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Musik der TuaregKonfliktlösung mit Gitarren

Tinariwen stammen aus der Region zwischen Algerien, Mali und Niger. Auf dem neuen Album „Elwan“ thematisieren sie ihre Exil-Erfahrung.

Die Wüste spielt eine wichtige Rolle. Tinariwen auf einer Sanddüne im Süden Marokkos Foto: Marie Planeille

Die Geschichte von Tinariwen ist eine Geschichte von Vertreibung, Flucht und Exil. Genau deshalb ist diese Band heute so aktuell wie nie. All jene Themen begleiten das Kollektiv schon seit seinen Anfängen. Genauso wie das Bedürfnis, Haltung zu zeigen, politische Forderungen zu haben und sich für diese nicht nur mit den Mitteln der Musik einzusetzen.

Die Geschichte von Tinariwen beginnt Ende der 1970er, als sich Tuareg-Musiker um Ibrahim Ag Alhabib im algerischen Exil zusammen finden, um auf Hochzeiten und anderen Festen zu spielen. Ihr wichtigstes Instrument jenseits des Schlagwerks sind Gitarren. Mit ihren Gitarren schaffen sie, ausgehend vom Assouf, der traditionellen Musik der Tuareg, dem algerischen Raï und dem rhythmusbetonten Chaabi ihren eigenen Sound.

Für westliche Ohren hört sich die Musik von Tinariwen an wie eine Variante des Blues. Bassist Eyadou Ag Leche empfindet das als Beweis für die Universalität von Tinariwen: „Wir kannten Blues anfangs gar nicht. Aber wir haben ihn instinktiv schon lange gespielt. Er steckt einfach in uns, wie in allen Menschen“, sagt er kurz vor einem Konzert der Band in der Berliner Volksbühne vergangenen November.

Vom Blues zeugen auch Kooperationen von Tinariwen mit westlichen Musikern, beispielsweise mit den US-Bands Wilco und TV On The Radio, die in den vergangenen Jahren immer wieder stattfanden. Tinariwen verstehen sich – auch als Folge der Migrationsgeschichte – als loser Zusammenschluss, heute leben die Bandmitglieder in aller Welt.

Instinktiv, universalistisch

Vielleicht liegt der Grund für die Nähe zur USA auch an der existenziellen Dimension von Blues – sie entspricht der großen Bedeutung von Musik in Tuareg-Gesellschaften: „Musik ist Schule, Konfliktlöser, Medizin und Philosophie zugleich“, erklärt Eyadou. Tinariwen löst mit seiner Musik zwar nicht unbedingt Konflikte, weist aber immer wieder nachdrücklich auf sie hin. Nachdem einige der älteren Mitglieder – Eyadou zählt zur jüngeren Generation – in den 1990er Jahren sich auch im bewaffneten Kampf für die Rechte der Tuareg einsetzten, gilt heute: „Wir benutzen nur die Waffen der Musik.“

Das ist notwendig, denn die Lage hat sich zugespitzt, wieder einmal. Im Grunde begann die Entwurzelung der Tuareg vor langer Zeit, als die europäischen Kolonisatoren Grenzen zogen und diese mitten durch das von den Nomadengruppen bewohnte Gebiet verliefen. Ein Teil gehört heute zu Mali, ein anderer zu Algerien, ein weiterer zu Niger. Immer wieder flammen in den Grenzregionen (aber auch darüber hinaus) Konflikte auf – und die Tuareg stecken mittendrin. Die Lage hat sich dadurch, dass auch in dieser Region islamistische Terroristen versuchen, mit Anschlägen Einfluss zu erlangen, destabilisiert.

Die Wüste ist ein ­magischer Ort. Sie ist still und leer – trotzdem hat man alles

Eyadou Ag Leche

Eyadou macht bei seiner Beurteilung der Situation allerdings keinerlei Unterschied zwischen den Konfliktparteien: „Die malische Armee, die Islamisten von al-Qaida, die Soldaten der UN – alle zerstören alles.“ Teil des UN-Kontingents sind auch Soldaten der Bundeswehr, ihr Einsatz wurde vom Bundestag erst im Januar verlängert. Dort trifft sie auch auf eine Konfliktpartei, die Eyadou vornehm verschweigt: Tuareg-SeparatistInnen, die einen eigenen Staat oder zumindest eine autonome Region in Nordmali gründen wollen.

Ihre eigentlich säkulare Ausrichtung hindert sie nicht daran, gelegentlich Bündnisse mit islamistischen Gruppierungen einzugehen. Zuletzt war von einer Spaltung der Gruppe in GegnerInnen und UnterstützerInnen dieser Bündnisse die Rede. Die Lage ist daher weiterhin unübersichtlich. Aktuell sind die Nachrichten aus der Region nicht unbedingt hoffnungsvoll: Bei einem Anschlag auf ein Militärcamp im Januar starben 77 Menschen, über 100 wurden verletzt. Eine al-Qaida nahestehende Gruppe reklamierte die Tat für sich.

Die MusikerInnen von Tinariwen haben ihre persönliche Sicht auf die schwierigen Verhältnisse in ihrer Heimat in eine simple Metapher gefasst: „Elwan“, Elefanten, so heißt ihr jetzt erschienenes Album. Die Elefanten stehen für die verschiedenen Gruppen, die im Sehnsuchtsort der MusikerInnen – der Wüste – herumtrampeln. Das Album wurde erneut im Exil in Algerien aufgenommen und thematisiert diese Frage in fast allen Songs. Zentral ist dabei „Ténéré Táqqál“, was mit „Was ist nur aus der Wüste geworden?“ übersetzt werden kann. Ténéré ist der Singular von Tinariwen, der Name der Band bedeutet also „Wüsten“.

Die Welt vereint in einer Kultur des Respekts

Eyadous Antworten bekommen einen feierlichen Ton, dann, wenn er von dieser Landschaft spricht: „Dort ist es still und leer – und trotzdem hat man alles. Die Wüste ist ein magischer Ort, ein Ort der Freiheit und der Einheit mit der Natur.“ Tinariwen wollen diese Idee der Wüste in die Welt tragen. Ihre Utopie ist, wie Eyadou sagt, ein „Staat der Staaten“: Die ZuhörerInnen all ihrer Konzerte in der Welt vereint in einer Kultur gegenseitigen Respekts. Man darf sich Tinariwens Musik jedoch nicht als Aneinanderreihung von Klageliedern vorstellen. Gerade „Elwan“ ist sehr tanzbar. Daran hat die jüngere Musikergeneration mit Bassist Eyadou und Perkussionist Sarid großen Anteil. Wie sie sich in „Sastanáqqám“, der ersten Single-Auskoppelung von „Elwan“, gegenseitig antreiben, lässt vor allem an den Blues-Nachfahren Funk denken.

Das Album

Tinariwen: „Elwan“ (Pias)

Während des Interviews trägt Eyadou Lederjacke, T-Shirt und Stoffhose. Später, für die Bühne, wird er sich umziehen und wie die anderen Mitglieder in traditionellen Beduinengewändern auftreten. Einige tragen auch den Tagelmust, der das Gesicht bis auf die Augen verhüllt. Eigentlich ein kolonialistisches Setting: Es gibt eine fremde Kultur zu bestaunen, fremde Gewänder, fremde Musik, eine Fremdsprache und – bei den Tuareg ist Tanzen größtenteils Männersache – fremde Bräuche.

Schnell wird allerdings deutlich, dass sich Tinariwen dieser Form der Objektivierung entziehen. Zwar ist kaum sprachliche Kommunikation möglich, aber es tritt doch das von Eyadou vorher beschworene Wunder musikalischer Verständigung ein: der Blues, Assouf als Universalsprache. Zumindest an diesem Abend in Berlin funk­tio­niert das. Die Auftritte von Tinariwen sind ein Fest. Selbst in der Berliner Volksbühne, wo der Zuschauerraum abschüssig und bestuhlt ist, stehen die Besucher nach wenigen Liedern auf und lassen sich mitreißen von Tanz und Gesang, von den Liedern über die Wüsten und den Traum vom Staat der Staaten.

Beruhigend und tröstlich

„Unsere Musik ist beruhigend und tröstend. Selbst wenn man die Texte nicht versteht“, hatte Eyadou vorher gesagt. Ruhe und Trost inmitten von Debatten, die ganz entscheidend mit den Fragen zu tun haben, wie sich Fremdes und Eigenes zueinander verhalten, wo sie ineinander übergehen. Ruhe und Trost angesichts von Migration, Flucht und Vertreibung und ihren Auslösern und Folgen. Themen für die Tinariwen-ExpertInnen sind.

Das wird an einem Moment des Konzerts besonders deutlich: Eine der Sängerinnen kündigt an, sie werde nun ein Lied aus ihrer alten Heimat singen. Mal sehen, ob sie das noch hinbekomme, sie sei lange nicht mehr dort gewesen. Mina Walet Oumar spricht das auf Deutsch – sie ist seit neun Jahren Berlinerin.

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1 Kommentar

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  • Vielen Dank für diesen Artikel. Ich habe Tinariwen vor einer Weile über "Klassik, Pop, etc" im DLF kennengelernt und mir eine CD besorgt. Die oben beschriebene Geschichte kannte ich nicht. Leider habe ich vom Volksbühnenkonzert vergangenen November nichts gewusst. Da wäre ich sehr gern hingegangen. Ein ganz wunderbare Musik und der Artikel erzählt die angemessene Geschichte zur komplexen Klangfülle. Dicke Empfehlung!