Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow: Der Amtssessel wackelt
Russlands Staatschef Medwedjew will Moskaus Bürgermeister Luschkow loswerden - nicht aber Premier Putin. Der Streit im Regierungslager ist nun offiziell.
MOSKAU taz | Die Funktionäre des Moskauer Ortsverbands der Staatspartei Vereinigtes Russland (VR) feierten Juri Luschkow mit Ovationen im Stehen. Minutenlang, tosend wie zu Sowjetzeiten. Seit 18 Jahren ist der 73-Jährige nun schon der Herr über Moskau. Offiziell nennt man ihn zwar den Bürgermeister, tatsächlich gebietet er aber über die Metropole wie ein Lehnsherr. Mit all den dazugehörigen materiellen Privilegien. Selbstherrlich und bis vor kurzem unangefochten.
Lehnsgeber Kreml hat es sich anders überlegt. Präsident Dmitri Medwedjew möchte sich des Bürgermeisters noch vor Ablauf von dessen Amtszeit im Juni 2011 entledigen. Der Mann mit dem Markenzeichen Schiebermütze weigert sich und sammelt seine Kohorten wie den einflussreichen Ortsverband.
Der wichtigste Verbündete scheint jedoch Premier Wladimir Putin zu sein. Er will 2012 wieder Präsident werden. Bislang hatte ihn Parteifreund Luschkow auch nicht enttäuscht und die bestellten Wahlergebnisse korrekt eingefahren. Das Tauziehen um Luschkow verschärfte sich, als dieser im August im familieneigenen Kitzbühler Chalet frische Bergluft inhalierte, während die Hauptstädter mit Atemmasken dem Smog der brennenden Wälder zu trotzen versuchten. Luschkow kehrte nach langem Hin und Her nach Moskau zurück. Putin lobte ihn ob dieser rechtzeitigen Entscheidung, der Kreml warf ihm weiter Verantwortungslosigkeit vor.
Der Bürgermeister revanchierte sich mit Artikeln im hauseigenen Sprachrohr Moskowski Komsomolez und der Regierungszeitung Rossiskaja Gaseta. Dort erfuhren die Leser erstmals offiziell, dass es Spannungen im Tandem Medwedjew/Putin geben muss. Wer darf sich 2012 zum Präsidenten salben lassen? Sinngemäß gab der Stadtpatriarch zu verstehen, Medwedjew salbadere von Modernisierung, verschrecke die Elite und beschwöre eine farbige Revolution wie in der Ukraine herauf. Er, Juri Michailowitsch Luschkow, stünde für Stabilität - wie Putin.
Damit war das Geheimnis der Rivalität aktenkundig. Öffentlich bezieht Wladimir Putin keine Stellung. Der Kreml ging jedoch in die Offensive. Aus dem Käppi wurde der "Fall Schiebermütze", als am letzten Wochenende drei staatlich gelenkte TV-Anstalten unter diesem Titel Dokumentationen über die korrupten Machenschaften des Luschkow-Klans ausstrahlten.
Die Fakten entlehnte der Kreml den Broschüren Luschkow 1 und 2 des Oppositionspolitikers Boris Nemzow. Nicht die Nachweise der skrupellosen Selbstbereicherung machten die Öffentlichkeit neugierig. Es ist bekannt, dass Luschkows Frau, Jelena Baturina, als Bauunternehmerin mit einem Vermögen von mehr als 2,2 Milliarden Dollar zur reichsten Frau Russlands aufstieg.
Unglauben verursachte vielmehr der öffentlich ausgetragene Streit der sogenannten Elite. Wenn das Schule machen sollte. Schließlich ist Juri Luschkow nur ein ganz gewöhnlicher Vertreter der selbst ernannten russischen Führungsschicht: kaltschnäuzig, rücksichtslos und gierig, aber auch ein Mann aus dem Volk. Auf jeden Fall kehrt etwas Leben in die russische Politik zurück. Optimisten nennen es schon den Ansatz einer Protodemokratie.
Luschkows Schicksal in den nächsten Wochen wird Auskunft darüber geben, ob Präsident Medwedjew 2012 wieder antreten darf. Eines hat der Kreml bereits erreicht. Nach der Schmierenkomödie kann sich Putin nicht mehr öffentlich hinter Luschkow stellen. Medwedjew hat sich weit vorgewagt. Bleibt der Bürgermeister im Amt, macht sich der Präsident unglaubwürdig und legt seine Machtlosigkeit offen. Nimmt er die präsidentiellen Vollmachten wahr und setzt den Bürgermeister vor die Tür, wird das Radeln mit dem Tandem anstrengend.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht