Musik aus dem Notwist-Umfeld: Loop-Jazz für einen Vergessenen
Die Notwist-Gebrüder Acher widmen sich US-Beatpoet Bob Kaufman und veröffentlichen ein Album der Tokioter Band Tenniscoats.
Zwei Kollaborationen über die Kontinente hinweg. The Plastik Beatniks sind eine zum Zweck der Würdigung des eher am Rande der Szene agierenden afroamerikanischen Dichters Bob Kaufman (1925–1986), der in seinen Texten alles, was an der Literatur der Beatniks zugleich wunderbar und nervtötend ist, in seinen Gedichten auf engem Raum zusammenbringt.
Pathos und eine etwas willkürlich anmutende Metaphorik auf der einen Seite: „Remember not to forget the dying colors of yesterday / As you inhale tomorrow’s hot dream, blown from frozen lips / Remember, you naked agent of every nothing“ – es waren andere Zeiten und Kontexte damals. Auf der anderen Seite sind Kaufmans Zeilen stets von einem sehr hübschen Sprachduktus getragen, der sich dem Flow des Jazz anverwandelt hat.
Markus und Micha Acher, beide von The Notwist, spannen sich für das Album „All Those Streets I Must Find Cities For“ mit dem Hörspielautor Andreas Ammer und dem Loop-Bauer Leo Hopfinger zusammen, um Musik zur Erinnerung an den weitgehend vergessenen US-Autor zu fabrizieren. Entstanden sind spröde Jazz-Elektronik-Collagen, die klingen wie hingewürfelt, beim zweiten Hinhören dann aber doch sehr durchdacht sind.
Interview zerlegt und neu zusammengesetzt
Jazz und Breakbeats, oft an der Grenze zum Hörspiel: Zu hören sind Lesungen von Kaufman selbst und ein zerlegtes und neu zusammengesetztes Interview, das der Beat-Generation-Historiker Raymond Foye mit Allen Ginsberg geführt hat. Das Zentrum dieses mit Ideen prallen Albums aber bilden die Rezitationen.
The Plastik Beatniks: „All Those Streets I Must Find Cities For“ (Alien Transistor/Morr Music/Indigo)
Tenniscoats: „Papa’s Ear“ (Morr Music/Indigo)
Die Idee, Texte Kaufmans von Sängerinnen vortragen zu lassen, ist eine gute. Auf „All Those Streets I Must Find Cities For“ arbeiten die kollaborationsfreudigen Acher-Brüder mit Angel Bat Dawid, Moor Mother und Patti Smith zusammen. Dawid gehört momentan zu den interessantesten Jazzerinnen und spielt auf „Westcoast Sound 1956“ erst einmal schön verrauchte Klarinettenlinien über irritierende Störgeräusche und ein stolperndes Schlagzeug.
Auf vier der Tracks entwickelt Dawid gemeinsam mit der Band eine Jazz-meets-Lyrik-Variante, bei der man sich nicht mehr fremdschämt: Denn die Musik muss nicht als Verstärker von Bedeutsamkeit herhalten, sondern die Stimme wird als ein weiteres Instrument genutzt.
Zehnjähriges Schweigegelübde
Im Falle von Moor Mother, die Kaufmans „War Memoir“ vorträgt, ist dieses Instrument ein perkussives: „Suddenly they were too busy to hear a simple sound / They were busy shoving mud in men’s mouths / Who were busy dying on the living ground / Busy earning medals, for killing children on deserted street corners.“ Kaufman soll nach der Ermordung von US-Präsident John F. Kennedy, 1963, ein zehnjähriges Schweigegelübde abgelegt haben.
Patti Smith schließlich trägt „Ginsberg (for Allen)“ vor, aus Kaufmans bekanntester Gedichtsammlung „Solitudes Crowded with Loneliness“, über einer minimalistisch-melancholischen Gitarrenmelodie, die zunehmend elektronisch verfremdet und überlagert wird. Ein zärtliches Stück, exemplarisch für ein sehr schönes Album, das Kaufmans Beat-Literatur würdigt und vom Antiquarischen befreit, ohne dass die Plastik Beatniks deswegen so tun würden, als seien dies Texte zur Gegenwart.
Neben ihren engen Verbindungen in die USA haben Markus und Micha Acher zuletzt auch Musik aus Japan nach Deutschland geholt, die man ansonsten nicht ohne Weiteres gefunden hätte. 2020 ist bereits ein Sampler herausgekommen, „Minna Miteru“, der maximal niedlichen Kawaii-Lo-Fi-Pop und japanische Indietronics versammelt.
Versponnener Psychedelik-Folkpop
In der Band Spirit Fest spielen die Gebrüder Acher auch gemeinsam mit der japanischen Band Tenniscoats, einem Duo, das seit über 20 Jahren versponnenen, sanft psychedelischen Folkpop fabriziert, von dem aus dann in andere Genres ausgestrahlt wird.
Und mit dem Label Alien Transistor kümmert man sich von München aus um die Verbreitung der Musik von Tenniscoats in Europa. Teile des umfangreichen Werks der Band sind auf bislang fünf Alben veröffentlicht. Jetzt erscheint dort mit „Papa’s Ear“ ein Longplayer erstmals auf Vinyl, den Tenniscoats 2012 gemeinsam mit der schwedischen Postrockband Tape aufgenommen haben. Das zweite Album der beiden Bands, „Tan-Tan Therapy“ (2007), wird ebenfalls wieder aufgelegt.
Der Beitrag von Tape scheint vor allem in weichen Bläserarrangement und Streichelschlagzeug zu bestehen, im Zentrum stehen Gitarre und Stimme von Saya Ueno. Die Songs auf „Papa’s Ear“ erinnern an Kinderlieder, die von Erwachsenen für Erwachsene geschrieben worden sind, schon weil sie für Kinder zu melancholisch geraten sind.
Uenos Stimme ist frei von jeglicher Aggression, scheinbar passiv, wie kurz vor dem Verschwinden. In ihrer Sanftheit ist diese Musik sehr trostspendend, alles klingt fragil und skizzenhaft. „Papa’s Ear“ ist zehn Jahre nach Erscheinen der reine Eskapismus; schöne, einlullende Regression, Frieden auf Erden, ein Einhorn in gedeckten Farben fliegt vorbei und winkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!