Multicult.FM: Die Wiederkehr der Welt-Welle
Als Radio Multikulti starb, wurde der Internetsender multicult2.0 geboren. Jetzt laufen die Weltklänge wieder auf UKW. Das ist auch der Erfolg von Brigitta Gabrin.
Dass Brigitta Gabrin altmodisch ist, dass sie von moderner Technik nichts versteht, das kann man wirklich nicht behaupten. Immerhin ist sie die Chefin des Internetradios multicult2.0. Und doch freut sich Gabrin ungemein, dass ihr Programm wieder ganz traditionell im Radio zu hören sein wird. "Wir haben es geschafft", sagt die kleine Frau zufrieden und fährt sich durchs halblange, blonde Haar. "Aber der Weg war nicht leicht." Seit fast anderthalb Jahren leitet sie multicult2.0, so lange schon kämpfen sie und fast 100 Mitstreiter um den Zugang zu einer UKW-Frequenz. Am heutigen Samstag, pünktlich zum Karneval der Kulturen, geht der Sender on air - als "multicult.FM".
Ein fünfstündiges Sendefenster bekommt das Radio auf der nichtkommerziellen Frequenz 88,4 MHz für Berlin. Im Südwesten der Stadt und in Brandenburg wird es auch auf 90,7 MHz zu hören sein. Zum Einstieg gibt es Sondersendungen live von den Festplätzen des Kreuzberger Karnevals.
Wenn sich Brigitta Gabrin an die Entstehung von multicult2.0 erinnert, wird sie ernst. Sie denkt an die Silvesternacht 2008, als der RBB "ihr" Programm abschaltete: Radio Multikulti, die Integrationswelle des Senders, war nach 14 Jahren am Ende. Begründung des RBB: zu teuer. Diese Erklärung wollte die Journalistin und Diplompsychologin rumänischer Abstammung nicht akzeptieren. Genauso ging es den vielen tausend Unterstützern, die mit Aktionen und Unterschriftenlisten gegen die Schließung protestierten: "Radio Multikulti hatte eine erfolgreiche Geschichte hinter sich", sagt Gabrin, die damals schon seit elf Jahre als Moderatorin und Redakteurin bei dem Programm arbeitete, "das war nicht unbedingt in Hörerzahlen messbar, aber in Auszeichnungen und internationaler Anerkennung."
Fünf Minuten nach der Abschaltung von Radio Multikulti - "unserer Welle", wie Gabrin sagt - starteten sie und weitere 20 Ehrenamtliche ihr Programm im Internet - völlig unabhängig von der ARD-Sendeanstalt. "Wir haben in einer Nacht sowohl den Tod als auch die Geburt unseres Radios erlebt", erzählt die Moderatorin. Ganz demokratisch wurde sie zur Projektleiterin des neuen Senders gewählt. Ihre Familie musste mitziehen: Ihr Sohn, der Regie studierte, wurde Filmkritiker, ihr Partner arbeitete am Businessplan mit. "Wir arbeiteten ohne Geld in der Tasche, aber mit einer brennenden Leidenschaft fürs Radio." Unterstützung kam vom Multikulti-Freundeskreis, einem Verein, der sich aus ehemaligen Hörern rekrutierte. In den ersten Monaten unterstützte er die Onlineübertragung mit durchschnittlich 2.000 Euro Spenden im Monat. Dass die Netzvariante langfristig überleben würde, glaubte außerhalb des Senders aber kaum jemand.
Es mag auch an der Finanzkrise liegen, dass der Spendenfluss mittlerweile noch geringer geworden ist. 600 Euro Festkosten hat der Internetsender pro Monat, darin sind die Streaminggebühren und die Versicherung für die Technik enthalten. Den Mitarbeitern einen Lohn zu bezahlen komme nicht infrage, sagt Brigitta Gabrin und scherzt: "Mit null Euro im Monat bin ich die mit Abstand am schlechtesten bezahlte Geschäftsführerin Berlins." Einige Mitarbeiter mussten in den vergangenen 16 Monaten aufhören, erzählt sie. "Sie mussten bezahlte Jobs annehmen. Das kann man keinem vorwerfen."
Auch unter den neuen Bedingungen ist die finanzielle Situation kaum besser. Die Medienanstalt Berlin Brandenburg (MABB) hat Mitte Mai insgesamt sieben Initiativen erlaubt, die neue Frequenz zu nutzen - allerdings gilt dies nur für nichtkommerzielle Angebote. Werbung kommt als Einnahmequelle also nicht infrage. multicult.FM finanziert sich weiterhin durch Spenden oder Sponsoring, zudem hat man Anträge auf Fördergelder gestellt. "Bis zu einer Stabilisierung des Senders arbeiten wir alle ehrenamtlich", sagt Gabrin.
Der im Herbst gegründete Stiftungsverein Inkum soll als prominentes Netzwerk unter anderem auch den Weg zu Sponsoren öffnen. Wenn es gut geht, könnten sich die multicult-Macher den Traum vom eigenen Studio erfüllen. Schon vor einigen Monaten hat der Sender angekündigt, in der Kreuzberger Marheineke-Markthalle ein "gläsernes Studio" aufzubauen. Der Mietvertrag soll demnächst unterschrieben werden. Bislang senden die Multicults noch von ganz unterschiedlichen Orten ins Netz. "Von der Naunynritze bis zur Werkstatt der Kulturen tragen wir unsere Technik immer noch im Rucksack herum", berichtet Gabrin - Mischpult, Senderrechner, Lautsprecher und Mikros. "Unter solchen Umständen ist es schwierig, eine tagesaktuelle Sendung in der von uns angestrebten journalistischen Qualität zu realisieren."
Die ersten Sendungen auf 88,4 werden deshalb für alte Multikulti-Fans ungewohnt klingen - sie sind vorproduziert. Das "Morgenmagazin" startet voraussichtlich am 1. September. Sieben muttersprachliche Sendungen sind geplant: Magazine auf Türkisch, Chinesisch, Spanisch, Südslawisch, Vietnamesisch, Arabisch und Albanisch. "Für mich ist ein Leben in der Monokultur undenkbar und auch nicht zeitgemäß", sagt Gabrin und fügt hinzu: "Ich wollte immer schon die Welt verändern. Allerdings habe ich nach meinem Studium festgestellt, dass ich dafür nicht nur als Therapeutin das Individuum verändern muss, sondern die Gesellschaft."
Die Sendungen im Internet gehen übrigens weiter. Und nach über einem Jahr Streaming ist Brigitta Gabrin der Ansicht, dass es gar nicht so schlimm war wie befürchtet: "Das ist die Zukunft des Radios."
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