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Motorrad-Taxen in UgandaMit Gottvertrauen und WhatsApp

Boda-Boda ist sowohl das Fahrzeug, das Menschen und Tiere ausfährt, als auch sein Fahrer. Und es ist ein Traum vom Aufstieg.

Drei Schulkinder kann Hakim auf seinem Moped befördern – gleichzeitig. Manchmal transportiert er auch ein Sofa. Und manchmal hat er Pause Bild: Yannick Tylle

KAMPALA taz | Jeden Morgen, bevor Hakim Dextah zur Arbeit aufbricht, verneigt sich der junge Muslim gen Mekka, um zu beten. Dabei bittet er Gott, dass er diesen Tag überleben möge. Dann schnappt er sich seinen Helm, die Handschuhe und schwingt sich auf sein Motorrad.

Der 22-jährige Ugander ist einer von Millionen Motorradtaxifahrern, die auf Afrikas Straßen täglich ihr Leben riskieren. Sie düsen durch kratertiefe Schlaglöcher, sie schlängeln sich durch das Chaos, sie brausen durch dicht besiedelte Slums, wo kein Auto durchkommt – stets auf der Suche nach dem schnellsten Weg zum Ziel. In vielen afrikanischen Großstädten sind die Motorradtaxen das einzige Verkehrsmittel, mit dem man pünktlich und zuverlässig irgendwo hinkommt.

Das trifft auch auf Ugandas Hauptstadt Kampala zu, wo sich die wachsende Mittelschicht immer mehr Autos leisten kann. Und wo der Verkehr zu Stoßzeiten stillsteht. Vollstau, morgens und abends. „Viele würden niemals pünktlich zur Arbeit kommen, wenn sie mich nicht hätten“, sagt Hakim. Dann fährt er los. Jeden Morgen holt er einen Beamten ab, der in der Innenstadt in einem Ministerium arbeitet. Er könnte sich ein eigenes Auto leisten. Aber wozu? Um im Stau zu stehen?

Hakim kennt in seiner Nachbarschaft fast jeden und alle kennen Hakim. Er wohnt in dem belebten Vorstadtbezirk Nabutiti, in einem kleinen Haus mit seinen Brüdern, einer Schwester, Nichten und Neffen. Rundherum gibt es Morast und Pisten, die selbst mit Geländewagen nicht passierbar wären. Für Hakim kein Problem. Den Kupplungshebel langsam nachlassend, den Gasgriff auf Anschlag, wuchtet er seine Maschine samt Passagier sicher über Stock und Stein. Dabei ist er immer gut gelaunt, selbst bei Regen. „Ich wollte als Kind Formel-1-Fahrer werden. Mit meinem Motorrad bin ich meinem Traumberuf schon sehr nah.“

Taxi auf zwei Rädern

Der Boda-Nutzen: Rund 43.000 motorisierte Boda-Bodas zählte eine Studie der Weltbank aus dem Jahr 2007 allein für Kampala. Die Untersuchung besagt, dass ohne Motorradtaxen in Städten wie Lagos (Nigeria), Duala (Kamerun) und Kampala (Uganda) der Verkehr längst zusammengebrochen wäre. Boda-Bodas sind somit ein enormer Wirtschaftsfaktor.

Das Boda-Risiko: Für Ugandas marodes Gesundheitssystem sind sie jedoch eine Katastrophe. Eine Studie des staatlichen Krankenhauses Mulago besagt: Boda-Boda-Unfälle seien die häufigsten Fälle in der Notaufnahme. Jeder Patient koste durchschnittlich 300 US-Dollar pro Operation.

Der Boda-Preis: Die Motorräder stammen zumeist aus Indien und kosten rund 1.000 Euro. Fahrer verdienen durchschnittlich zehn bis zwanzig Euro täglich - ein guter Verdienst in Uganda.

Kein Dorf ohne Boda-Boda

„Boda-Boda“ nennen die Ugander Motorradfahrer wie Hakim. Der Begriff leitet sich vom englischen „Border“ ab – „Grenze“. Zweiräder waren einst die einzigen Verkehrsmittel, mit denen man das Niemandsland zwischen Uganda und Kenia unkompliziert passieren konnte. Das perfekte Gerät für alle, die kurz über die Grenze wollten. Von dort aus verbreiteten sich die Boda-Bodas in den vergangenen zehn Jahren über ganz Ostafrika. In jedem Dorf gibt es mindestens einen Boda-Boda, in Städten wie Kampala unzählige. Sie ersetzen die öffentlichen Transportsysteme.

Ein Boda-Boda-Fahrer zu sein – das ist auch ein bestimmtes Lebensgefühl: Freiheit, Grenzenlosigkeit, ein Dasein jenseits von Gesetz und Regeln, schwärmt Hakim. Auch keine Verkehrsregeln? Er zieht die Achseln hoch. Wie Millionen seiner Kollegen besitzt er keinen Schulabschluss. Als er 17 war, reichte das Geld nicht mehr für die Schule. Da stand er da – ohne Aussicht auf einen Job. „Für meinen Beruf braucht man keine Mathematik“, sagt Hakim und erzählt, wie er auf dem Mofa eines Freundes fahren gelernt hat. Seine ältere Schwester lieh ihm Geld für ein Motorrad. Einen Führerschein hat er nicht. Hier gelten andere Regeln: „Wir Boda-Bodas sind schneller als die Verkehrspolizei. Die kriegen uns nicht.“

Als Hakim den Beamten in die Innenstadt gebracht hat, geht es weiter. Bei der Einwanderungsbehörde müssen frisch gedruckte Reisepässe ausgeliefert werden. Hakims Tante ist dafür zuständig. Und da es keine funktionierende Post gibt, sind Boda-Bodas gefragt. Hakim lässt sich einen Stapel Pässe geben, dazu eine Liste mit Telefonnummern der Besitzer. Per Telefon oder WhatsApp lässt er sich die Wege erklären: Straßennamen, Postleitzahlen, Hausnummern – das gibt es nur im historischen Zentrum, das einst eine nach britischem Kolonialsystem errichtete Kleinstadt war.

Durch Gassen, Slums und Sümpfe

Heute ist Kampala eine Millionenstadt, die sich über Hügel und Sümpfe in alle Richtungen ausbreitet. Doch Boda-Bodas kennen sich aus: die Gassen der Slums, die Serpentinen die Hügel hinauf, durch die Sumpflandschaften. Und wenn er einmal nicht weiterweiß? „Dann findet sich ein Boda-Kollege, der die Gegend kennt“, sagt Hakim. „Wir halten zusammen wie Brüder.“

Gegen Mittag düst Hakim zurück in sein Viertel. Unterwegs nimmt er noch einen Passanten mit. Bei seinem Haus gibt es einen Baum, der Schatten spendet: Das ist die offizielle Boda-Boda-Haltestelle im Viertel Nabutiti, gleich neben den Buden, wo Frauen Obst und Gemüse anbieten. Um hier auf Kunden zu warten, muss Hakim jährlich bezahlen, umgerechnet etwa 100 Euro. Diese Investition lohnt sich, jeder weiß, wo man ihn findet.

Auch Hakims älterer Bruder Mussa und drei weitere Fahrer warten auf Kundschaft. Dabei plaudern sie über Neuigkeiten. Die Polizei ist wieder mit Tränengas gegen Demonstranten vorgegangen. Präsident Museveni ist mit einem Konvoi in Richtung Flughafen gerast, wobei sie beinahe Passanten überfahren hätten. Auf der Hauptstraße im Zentrum ist ein Lastkraftwagen ausgebrannt.

Auch als krankentransport gut geeignet

Boda-Bodas sind im Lauffeuer der Nachrichten und Gerüchte schneller als Twitter und Facebook. Als beim Finale der Fußball-WM 2010 somalische Selbstmordattentäter eine Bombe zündeten, waren es Bodas, die zuerst an der Unglücksstelle waren und Verletzte ins Krankenhaus fuhren, als die Ambulanz noch im Stau steckte. Selbst der Geheimdienst zahlt Bodas gutes Geld, wenn sie mit brauchbaren Informationen ankommen.

Neben der Boda-Haltestelle rinnt ein Bach. Mit einer Gießkanne schöpft Hakim Wasser, um seine Felgen zu säubern. Er mag es, wenn sie in der Sonne blitzen. Hakim pflegt sein Boda wie ein Cowboy sein Pferd. Es ist seine Lebensversicherung. „Es gibt keinen anderen Job in Uganda, der Jungen wir mir, ohne Ausbildung, jeden Tag ein sicheres Einkommen ermöglicht“, sagt Hakim und streckt sich auf seinem Boda aus. Die Beine über der Lenkstange, Oberkörper auf dem Ledersitz, den Kopf am Gepäckträger gelehnt. Boda-Boda-Fahrer schlafen und essen auf ihren Motorrädern.

Hakim spart jeden Schilling. Sein älterer Bruder Mussa habe sich mit Boda-Boda-Fahren sogar einen Universitätsabschluss leisten können. Doch selbst mit einem Diplom in Volkswirtschaft fand er keinen Job und fährt weiterhin Boda. Lange will Hakim die Arbeit nicht machen. „Es ist verdammt gefährlich. Früher oder später hat man einen Unfall.“ Der Muslim schaut zum Himmel: „Inschallah, mir ist bislang noch nichts passiert.“

Schulkinder, Betten, Kühe

Hakim gilt als sicherer Fahrer. Jeder in der Nachbarschaft weiß das. Er holt Kinder von der Schule ab. Dabei nimmt er drei Schüler auf einmal. Doch Hakim hat auch schon Betten und Sofas transportiert. Mitunter sieht man in Kampala sogar lebende Kühe auf dem Motorrad festgeschnallt.

Es gibt nichts, was ein Boda-Fahrer nicht transportieren könnte. So hatte einer am anderen Ende der Stadt eine brillante Geschäftsidee. Walter Wandera sitzt in einer Garage, in der er früher an seinem Boda herumgeschraubt hat. Jetzt steht hier ein Schreibtisch mit Laptop und Modem. Aufkleber und Visitenkarten liegen herum. Helme und reflektierende Westen stapeln sich. Alle paar Minuten klingelt eins seiner drei Handys: „Walters Boda-Tours, wie kann ich behilflich sein?“, meldet sich der 28-Jährige. „Tut mir leid, heute sind wir voll ausgebucht.“

Walter bietet seit 2011 Boda-Touren durch Uganda an. Vor allem die Kampala-Touren sind begehrt. In der Saison sind zwanzig Fahrer für ihn im Einsatz, um Backpackern aus Deutschland, Amerika oder Japan das Kampala-Chaos zu zeigen: die Slums, in die sich kein Weißer trauen würde, die Gräber der Könige des Stammes der Baganda, die Folterkammern des Diktators Idi Amin – und natürlich ein Zwischenstopp am Fischmarkt. Walter hat seine Fahrer zu Stadtführern ausgebildet. „Das Geschäft läuft super“, sagt er. Vor seiner Garage steht kein Boda mehr, sondern ein Geländewagen.

Spritztour mit Sachsen

Dabei hat auch Walter weder Schulabschluss noch Führerschein. Er konnte sich zu Beginn nicht einmal die Gebühr für eine Haltestelle leisten. Er musste seine Kunden von der Straße aufgabeln. Am liebsten fuhr er am Wochenende, wenn die Betrunkenen aus den Diskotheken nach Hause wollen. Die ersten Ersparnisse hat er investiert: in einen Helm für den Beifahrer und in Visitenkarten mit dem Hinweis auf den zweiten Helm. Dies ist sein Markenzeichen. Die meisten Bodas leisten sich nicht einmal eigene Helme. Unter Touristen kursierte Walters Nummer bald, denn sie fürchten sich, die Bodas ohne Helm zu besteigen. Täglich kommt es zu tödlichen Unfällen.

Heute hatte Walter zwei Kunden aus Leipzig: Susanne und Jörg Strauch, ein Paar mittleren Alters. Das erste Mal in Afrika, das erste Mal auf einem Boda-Boda. „Wow, es war fantastisch“, erzählt Susanne. „Da weht einem der Wind ins Gesicht, man kann alles riechen und es ist viel direkter als durch eine Windschutzscheibe hindurch.“ Sie strahlt. Walter ist zufrieden. Er hat den afrikanischen Traum verwirklicht: vom Boda-Fahrer zum erfolgreichen Geschäftsmann.

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