Musical von Schorsch Kamerun: Rettung für die „Affenüberholer“
Ex-Funpunker Schorsch Kamerun lässt in der Elektropop-Revue „Was?“ im Berliner Theater an der Parkaue verwirrte Außerirdische die Erde retten.
Die Idee ist hübsch. Mehrere Extraterrestrische, darunter sogar eine extraterrestrische künstliche Intelligenz, kommen aus den Tiefen des Weltalls als charakterliche Entwicklungshelfer zum Problemplaneten Erde. Auch in fernen Galaxien hat man die zunehmende Menge an Weltraumschrott beobachtet, die dieser „Schmutzplanet“ so in seine Umlaufbahn wirft. Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre und das Aufheizen der gesamten Gashülle um den Festkörper wurden ebenfalls festgestellt.
Also kommt ein Raumschiff an. Das wurde von Bühnenbildnerin Katja Eichbaum hübsch dezentral konzipiert. Ein Iglu-artiger Käfig ist mitten auf der Bühne aufgebaut, in dem sich sensorbewehrte Wesen tummeln. Auf einem Screen sieht man andere dieser Wesen Körperakrobatik vollführen. Es handele sich um Fitmachübungen für die irdischen Schwerkraftverhältnisse, wird man aufgeklärt.
Das sechsköpfige Bewegungsensemble kommt von der Berliner Schauspielschule Die Etage. Das Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg betreibt also in dieser zweiten Ensembleproduktion beträchtlichen personellen Aufwand.
Das Raumschiff landet punktgenau im Ring Center, jener Shopping Mall, die sich auch nach irdischen Maßstäben sehr nahe am Theater befindet. Diese Konfrontation wird das gesamte Stück über herzhaft ausgeschlachtet. Die Außerirdischen (Iona Nitulescu und Andrej von Sallwitz) wundern sich über Konzepte wie Geld, Arbeit und Klassenunterschiede.
Anarchische Punktradition
In bester anarchischer Punktradition, die Eigentum nur für die allerekligste Form von Diebstahl hält, lässt Autor Schorsch Kamerun eine klassische Kaufhausdiebin (Elisabeth Heckel) erst über die Bühne und in später gezeigten Videosequenzen auch durch das echte Ring Center strolchen.
Damit es dramatisch wird, werden als Gegenfiguren ein Centermanager (Jakob Kraze) und dessen Sicherheitsadlatus (Florian Pabst) aufgeboten. Letzterer trägt einen Overall mit der Aufschrift „Ordnungsamt“. Das kann man als Kritik an den diversen public private Partnerships im Kommerzialisieren jeglicher Lebens- und Austauschprozesse werten.
In Zeiten steigender Infektionszahlen zum Zeitpunkt von Proben und Premiere wohnt dem Ordnungsamtmann freilich auch noch der Pandemiebekämpfungsaspekt inne.
Wie es sich für eine Revue gehört, sind die Figuren Archetypen und Klischeeverkörperungen. Sie handeln und agieren erwartbar. Aufgelockert wird das Geschehen durch sanft das Ohr streichelnde Elektropop-Songs, die der Musiker und Komponist Patrick Christensen aka PC Nackt aus den Tiefen seines Boards hervorholt und denen Kamerun, Sänger der Hamburger Punkband „Goldene Zitronen“, höchstselbst seine melodisch säuselnde Stimme leiht.
Selbsterkenntnisprozess durch magischen Stein
Clou der Menschheitsbeglückung ist ein magischer Stein, dem man Sorgen, Wünsche und Ängste anvertrauen kann und der in seinen Antworten eine Art Mediations- und Selbsterkenntnisprozess einleitet. All das wird mal mehr choreografisch, mal mehr musikalisch, mal mehr sprechtheatral ausagiert.
Die Menschen werden von den Außerirdischen im Übrigen als „Affenüberholer“ bezeichnet – eine aparte Wortschöpfung, die sowohl das Immer-mehr und Immer-schneller des Homo Capitalisticus aufnimmt als auch dessen animalische Herkunft aus dem Reich der kletternden Säuger mitreflektiert.
„Was?“ ist also ein Nachhaltigkeitsmusical, in dem freilich auch ein paar klassenkämpferische Aspekte mitschwingen. Kamerun vereint demnach das politisch Beste von Grünen und Linken und entwickelt auch den eingängigen Soundtrack plus Choreo dazu.
Als kurz vor Ende der Show das Publikum zum Artikulieren von Sorgen, Ängsten und Wünschen aufgefordert wird, kommt als erster Vorschlag prompt: „Kein Corona mehr.“ Da stimmen alle ein; allerdings muss bei der Wunscherfüllung sogar der magische Stein der Außerirdischen klein beigeben.
Premierenfeier abgesagt
Die Premierenfeier wurde von den Co-Intendanten Alexander Riemenschneider und Christina Schulz wegen der Coronazahlen abgesagt. Immerhin setzten sie die schöne Tradition fort, namentlich all die zu nennen, die auch Backstage an der Produktion beteiligt waren, und ihnen so zu danken.
„Was?“ macht sich leicht und locker über unsere Disziplinargesellschaft lustig und regt an, über eine bessere Zukunft für einen weniger geschundenen Planeten nachzudenken.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!