Mütter im Knast: Bestrafung ohne Urteil
Seit Januar sitzen vier vietnamesische Mütter in Haft - getrennt von ihren Kleinkindern. Während in anderen Bundesländern Kinder bis zum dritten Lebensjahr bei der Mutter bleiben dürfen, ist dies in Berlin nur bis zum ersten Geburtstag erlaubt.
Vier vietnamesische Frauen wollen ihre Kinder zurück: Die Mütter von Kleinkindern unter drei Jahren sitzen seit mehr als vier Monaten in Untersuchungshaft - getrennt von ihren Kindern. Das jüngste Kind war zum Zeitpunkt der Inhaftierung der Mutter gerade sechs Monate alt und wurde nach Aussagen von Thuy Nonnemann vom Vollzugsbeirat noch gestillt. "Eine Mutter von einem Säugling zu trennen, ist eine Menschenrechtsverletzung", sagt sie. Die anderen Kinder haben sich nach Aussagen zweier Anwälte durch die lange Trennung bereits von ihren Müttern entfremdet.
In Berlin gibt es lediglich zwei Haftplätze für Mütter mit Kindern im geschlossenen Vollzug, erklärt Matthias Blümel, der Leiter der Justizvollzugsanstalt für Frauen. Derzeit seien sie zwar nicht belegt, gibt er zu. Die Plätze hätte das Landesjugendamt allerdings nur für Kinder bis zum ersten Geburtstag genehmigt - im Unterschied zu anderen Bundesländern, wo die Haftunterbringung für Kinder bis zum dritten Geburtstag möglich sei. Von den vier vietnamesischen Müttern hat eine ein Kind unter einem Jahr. Warum sie nicht gemeinsam mit ihrem Baby im Gefängnis untergebracht ist, weiß Blümel nicht. "Entweder hat ihr Anwalt keinen Antrag gestellt oder das zuständige Jugendamt hat ihn nicht an uns weitergeleitet."
Die Frauen sind als vermeintliche Mitglieder einer Schleuserbande festgenommen worden. Mitte Januar hatte die Berliner Polizei zur Pressekonferenz geladen. Ihr war ein großer Schlag gegen eine international agierende Schleuserbande gelungen, die mindestens 165 Vietnamesen illegal nach Deutschland gebracht haben soll. Elf Mitglieder der Bande wurden festgenommen, drei Männer und acht Frauen, davon vier Mütter von Kleinkindern.
Zwei Anwälte, die diese Frauen vertreten, berichten, dass es bisher lediglich drei beziehungsweise fünf Besuche der Babys und ihrer Pflegeeltern in der Haftanstalt gab. Alain Lingnau vertritt als Anwalt die Mutter eines zweijährigen Sohnes. "Die Mütter gehörten nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft nicht zur Organisationsebene der Bande", sagte er der taz. "Ihnen wird vorgeworfen, eingeschleuste Personen in ihren Wohnungen untergebracht zu haben. In einzelnen Fällen gibt es weitere Tatvorwürfe."
Seine Mandantin wünsche sich eine gemeinsame Haftunterbringung mit ihrem zweijährigen Kind. Der Sohn wohne derzeit bei einer Freundin und habe die Mutter erst drei Mal in der Haft besucht.
Die inhaftierte Mutter war vor vier Jahren selbst illegal nach Berlin gekommen und hatte hier bis zur Geburt des Kleinkindes unversteuerte Zigaretten verkauft. Sie hatte den in ihrer Wohnung aufgenommenen Neuankömmlingen - allesamt Menschen aus der mittelvietnamesischen Provinz Quang Binh - auch "Arbeit" in Berlin vermittelt. Gemeint ist Schwarzarbeit, also entweder Jobs als Babysitter in vietnamesischen Familien oder der Verkauf von unversteuerten Zigaretten. Sie hat dies laut dem Anwalt als "solidarische Hilfe gegenüber Landsleuten" dargestellt und mit Ausnahme eines Mietanteils für die Wohnung keine Einnahmen erzielt. Die Staatsanwaltschaft sieht jedoch in dem Mietanteil einen Schleuserlohn und die Mutter deshalb als Mitglied der Bande. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest.
Menschen aus Mittelvietnam werden von ihren Familien häufig zum Geldverdienen ins Ausland geschickt. Doch über das Leben in Deutschland existieren falsche Vorstellungen. Dass Zigarettenverkauf in Berlin etwa verboten ist und den Töchtern und Söhnen Haft droht, ist vielen Familien in Vietnam nicht klar.
Benedikt Lux, rechtspolitischer Sprecher der Grünen, kritisiert die Trennung von Eltern und Kindern: "Wenn Kleinkinder wegen fehlender Kapazitäten im Strafvollzug nicht zu ihren inhaftierten Müttern dürfen, leiden die Allerschwächsten."
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