Museen untersagen "Fremdführungen": Erklärer müssen draußen bleiben
Immer mehr Museen pochen auf ihr Hausrecht und untersagen "Fremdführungen". Aber wer besitzt die Deutungshoheit über eine Ausstellung?
Miriam Leuneberg* ist freiberufliche Kunsthistorikerin und verdient ihr Geld mit Führungen. Unter anderem begleitet sie Schulklassen und kunstinteressierte Unternehmer durch Berliner Museen und Ausstellungsorte - auch den Martin-Gropius-Bau. Als Leuneberg aber im April eine Gruppe für die aktuelle Schau von Zeichnungen aus dem New Yorker MoMa anmelden wollte, bekam sie eine Absage - für immer: Fremdführungen lasse man grundsätzlich nicht mehr ins Haus, teilte die Leitung mit. Wer Informationen zu den Ausstellungen wünsche, könne ja eine hauseigene Gruppenführung in Anspruch nehmen.
In den letzten Jahren sei die Anmeldung freier Gruppen im Gropius-Bau immer schwieriger geworden, sagt Leuneberg, bislang habe sie aber immer eine Ausnahmegenehmigung bekommen können. Jetzt müssen sich ihre Kunden die Ausstellung von Kräften der Kulturprojekte Berlin GmbH erklären lassen, mit denen das Haus ausschließlich zusammenarbeitet. Oder draußen bleiben. "Diese Aussperrung ist ein Skandal", empört sich die Kunsthistorikerin. "Ich möchte meinen Beruf ungehindert ausüben können. In einem Museum muss freie Meinungsäußerung erlaubt sein, Monopole darf es nicht geben."
Ausgesperrt fühlt sich auch die Kunsthistorikerin Andrea Berger*. Den Gropius-Bau hat sie schon länger von ihrer Angebotsliste gestrichen. Doch auch in Häusern der Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) muss sie immer häufiger komplizierte Verhandlungen um den Einlass führen. Im Pergamonmuseum, wo sie regelmäßig - gegen eine Lizenzgebühr von 25 Euro plus Eintritt - Gruppen durch die Ständige Ausstellung führt, sei ihr der Zugang zur aktuellen Sonderausstellung, "Die geretteten Götter aus dem Palast vom Tell Halaf", verwehrt worden, erzählt sie. Begründung: Fremdführungen seien "nicht vorgesehen". Warum auch immer. Die taz erfährt bei der Besucherinformation nur: "Das ist eine neue Anordnung von oben für alle Sonderausstellungen."
Warum sollen sich Besucher nicht mehr aussuchen dürfen, von wem sie durchs Museum geführt werden? Miriam Leuneberg vermutet dahinter auch ein taktisches Kalkül: "Man will die Deutungshoheit über die Ausstellungen behalten. Gebriefte Studenten, die die Sichtweise der Kuratoren wiedergeben, sind für die Museen bequemer als alternative, kritische Blickwinkel."
Der vom Bund finanzierte Martin-Gropius-Bau bestreitet, dass man Kritik aussperren wolle. Man verweist auf Organisatorisches - und gibt den Schwarzen Peter an die freien Kunstfachleute zurück. "Wir wollen, dass bei uns nicht fünf Führungen gleichzeitig stattfinden, sondern nur eine. Und deren Qualität muss stimmen", sagt Leiter Gereon Sievernich. Man müsse "mindere Qualität" und "Wucher" verhindern: "Wir müssen den guten Ruf unseres Hauses wahren."
Andrea Berger zeigt sich über diese Argumentation verwundert. "Ich hätte keine Probleme damit, meine Fachqualifikation nachzuweisen", sagt sie. Auch die von den Staatlichen Museen 2004 eingeführten Lizenzgebühren für "Fremd"-Führungen akzeptiere sie inzwischen, obwohl diese ihre Verdienstmarge erheblich schmälerten. "Was ich aber inakzeptabel finde, ist die Willkür, mit der die Museen uns Freiberuflern gegenüber operieren", sagt Berger. "Für eine Sonderausstellung soll ich 45 Euro Lizenz bezahlen, zu einer anderen bekomme ich gar keinen Zutritt - es fehlt eine verbindliche Regelung für alle Berliner Museen."
Tatsächlich sind die Regelungen für die Besucherdienste so unterschiedlich wie die Häuser selbst. Wer zum SMB-Verbund gehört, praktiziert ein Lizenzmodell, das auch Städte wie Dresden oder Mannheim verwenden. Der Gropius-Bau orientiert sich mit seiner Abschottungspolitik offenbar am Beispiel des Pariser Louvre. Andere Häuser wie das bundesgeführte Deutsche Historische Museum oder die landeseigene Berlinische Galerie lassen frei geführte Gruppen dagegen gewähren. Der Berliner Senat macht keine Vorgaben, nur einzelne Politiker wie die Grüne Alice Ströver empören sich über das Gebaren der Museen. Seit der großen MoMa-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie 2004 beobachtet Ströver, dass Museen den Besucherservice immer öfter an Fremdfirmen delegieren und sich gegen vermeintliche Konkurrenten abschotten. "Es kann nicht in kulturpolitischem Interesse sein, einen freien Berufsstand auszusperren und nur noch die eigene Sichtweise auf Ausstellungen zuzulassen", sagt Ströver. Andererseits sei es unmöglich, Vorschriften zu erlassen, die für landeseigene, bundeseigene und mischfinanzierte Häuser gleichermaßen gelten.
Im Haus von Kulturstaatsminister Neumann, der unter anderem für den Martin-Gropius-Bau zuständig ist, sieht man kein Problem. Es sei das gute Recht der Museen, mit Führungen selbst Geld zu verdienen, sagt ein Mitarbeiter. Dass den Museen durch Fremdführungen aber wirklich Geld durch die Lappen geht, darf bezweifelt werden: Wenn es Miriam Leuneberg gelungen ist, eine Gruppe anzumelden, zahlt sie neben 25 Euro Lizenzgebühren den vollen Eintrittspreis - ohne Gruppenermäßigung. Bei einer Beschränkung auf 25 Teilnehmer bleibt für Leuneburg wenig hängen. "Für die Museen lohnt sich der Deal", meint sie. "Ich bringe denen zahlende Kunden. Für mich aber lohnen sich Gruppenführungen immer weniger."
Auch Andrea Berger betrachtet sich nicht als Konkurrentin der Museen: "Meine Unternehmer und Ärzte haben kein Interesse an Standardführungen. Wenn sie nicht mit mir in eine Ausstellung können, gehen sie lieber gar nicht."
* Namen von der Redaktion geändert
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