Multimediale Fernsehstudios: Besser gucken und dann ins Netz
Ein Mensch und ein Bild reichen offensichtlich nicht mehr im Nachrichtengeschäft. Deshalb werden die Fernsehstudios nun interaktiv.
Es fiel schon auf, als im letzten Monat die Weltkarte im "heute journal"-Studio durch fünf rotierende Globen ersetzt wurde. Ob das Design des Studios, das nach seinem Start 2009 oft kritisiert worden ist, jetzt besser ankommt? Die Senderverantwortlichen jedenfalls werden genau darauf achten. Denn wenn es etwas gibt, dass den Fernsehsendern ein "Gesicht" verleiht, dann sind es ihre Nachrichtensendungen: Während fast alle Formate ersetzbar sind, gilt das nicht für beispielsweise die "Tagesschau", "heute" oder "RTL Aktuell".
Zurzeit haben fast alle großen Sender in Deutschland ihre Nachrichten neu gestaltet oder sie sind gerade dabei. Eins der wichtigsten Ziele dabei: mit neuen Medien und multimedialer Technik Informationen verständlicher zu machen. Ob das gelingt, bezweifeln Experten.
"Die Informationsfrequenz hat sich vervielfacht, vieles wird bei den Zuschauern an Vorwissen vorausgesetzt, und hier bietet die Digitalisierung endlich Lösungen", sagt Philipp Wundt vom internationalen Agenturnetzwerk Bruce Dunlop and Associates, das beispielsweise in Großbritannien für die BBC und ITV Nachrichtensets kreiert. Multimedialität sei eine Riesenchance, eine zusätzliche Erklärungsmöglichkeit.
Besonders Twitter und Apps für mobile Endgeräte haben den Nachrichtenfluss extrem beschleunigt und die Nachrichtenmacher in Zugzwang gebracht. Wundt: "Wir brauchen dringend eine Plattform, die wir als Filter für all diese Angebote nutzen können. Sozusagen eine Umgebung, die als Vehikel funktioniert, um alle Medienformen, angefangen bei Twitter bis hin zu klassischen TV, zum Konsumenten zu transportieren."
Das kann sein Kollege Jochen Schreiber von VR3, der unter anderem die News Studios für Sat.1, N24 und ProSieben ausgerüstet hat, nur bestätigen: "Es geht in erster Linie um eine visuelle Ästhetik, eine moderne Form, die sich den stetig wandelnden Sehgewohnheiten anpasst."
Zu irritierend
Das war auch der Grund, warum das ZDF ein neues virtuelles Studio an den Start brachte. Die Einführung geriet spektakulär und war nicht ganz unumstritten. "Unpersönlich und irritierend", urteilten Zuschauer des Mainzer Senders, dessen Publikum im Durchschnitt um die 60 Jahre alt ist. Das habe sich jetzt geändert, so der stellvertretende ZDF-Chefredakteur Elmar Theveßen: "Wir haben deutlich nachgearbeitet." Die Schrift sei verbessert worden, die bewegten Linien, die gerade die älteren Zuschauer störten, wurden verlangsamt.
Theveßen: "Das Opening haben wir letzten Sommer komplett verändert. Jetzt kann man einen Blick in die Regie werfen, dann kommt die Uhr, dann kommt der Blick auf den Moderator." Dem Nachrichtenmann ist es wichtig, in der modernisierten Studioumgebung Interaktivität abzubilden: "Wir planen eine Feedbacksendung, in der beispielsweise Twitter und Facebook integriert werden können."
Seine Kollegen von der ARD konzipieren zurzeit noch ein neues Nachrichtenstudio. "Wir werden Ende 2012 an den Start gehen", kündigt der Chefredakteur von ARD-aktuell Kai Gniffke an. Im Gegensatz zu den Mainzern setzt man bei der ARD auf ein "reales" Studio. Neue multimediale Anwendungen kommen aber auch hier zum Einsatz. Im Mittelpunkt: eine Touchfläche, auf der der Moderator seine Inhalte hin- und herbewegen kann, und eine große Videowand, auf der diese Inhalte dann abgebildet werden.
"Die größte Veränderung ist der Echtzeitrechner bzw. die Echtzeitgrafik, die dahintersteht. Da müssen wir Redakteure vor der Sendung dramaturgischer denken", sagt Gniffke. Wundt jedenfalls warnt davor, neue Technologien nur aus "einer Mode heraus" einzusetzen: "Dann wird die Kommunikation der Informationen beeinträchtigt. Anstatt mit einer klaren, verständlichen Nachrichtenplattform zu arbeiten, riskieren Sender, durch falschen Technologieeinsatz Newsformate unangebracht zu verfremden und Distanz zur Marke schaffen."
Ob die Nachrichtenmacher ihr Ziel erreichen werden, mithilfe neuer und multimedialer Medien Informationen verständlicher zu machen, wird von Norbert Bolz generell bezweifelt. Für ihn geht es bei den Neuerungen eher darum, dass in einer Welt, die immer unnachvollziehbarer wird, neue Präsentationen den Zuschauern die Angst nehmen sollen: "Das ganze Ziel ist utopisch, die Bevölkerung in fünfzehn Minuten über das Weltgeschehen zu informieren." Das hat in der Sicht des Medienwissenschaftlers nichts mit der Kompetenz der Sender zu tun, sondern der Komplexität der Themen selbst.
Nachrichtensendungen würden schon längst ihre Nachrichten auf einer emotionalen Ebene von Sympathie und Antipathie ausstrahlen: "Wenn das Gesendete sachlich ist, dann ist es - außer für einige Fachleute - unverständlich. Und ist es verständlich, ist es nicht mehr sachlich, sondern emotional. Und da geht es dann um Gesichter und das Leid der Menschen, die Betroffenen und die Opfer, die Schurken, aber nicht um analysierbare Strukturzusammenhänge."
Alles komplex
Auch Gniffke räumt ein, dass es komplexe Themen gibt. Für Bolz jedenfalls steht ein kulturgeschichtlicher Mechanismus dahinter: "Seit es Massenmedien gibt, geht mich alles etwas an. Die Menschen werden dadurch sowohl kognitiv als auch moralisch überfordert. Das kann niemand ertragen. Ständig läuten die Alarmglocken, und man hat das Gefühl, sie läuten für jeden persönlich - das ist ein großes Zivilisationsproblem."
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