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Mummlose Mimosen

Die Filmkritik sei zu gemein, zu polemisch, beklagten französische Regisseure in einem Manifest. Truffaut hätte so etwas nie unterschrieben. Eine Widerrede  ■   Von Marcel Ophuls

Mein Alter hatte seine eigene Einstellung zur Kritik seiner Filme. Er teilte sie in vier Kategorien ein. „Wenn die Kritik schlecht ist, und außerdem blöd, lese ich sie nur flüchtig und schmeiße sie sofort weg. Wenn sie gut ist, aber leider blöd, lese ich sie einmal aufmerksam durch und schmeiße sie dann weg. Wenn die Kritik schlecht ist, aber gescheit, versuche ich, etwas daraus zu lernen und lasse sie ein paar Tage in meinem Büro liegen. Wenn die Kritik gut, gescheit und sogar auch noch anständig geschrieben ist, wird sie ausgeschnitten und sorgfältig in ein Album geklebt für wiederholten Gebrauch in späteren Tagen der Unsicherheit, der Arbeitslosigkeit und der schlaflosen Nächte.“

In dem Manifest, das meine französischen Regisseurskollegen vor kurzem unter die Leute brachten und das in Frankreich für Riesenwirbel sorgte, maßen sie sich nicht nur an, der Kritik ihre Tonlage vorzuschreiben, sie fordern, dass vor dem ersten Startwochenende keine negativen Kritiken erscheinen (wohl um Großproduktionen wie „Asterix und Obelix“ das Geschäft nicht zu vermasseln), und sie gehen sogar so weit, den Filmkritikern die Berechtigung zur Kritik überhaupt abzusprechen. Da heißt es: „Jean Renoir konnte den Marcel Carné von ,Hafen im Nebel‘ kritisieren, weil er Jean Renoir war.“ Die taz fragte keck zurück: „Aber ab wann weiß man, dass man Jean Renoir ist, selbst wenn man Jean Renoir ist?“ Oder Max Ophüls? Oder François Truffaut?

Der viel zu früh verstorbene „Maitre à penser“ des jungen und dann nicht mehr ganz so jungen französischen Films war mein bester Freund. Truffaut war als ehrgeiziger Kritiker der Cahiers du Cinéma weiß Gott nicht zimperlich. Jahre nach den Cahiers trennten sich die Wege der jugendlichen Rebellen aus politischen Gründen. Godard wurde in den Sechzigerjahren Maoist, die Cahiers wurden immer obskurer, immer elitistischer, immer terroristischer und folgten ihrem Schweizer Guru auf Schritt und Tritt. Auf jeder Pressekonferenz griff Godard Truffaut als einen bürgerlichen Verräter an, als Kollaborateur der neofaschistischen Gesellschaft. „Wie lange wollen Sie sich das noch von diesem Klugscheißer gefallen lassen?“, fragte ich Truffaut bei fast jeder Begegnung. Der winkte jedes Mal ab: „Reden wir lieber über Cinéasten, die wir beide verehren, reden wir lieber über Lubitsch.“ Erst nach seinem Tod, in seiner postum veröffentlichten „Correspondence“, erfuhr ich, wie gründlich mein Freund seinem ehemaligen Komplizen schon die Leviten gelesen hatte. So viel zur Toleranz und Breitschultrigkeit eines Kollegen, der auch die Hetzkampagnen früherer Freunde über sich ergehen ließ. Und der, wenn er schon Manifeste unterzeichnete, dann doch welche gegen den Algerienkrieg – staatsfeindliche Manifeste, die die jungen französischen Rekruten aufriefen zu desertieren.

Und da wir gerade bei Lubitsch waren: Da gibt es einen berühmten Briefwechsel zwischen einem amerikanischen Kritiker und ihm. Der Kritiker warf ihm vor, schlecht alt zu werden, der „Lubitsch-Touch“ sei nur noch eine ausgelaugte Schablone. Lubitsch antwortete, so etwa zwischen zwei Herzinfarkten: „Lieber Herr W. Sie haben sicher Recht, trotzdem meine ich, dass mir auch in meinen letzten Jahren noch ein paar Filme gelungen sind, zum Beispiel 'Rendezvous nach Ladenschluss‘ und 'Sein oder Nichtsein‘, auch wenn es keine Kassenerfolge waren.“

Ich denke halt, eine gewisse Form von Großzügigkeit, Toleranz und realistischer Zivilcourage gehören beim Filmemachen nicht nur zur Begabung, sondern auch zum Geschäft. So und nicht nur so gesehen ist das Manifest „Nous Cinéastes ...“ ein selbstmitleidiger, selbstgefälliger, ganz und gar undemokratischer, nabelbeschauender Managerkitsch. Warum ein begabter und sympathischer Regisseur wie Patrice Leconte diesen Feldzug ausgerechnet jetzt auslösen muss, gerade in den Tagen, wo in Seattle das französische Autorenrecht auf dem Spiel stand und immer noch steht? Ein Recht, mit dem man hierzulande zumindest versuchte, die künstlerische Freiheit der Filmautoren einigermaßen gegen die Macht des Marktes zu schützen. Ein Recht, das vermutlich ohne viel Aufsehen an Bill Clinton, Jack Valenti, Mickey Kantor und die US-Multimedia-Bosse hinter geschlossenen Türen verkooft und verschachert wird. Weit schlimmer als Lecontes etwas hilfloser Brief, der zur Initialzündung der Debatte wurde, ist aber die schmierige, heuchlerische, linkstotalitäre Prosa des angeblichen Filmemacherkollektivs in seinem darauf folgenden Manifest. Da muss ich leider gestehen: Den Stil kenne ich nur zu gut. Das ist keine Kollektivschreibe. Noch vor nicht allzu vielen Jahren saß ich in der Wohnung von Bertrand Tavernier, als ein neuer Film von ihm herauskam und er seine Pressefrau zehn Minuten lang anschnauzte, weil sie nicht fähig war, die schlechte Kritik in Libération (von Gérard Lefort) zu verhindern oder zumindest ein paar Tage lang aufzuhalten. Das war dieselbe Wut, derselbe Stil, dieselbe linksintellektuelle großbürgerliche Verachtung für die Meinungsfreiheit der anderen.

Deshalb trifft der von Libération veröffentlichte Einwand des amerikanischen Kritikers Kent Jones ins Schwarze. Er macht darauf aufmerksam, dass die Gnade und Schonfrist, die immer wieder von den bösen Filmkritikern verlangt werden, doch Sache der Produzenten, Verleiher und Kinobesitzer ist. Um mit denen allein fertig zu werden, müssten so kommerziell erfolgreiche und einflussreiche, weinerlich klagende Mimöschen wie etwa der grauenhaft demagogische und ganz und gar unbegabte stupide „Jugend-Arschkriecher“ Luc Besson, doch groß und stark genug sein.

Genügt es diesen eitlen Moralisten denn nicht mehr, dass sie und ihre Alliierten, die großen Medienbosse, es in den letzten Jahren durchsetzen konnten, bei jedem neuen Filmfürzchen als Supergast in der „Tagesschau“ und den meistgesehenen Talkshows eingeladen zu werden? Zumal die Fernsehanstalten ja auch noch als wesentliche Koproduzenten ihre eigene Werbung damit betreiben? Genügt es ihnen nicht, dass die schönsten und begabtesten Schauspielerinnen Frankreichs wie Emmanuelle Béart, Juliette Binoche oder Catherine Deneuve Woche für Woche gezwungen werden, immer wieder den Fernsehinterviewern zu versichern, wie unwahrscheinlich magisch intuitiv, wie außerordentlich liebevoll und liebenswert, wie unendlich schonungsvoll alle diese Regisseure „in der gemeinsam geleisteten, unheimlich schweren Arbeit“ alle, alle, alle immer sind und waren? Jawohl, oft muss man heutzutage nun mal auf Libération, Télérama oder Positif warten, um zu erfahren, dass auch diese gemeinsam geleistete hochkünstlerische Arbeit wieder nur der übliche Pariser „Realismusschmarrn“ war. Here today and gone tomorrow!

Ganz schnell noch: Vor 25 Jahren brachte die Paramount in New York „The Memory of Justice“ („Nicht schuldig“), meinen Film über die Nürnberger Prozesse und ihre Folgen heraus. Ich war damals ein Liebling der amerikanischen Presse. Eines morgens, ein paar Tage vor dem Kinostart, sagte mir der Pressechef in der 39. Etage des Gulf and Western Buildings: „Marcel, The New Yorker just called. Pauline Kael möchte Sie dringend sprechen. Bitte rufen Sie gleich zurück.“ Ich meldete mich sofort bei der einflussreichsten und gefürchtetsten Kritikerin Amerikas (und damals wohl der ganzen Welt): „Hello Pauline“, sagte ich freudig gespannt, denn wir mochten uns sehr, „what can I do for you?“ „Just checking a few facts, Marcel. But I must tell you: Ihren Film habe ich gestern gerade gesehen, und ich finde ihn gar nicht gut. Das werde ich leider auch schreiben!“ Es entstand eine Schreckenspause, denn zu dieser Zeit konnte die Kael nicht nur die Karrieren von „schwierigen“ Filmen in Grund und Boden vernichten, sie konnte auch deren Autoren in der Versenkung verschwinden lassen. „I'm very sorry about that, Pauline“, sagte ich leise zögernd, „aber bitte, könnten Sie nicht vielleicht ein, zwei Wochen mit Ihrer schlechten Kritik warten? Sie wissen ja, der Film hat mich drei Jahre meines Lebens gekostet, und einen schweren Prozess.“ – „Tut mir leid, Marcel. Das kann ich nicht! Würden Sie mir jetzt noch schnell ein paar Fragen beantworten?“

Ich tat es. Die Kritik erschien ein paar Tage später. Sie war in der Tat vernichtend! Pauline Kael betrachte ich auch heute noch als eine der besten und gescheitesten Kritikerinnen der Filmgeschichte. Allerdings halte ich auch „The Memory of Justice“ für meinen besten Film.

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