Münchener "Tatort"-Krimi am Sonntag: Glaube, Liebe und Gewalt
Die "Tatort"-Kommissare Batic und Leitmayr ermitteln in der Stadelheimer Vollzugsanstalt. Die Anlässe: Ein algerischer Ausreißer und ein Herointoter in der Knastdusche (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD).
Am besten ist der bayerische „Tatort“ bekanntlich immer dann, wenn er ein bestimmtes Quartier in den Mittelpunkt der Erzählung rückt. In dieser Episode ist es nun kein ganzer Stadtteil, sondern ein einziger Gebäudekomplex: die Justizvollzugsanstalt Stadelheim, jener geschichtsträchtige Münchner Knast, in dem einst Adolf Hitler einsaß und später die Mitglieder der Widerstandsgruppe Weiße Rose hingerichtet worden sind.
Ein Ort also, in dem sich noch immer Ablagerungen aus den düstersten Kapiteln deutscher Historie finden.
Umso bemerkenswerter, dass hier Beamte ihren Dienst versehen, die bei aller Scheußlichkeit des Umfelds ihre Glauben an die Menschlichkeit bewahrt haben – und freundlich bis fahrlässig gegen die Vorschriften handeln.
Da ist zum Beispiel der Aufseher, der einen süchtigen Insassen kurz vor Bettruhe in die Dusche lässt, auf dass er sich dort einen Schuss setzen kann.
Oder da ist die Schließerin Marie Hoflehner (Anneke Kim Sarnau), die dem einsitzenden algerischen Drogendealer Hassan Adub (Medhi Nebbou, „Schläfer“) bei der Flucht hilft, weil sie fest daran glaubt, dass jeder eine zweite Chance verdient hat.
In die Glückseligkeit führen diese Anfälle von Humanismus allerdings nicht: Dem Knacki mit dem Heroinproblem zum Beispiel wurde derart reiner Stoff untergeschoben, dass er daran krepiert, und der algerische Ausreißer nimmt nicht etwa vom Hauptbahnhof schnurstracks den Express in die alte Heimat, sondern rückt seiner Befreierin auf die Pelle. Was soll er denn in Algerien? Da gibt es nur Wüste, aber keine Zukunft.
Einen außergewöhnlichen Knastschocker haben Magnus Vattrodt (Buch) und Jobst Christian Oetzmann (Buch und Regie) da nach einer Vorlage von Friedrich Ani in Szene gesetzt.
Zuvor hatte das eingespielte Doppel ja schon den „Tatort“-Amnesiethriller „Wir sind die Guten“ geliefert, eine bayerische Variante der „Bourne Identität“, in der durch den Gedächtnisverlust des einen Ermittler eine monströse moralische Diffusion durchgespielt wurde. Ähnlich abgründig geht es jetzt in „Die Heilige“ zu.
Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl) bleiben dabei allerdings im Hintergrund. Während die Kommissare in einem Kellerloch in Stadelheim, wo die Ratten an die Klodeckel klopfen, den Überdosismord zu klären versuchen, verschiebt sich das emotionale Zentrum zum algerischen Ausbrecher und seinem Schließer-Engel, die in einem aufreibenden Duell die Grenzen der Freiheit und die Allmacht des Bösen durchspielen.
Ein Höhepunkt des BR-„Tatort“, beängstigend gut gespielt sowie grandios gefilmt und geschnitten. Es setzt einem ordentlich zu, dieses Melodram aus München-Stadelheim über Glaube, Liebe und Gewalt.
„Tatort: Die Heilige“, Sonntag, den 3.10.2010, ARD 20.15 Uhr
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