings abgeschaltet. "Für die Ruhr.2010 spricht Fritz Pleitgen, weil wir nicht mit 1.000 Stimmen auftreten wollen", sagt Marc Oliver Hänig, Ruhr-2010-Sprecher, auf Anfrage der taz. Pleitgen als Vorsitzender der Geschäftsführung, formell Gornys Vorgesetzter, meldete sich vor allem direkt nach der Katastrophe zu Wort. Jetzt seien "die anderen dran", sagt Hänig: "Wir haben die Veranstaltung weder organisiert noch finanziert, aber wir stehen dazu, dass wir sie gern ins Kulturhauptstadt-Programm genommen haben, um junge Leute anzuziehen." Was für "junge Leute" tun - hätte Gorny im Zusammenhang mit der Loveparade stets nur dies gesagt, anstatt sich als großer Standortideologe aufzuführen, würden ihm die Medien die Äußerungen heute nicht mehr vorhalten.
Der bald 57-jährige Dr. Dieter Gorny ist ein Multifunktionär. Bei der Ruhr.2010 ist er auch künstlerischer Direktor, er sitzt dem Aufsichtsrat der Filmstiftung NRW vor, die wiederum an anderen Medieninstitutionen im Land beteiligt ist. Zudem ist er Chef des Bundesverbandes der Musikindustrie.
Sein erstes Karrierehoch erlebte der frühere Orchestermusiker 1989 in Köln. Dort initiierte er die Musikmesse Popkomm, dort war er der starke Mann beim Musiksender Viva, dem zweiten großen Vorzeigeprojekt des Pop-Standorts Nordrhein-Westfalen in den 90er Jahren. Das Land freute sich, Wolfgang Clement, 1989 Chef der Staatskanzlei in Düsseldorf, später unter anderem NRW-Wirtschaftsminister, war ein Gorny-Fan.
Der Pate der Musik
Viva gehörte damals den deutschen Filialen der großen Tonträgerfirmen, und weil der Sender Musik made in Germany förderte, erlebte die Branche einen Aufschwung. Gorny führte den Laden wie ein kumpeliger Gutsherr. Der Focus bezeichnete ihn aufgrund seines Einflusses in jenen Jahren als "Paten der Musik", das war positiv gemeint, anzusiedeln ungefähr in der Preisklasse von "Literaturpapst".
Das eigene Schaffen und Wirken hat Gorny stets gern in einem möglichst großen internationalen Rahmen gesehen. Insofern war seine Einschätzung, dass die Loveparade sich "weit über Europa hinaus" positiv für die Ruhrregion auswirken werde, keine Überraschung. 1999 beispielsweise, als Musikfernsehen noch relevant war und Viva in andere Nachbarländer zu expandieren begann, hatte er getönt: "Wir sind erst dann ansatzweise fertig, wenn wir das Viva-Logo auf den Viacom-Tower in New York pressen." 2004 war es dann vorbei mit dem Traum von der Machtübernahme - stattdessen schluckte der Viacom-Konzern (MTV, Paramount) Viva.
Gorny ist einer, der Fettnäpfchen auslässt und lieber gleich ein paar Fettfässer umstößt. Seine Strategie, als Dampfwalze und Poltergeist in Debatten einzugreifen, war bisher allerdings in der Regel erfolgreich. Mittlerweile stellt er seine Wortgewalt vor allem in den Dienst des Bundesverbandes der Musikindustrie: Es mache ihn "wütend, dass illegale Downloads bis zu einem Streitwert von 3.000 Euro pro Kopf in Deutschland als Bagatelle gelten. Das ist, als würde ich im Media Markt 200 DVDs klauen", sagte Gorny der Spex. "Wenn man diese Rechtsprechung unter dem Blickwinkel der Leitmärkte der Zukunft betrachtet, denen zufolge der Wissensmarkt der wichtigste Markt sein wird, dann stellt jede Bagatellisierung von digitalem Diebstahl eine eklatante Fehlentwicklung mit katastrophaler Signalwirkung dar." Wütend. Eklatant. Katastrophal. Ohne rhetorische Geschmacksverstärker geht es bei Gorny selten.
Der Schwafler
Aber auch die Rolle des verblasenen Schwaflers kann Gorny ausfüllen. Auf die Frage, was heute links sei, antwortete er dem Musikexpress Anfang 1999: "Ich bin nicht als SPD-Mitglied aktiv, sondern als Medienunternehmer. Und weil ich Medien-Machen nicht nur darüber definiere, wie ich meine unternehmerische Position verbessern kann, sondern einen gesellschaftspolitischen Ansatz habe, engagiere ich mich auch weitergehend. Ich würde unterscheiden zwischen politisch bewahrendem Denken und politisch visionärem Denken - vielleicht sogar mit einem Stück Illusion und Hoffnung. Das hat man früher als links bezeichnet, aber der Begriff selbst und die potentiellen Vorzeigemodelle passen nicht mehr."
So reden Politiker, und in jenen Zeiten wurde viel darüber spekuliert, ob Gorny sich irgendwann zumindest formal aus der Wirtschaft zurückziehen und in die Kulturpolitik gehen werde. 1998 verfasste Gorny gemeinsam mit dem Theaterintendanten Jürgen Flimm und dem Verleger Arnulf Conradi das Strategiepapier "Aufbruch für Künste und Kultur in Deutschland". Ob dieser "Aufbruch" stattgefunden hat, steht dahin, das Dokument löste aber nicht weniger aus als die Berufung des damaligen Verlegers Michael Naumann zum Staatsminister für Kultur. Ein wenig hat Gorny also zur Schaffung eines neuen Ministeramts beigetragen.
Trotz des Niedergangs der Sozialdemokratie haben sich Gornys Chancen auf einen Posten nicht grundsätzlich verschlechtert. Seit April ist er Mitglied der Internet-Enquete-Kommission des Bundestages. Überraschend ist daran weniger, dass er als Sachverständiger in Internetfragen bislang nicht aktenkundig geworden ist, sondern ein anderer Umstand: Der SPD-Mann gelangte auf dem Ticket der Union in das Gremium.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann