Musik über Krieg gegen die Ukraine: Macht und Ausschluss von Macht
Einer aus der Ukraine, eine in Moskau geboren. Der Künstler Dmytro Fedorenko und die Musikerin Mary Ocher engagieren sich gegen den Krieg.
„Wie der Faschismus selbst sind die Robots lanciert und zugleich subjektlos“, hat Theodor W. Adorno 1944 angesichts der unbemannten V-2 Raketen apostrophiert, die Hitlers Luftwaffe in der Endphase des Zweiten Weltkriegs Richtung London abfeuerte und damit verheerende Zerstörungen in der britischen Hauptstadt anrichtete.
Es war im Kapitel „Außer Reichweite“ von Adornos „Minima Moralia“, worin der Philosoph veranschaulichte, wie sich in diesen Raketen neueste Technik mit archaischer Gewalt zum sinnlosen Grauen verbunden hatten: „Das Satanische […], dass es gleichsam die ganze Energie kostet, die Subjektlosigkeit herbeizuführen.“ Adornos Feststellung ist heute wieder wichtig: Waffen schießen sich nie von selbst ab.
In vielen Debatten über den Angriffskrieg gegen die Ukraine gerät das Subjekt der Gewalt aber aus dem Blick: Die russische Armee, die den Krieg begonnen hat und auf Befehl des Kreml etwa Drohnen und ballistische Raketen auf die Ukraine loslässt, um die ukrainischen Bevölkerung auszulöschen. Die Menschen in der Ukraine nennen jene Drohnen inzwischen „Mopeds“, wegen ihres röhrenden Missklangs.
Zum Zuhören verdammt
Zivilbevölkerung ist der Gewalt immer auch auf einer klanglichen Ebene ausgesetzt, Menschen sind im Krieg zum Zuhören verdammt. „Auf der Klangebene ist Waffengeheul meist im niedrigen Frequenzbereich angesiedelt, oft hört man nur undeutliches Dröhnen. Es erinnert an Geräusche der industriellen Revolution. Einschläge klingen heute sehr laut, denn Artillerie verwendet große Kaliber, Bomben haben größere Sprengkraft.
Kotra: „Radness Methods“ (Kvitnu)
Mary Ocher: „Power and Exclusion from Power“ (Underground Institute)
Ganze ukrainische Städte sind von den Russen in Schutt und Asche gelegt worden. Der brutale Klang ist Teil der Kriegsführung. Technik entwickelt sich weiter, Tod bleibt Tod. Wir haben 2023, aber die Gewalt gleicht in vielem der des Zweiten Weltkriegs von vor 80 Jahren.“
Und noch etwas sagt der ukrainische Technoproduzent und Künstler Dmytro Fedorenko der taz, das zu denken gibt: „Als die Nazis 1941 die Ukraine überfallen haben, mordeten sie im Namen ihrer Herrenrasse. Die Russen tun heute so, als würden sie die Ukraine wiederum von Nazis befreien, in dieser schamlosen Behauptung kommt eine verklemmte faschistische Ideologie zum Ausdruck. Die russische Sprache ist schon länger verklemmt, auch 2008, beim Einmarsch in Georgien hieß es, das Land, müsse man ‚zum Frieden zwingen‘.“
Kopfhörer in der Silvesternacht
Dmytro Fedorenko lebt seit 2020 in Berlin. Der 45-Jährige ist einer der bekanntesten Technoproduzenten des Landes, sein Label Kvitnu veröffentlichte über 15 Jahre schroffe, hyperschnelle technoide Musik, unter dem Alias Kotra, aber auch von anderen Künstler:Innen. Bis 2020 hatte er bereits während einiger Jahre an der Wiener Kunstakademie Malerei studiert. In den frühen zehner Jahren organisierte er in Kiew Konzerte und Festivals. Zum Jahreswechsel 2022/23 in Berlin hat sich Fedorenko Kopfhörer aufgesetzt, um Musik zu hören. Das Geböller in der Silvesternacht hat ihn zu sehr gestresst.
Zuletzt war er in der Woche vor dem Angriffskrieg, im Februar 2022, in der alten Heimat. Als der russische Einmarsch begann, hat sich Fedorenkos Leben grundlegend verändert. In den ersten Kriegswochen war er in Sorge um seine Eltern und Großmutter, sie leben in der Nähe von Butscha. Seine Schwester verbrachte über mehrere Wochen mit ihnen in einem Keller, wo sie sich vor den Russen versteckt hielten. Alle blieben unverletzt.
Enge Freunde Fedorenkos sind jedoch beim Einsatz an der Front gestorben. „Schwer auszuhalten“, wie er sagt. Auch Fedorenko wollte sich zum Militär melden, aber hat entschieden, dass er seinem Land mehr helfen kann, wenn er in Deutschland bleibt: Mit seiner Frau, der Musikerin Kateryna Zavolovka, hat er im April 2022 das Label „I shall sing until my land is free“ gestartet. Internationale Künstler:Innen, wie etwa der Finne Ilpo Väisänen, spielen ehrenamtlich Musik ein, alle Einkünfte werden ukrainischen NGOs gespendet. „Das Finanzielle ist nur eine Ebene, die Künstler zeigen offen ihre Solidarität mit der Ukraine, das ist auch wichtig, denn unser Projekt ist politisch.“
Asemisches Schreiben
Weil ihm das Komponieren schwerfällt, hat Fedorenko zuletzt meist gemalt, er nennt diese Bilder „Asemic meditation and experimental Calligraphy“, geheimnisvolle Schriftzeichen sind darauf zu sehen. „Mich interessieren alte Meditationstechniken, man nennt das auch asemisches Schreiben, unleserliches Gekritzel, einer Schrift ähnlich, was aber nichts Entzifferbares enthält.“
Dmytro Fedorenko erfüllt mit Sorge, dass Gewalt und Zerstörung automatisch zum Bestandteil seiner Kunst werden könnten. „Ich möchte den Krieg nicht in mein Herz einbetten. Er ist Gift.“ In Deutschland hat er in den letzten Monaten zweierlei festgestellt, riesige Hilfsbereitschaft ukrainischen Flüchtlingen gegenüber, aber auch Unkenntnis, ja sogar Ignoranz gegenüber der ukrainischen Kultur und Geschichte, was er als gefährlich empfindet, denn dadurch werde man empfänglich für russische Propaganda.
Die Geschichte der Ukraine sei über Jahrhunderte von anderen geschrieben worden, ob vom zaristischen Russland, von Polen, von Nazideutschland und der Sowjetunion, nun sei die Ukraine als souveräne Nation aufgestanden, um ihre Geschichte selbst zu schreiben. Er lerne selbst immer neue Fakten kennen.
Beispiel Wassyl Stus
Fedorenko nennt exemplarisch den ukrainischen Dichter Wassyl Stus, der wegen seiner dissidentischen Texte noch in der Spätphase der UdSSR in einen Gulag kam und 1985 in sibirischer Haft vermutlich gewaltsam zu Tode kam. „Die Geschichte der Ukraine ist alt und jung zugleich. Wir haben lange kulturelle Eigenständigkeit, aber sind als Land erst 1991 unabhängig geworden. Wir sind multiethnisch, es gibt zwar seltsame Konflikte, aber alle vereint, dass wir angesichts der jüngsten Bedrohungen durch Russland einen unbändigen Willen zur Freiheit haben.“
Den Willen zur Freiheit, hervorgerufen durch eine komplexe Geschichte, kennt Mary Ocher aus eigener Anschauung. Die in Berlin lebende israelische Künstlerin wurde 1986 in Moskau geboren. Wie ihre Eltern, die in der antijüdischen Stimmung nach Ende der Sowjetunion mit Ocher 1991 nach Israel emigriert waren. Ochers Großeltern, ukrainische Juden, waren vor den antijüdischen Pogromen in der Ukraine der 1930er Jahre wiederum nach Moskau geflohen.
Flucht und Vertreibung sind konstante Themen in ihrer Familie. „Meine Oma, die in Charkiw geboren wurde, sammelte Bücher zur russischen Geschichte vor der Oktoberrevolution, zu Sowjetzeiten ein Tabu.“ Zum Jahrestag des Krieges in der Ukraine hat Mary Ocher nun ein Minialbum mit vier Songs und einem Manifest veröffentlicht: „Power and Exclusion from Power“. Alle Einkünfte werden ukrainischen Organisationen gespendet, die sich am Wiederaufbau von Wohnhäuser beteiligen, die durch russische Bomben zerstört wurden.
Krieg ist kein metaphysischer Zustand
„Krieg ist kein metaphysischer Zustand, es ist ein bewusstes Streben nach mehr Macht, das seinen Vernichtungswillen verbirgt“, schreibt Ocher in ihrem Essay. Der taz sagt sie: „Das Putin-Regime verbreitet den Mythos eines ethnisch reinen russischen Volkes, das es so nie gegeben hat. Der gesellschaftliche Alltag im Land ist von gewalttätiger Intoleranz geprägt, die Menschen werden bewusst im Dunkeln gehalten, der rapide gesellschaftliche Wandel auf der Welt soll vor ihnen verborgen werden.“
Ochers eingängige Musik ihrer vier Songs regt zum Nachdenken an, es klingt, als hätte ihr die Zeitenwende nach Kriegsbeginn neuen Schwung gegeben. Gerade auch durch das näselnd Sägende ihrer Stimme wirken die Songs mitreißend, kühl und bedacht. Die Musik ist Zeugnis einer künstlerischen Reife.
Empfohlener externer Inhalt
Love is not a place
![](https://taz.de/picture/6120727/14/7-IMG00035-1--1.jpeg)
„Love is not a place“ von Mary Ocher
„Das Leben ist schwer vorhersehbar. Wir müssen dies zulassen. Verantwortung für uns selbst zu übernehmen heißt nicht, dass man nicht abschweifen kann“, schreibt sie in dem Manifest, was sich ausdrücklich auch an ihre kleine russische Fangemeinde richtet. „In der Sowjetunion wurden den Menschen die meisten Lebensentscheidungen von der Staatsmacht abgenommen. Das führte zur Lethargie, wie sie noch heute in Russland verbreitet ist. Scheinbar äußere Kräfte entscheiden über das Schicksal, alles ist determiniert.“
Mary Ocher führt dagegen vor, wie sie sich mit dem Musikmachen gegen alle Widerstände einen Lebenstraum erfüllt hat. Die Bilder vom Krieg in der Ukraine machen sie wütend, aber nicht verzweifelt. „In Russland halten die Zerstörung und das Sterben die Mythen des Krieges lebendig. Vor allem für die zynische Führung im Kreml, die das Leben ihrer Bürger:Innen nicht wertschätzt. Irgendwann aber wird das Land implodieren.“
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