: Motownklänge vom Militärorchester
Swinging Addis Abeba: Die auf neun Folgen angewachsene CD-Serie „Etiopiques“ dokumentiert, wie der Twist in den 70ern nach Äthiopien kam. Musik und Mode standen für ein neues Lebensgefühl. Doch nach dem kulturellen Tauwetter jener Ära endete der Frühling mit dem Terror der Diktatur
von CHRISTOPH WAGNER
Keine zehn Jahre dauerte das „goldene Zeitalter“ der äthiopischen Musik. Dann war alles vorbei, im „roten Terror“ der Militärjunta von General Mengistu Haile Mariam erstickt. 1969 hatte es hoffnungsvoll begonnen. Die Woge der internationalen Studenten- und Jugendrevolte mitsamt ihrer Musik war nach Addis Adeba geschwappt und hatte die äthiopische Hauptstadt in kurzer Zeit in „Swinging Addis“ verwandelt. Damit begann eine kurze Periode musikalischer Kreativität, die bis 1978 dauerte, als durch Zensur- und Repressionsmaßnahmen die Schallplattenproduktion vollständig zum Erliegen kam. Ungefähr 500 Singles und ca. 30 Alben entsprangen dieser Phase, die bis heute den Kernbestand der modernen Musik Äthiopiens bilden.
Treibende Kraft der musikalischen Revolution war ein junger Mann namens Amha Eshete, der 1969 mit der Gründung von Amha Records die staatlichen Behörden herausgefordert hatte, die bis dahin das Monopol zur Schallplattenherstellung besaßen. „Mir war klar, dass ich ein Risiko einging“, räumt Eshete ein, der mit Gefängnis rechnete. Doch außer ein paar leeren Drohungen passierte nichts. „Sie wussten, dass sie in den Jahren davor kaum eine neue Platte veröffentlicht hatten – warum also intervenieren?“
Die Gründung eines staatsunabhängigen Plattenlabels wirkte stimulierend auf die Musikszene von Addis Abeba. Nachtclubs und Musikbars öffneten. Erste autonome Musikgruppen wie die Soul Ekos entstanden, die nicht an eine staatliche Institution gebunden waren und internationale Einflüsse aus Jazz, Soul und Beat zu einer eigenständigen Mixtur verarbeiteten.
Modische Tänze wie der Twist kamen auf, ein neues Lebensgefühl machte sich breit. Westliche Instrumente wie E-Gitarren und elektronische Keyboards lieferten einen Sound, der unverkennbar nach Pop klang, doch seine äthiopische Herkunft nicht verleugnete, indem er etwa die Blechblastradition des Landes, wie sie in Polizei- und Militärkapellen gepflegt wurde, in schwere Bläsersätze à la Motown goss. Zu den kreativsten Köpfen der neuen Welle zählte der Pianist, Komponist und Arrangeur Girma Beyene, der viele Sänger und Sängerinnen mit seiner „All Star Band“ begleitete. Ein anderer Pionier war Mulatu Astatqe, der als Spross einer aristokratischen Familie in London und New York Musik studiert hatte und vor allem Jazz- und Latin-Music-Einflüsse in sein Heimatland zurückbrachte, wo er als Erfinder des „Ethio-Jazz“ galt.
Der kreative Frühling der Musik übersetzte sich nicht in wirtschaftliche Erfolge. Da Schallplatten fast ausschließlich in Addis Abeba verkauft wurden, hielt sich der Absatz in Grenzen. Fünftausend verkaufte Exemplare machten eine Platte zum Bestseller, mit zwei- bis dreitausend galt eine Single als Hit, weil im Durchschnitt kaum mehr als 600 bis 800 verkauft wurden.
Das kulturelle Tauwetter endete 1974, als die Gewaltherrschaft von Kaiser Haile Selassie von einer noch brutaleren Militärdespotie linker Couleur abgelöst wurde. Bespitzelung und Unterdrückung wurden derart unerträglich, dass etliche Musiker ins Exil gingen. Eine Ausgangssperre brachte das Nachtleben zum Stillstand und kappte damit die Lebensader der Musikszene, die, durch das Aufkommen billiger chinesischer Kassettenrekorder bedrängt, sich mehr und mehr ins Private zurückzog. Erst mit dem Ende der Diktatur begann 1992 ein neues Kapitel. Überall in der Hauptstadt schossen jetzt Kneipen und Bars aus dem Boden und boten Auftrittsmöglichkeiten für Musiker, die als azmaris mit epischen Gesängen und scharfer Zunge die alte Troubadour-Tradition Äthiopiens wieder aufleben ließen.
Diskographie: „Ethiopiques-1: Golden Years of Ethiopian Music 1969-1975“; Teil 2: „Tetchawet! Urban Azmaris of the 90’s“; Teil 3: „Golden Years of Modern Ethiopian Music 1969-1975“; Teil 4: „Ethio-Jazz & Musique instrumentale 1969-1974“; Teil 5: „Tigrigna Music – Tigray/Eritrea 1970-1975“; Teil 6: „Mahmoud Ahmed – Almaz 1973“; Teil 7: „Mahmoud Ahmed – Ere mela mela 1975“; Teil 8: „Swinging Addis 1969-1974“; Teil 9: „Alemayehu Eshete 1969-1974“ (alle bei Buda Musique / Fenn)
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