Munoz ermahnt Deutschland: Menschenrechte nicht für den Mond
Der Sonderbeauftragte der UN für das Menschenrecht auf Bildung, Vernor Munoz, fordert Bundesländer und -regierung auf, die Rechte behinderter Kinder anzuerkennen.
![](https://taz.de/picture/349503/14/down_b.jpg)
BERLIN/OLDENBURG taz | Der UN-Sonderberichterstatter für Das Menschenrecht auf Bildung, Vernor Munoz, hat sich erneut sehr kritisch über den Umgang mit behinderten Schülern in Deutschland geäußert. Munoz sagte der taz, "das Menschenrecht auf Bildung ist nicht für den Mond gemacht!"
Er reagierte damit auf die Äußerung eines Marburger Schulrats, der sagte: Die Konvention der Vereinten Nationen für behinderte Menschen habe in Hessen keine Gültigkeit. Wie die taz berichtet hatte, verweigert das Schulamt mit diesem Hinweis einem 15-jährigen Jugendlichen mit Down-Syndrom den Zugang zu einer Gesamtschule - obwohl diese ihn aufnehmen will.
Der Jurist und Menschenrechtsbeauftragte Munoz mahnte in einem Gespräch am Rande seines Besuchs in Oldenburg grundlegende Veränderungen der deutschen Schule an. "Mit dem Schulsystem kann es so nicht weiter gehen. Man kann nicht sagen, wir machen inklusive Schule - und ändert aber gar nichts", sagte Munoz.
Inklusive Schule ist ein Begriff aus der Behindertenkonvention, er legt fest, dass Behinderte künftig von Anfang als dazugehörend zu betrachten sind. Munoz meinte, es wäre nicht richtig und undiplomatisch, die Bundesländer als Schurkenstaaten zu bezeichnen - obwohl sie fortgesetzt und absichtlich UN-Menschenrechtskonventionen missachten. "Nein, die Bundesländer sind keine Schurkenstaaten. Aber wir müssen darauf bestehen, dass auch deutsche Schulbeamte dabei helfen, die Rechte behinderter Kinder in der Realität umzusetzen."
In Deutschland sind viele Fälle behinderter Kinder bekannt, denen der Zugang zur allgemein bildenden Schule verwehrt bleibt. Der Bundestag und die Bundesländer haben aber kürzlich eine Konvention der UN ratifiziert, welche Menschen mit Handikaps den Gang zur Regelschule ausdrücklich erlaubt. Die Beauftragte des Instituts für Menschenrechte in Berlin Claudia Lohrenscheidt teilte unterdessen mit, ihr Institut werde ab sofort die Umsetzung der Rechte nach der UN-Konvention beobachten. In Deutschland lernen über 400.000 Schüler in Sonderschulen - das sind 85 Prozent der behinderten Kinder.
Der taz wurde unterdessen ein weiterer Fall berichtet, in dem alle Beteiligten sich für die Aufnahme eines Down-Jungen in eine Regelschule stark machen, das Schulamt aber praktisch ein Verbot ausgesprochen hat, das Kind aufzunehmen. Der Junge heißt Ernesto, ist sechs Jahre alt und kommt aus Köln. Eine Grundschule wollte ihn in den normalen Unterricht integrieren. Doch da schritt die Schulbehörde ein und untersagte die Aufnahme - aus Kostengründen.
"Es sind nicht die Menschen, die behindert sind", sagte der Juraprofessor, Autor und ehrenamtlicher Gesandter des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, "Behinderung ist eine Eigenschaft, die man diesen Menschen durch Strukturen von außen antut." Munoz betonte, "das Lernen ist die einzige Möglichkeit, seine Grenzen zu überschreiten." Dies dürfe man einem Menschen nicht vorenthalten.
Munoz äußerte sich erstmals auch über die lange erwartete Antwort, welche die Bundesregierung auf seinen Inspektionsbericht abgegeben habe. "Ich hatte letztes Jahr noch einmal nachgefasst, um einen Folgebericht zu bekommen. Darauf habe ich schließlich im April 2009 eine Antwort erhalten", sagte der 47-jährige Costa-Ricaner. Er nannte die dreiseitige Antwort der Bundesregierung dünn.
"Die Bundesregierung meint, dass die verschiedenen Schulformen nicht mehr so streng getrennt sind, wie sie es bislang waren. Es gebe verschiedene Förderprogramme, die dagegen helfen. Genauso existierten, wie sie es nennt, in Regelschulen integrative Programme und bedürfnis-spezifische Programme in den Sonderschulen."
Die Bundesregierung hatte nach taz-Informationen zunächst erwogen, keine schriftliche Antwort auf den Deutschlandbericht von Munoz zu geben.
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