Moshe Zimmermann über Frieden in Nahost: "Man muss für die UN-Resolution sein"
Die israelische Regierung ist gegen alles, was zu einer Gründung eines Staates für die Palästinenser führen könnte, sagt der Historiker Moshe Zimmermann.
taz: Herr Zimmermann, Sie gehören zu den warnenden linken Stimmen in Israel, zu den Gegnern der Besatzung. Bekommt die konservative Regierung in diesen Tagen die Rechnung dafür präsentiert, dass sie Leuten wie Ihnen einfach nicht zugehört hat?"
Moshe Zimmermann: Objektiv gesehen ist das schon richtig, nur sieht das die Regierung ganz anders. Der objektive und neutrale Beobachter wird sagen: Da Israel es versäumt hat, in den letzten Jahren mit den Palästinensern Gespräche aufzunehmen, kommt jetzt die öffentliche Meinung bei den Palästinensern und in der arabischen Welt und sogar in der Türkei zu dem Schluss, dass man Israel ablehnend gegenüberstehen muss.
Wenn Israel den Palästinensern gegenüber in den letzten Jahren konstruktive Vorschläge vorgebracht und mit der Siedlungspolitik aufgehört hätte, dann wäre es für die Ägypter, die Syrier und die Libyer, die am arabischen Frühling beteiligt waren, viel leichter, Israel zu verstehen. Die Regierung in Jerusalem versteht das ganz anders und genauso ihre Anhänger. Sie verstehen das, was jetzt geschieht, als Bestätigung ihrer Überzeugung, dass die ganze Welt wie seit eh und je gegen Israel ist.
Die Palästinenser werden kommende Woche mit ihrem Antrag vor die UNO ziehen. Hätte Israel anders reagieren sollen und vielleicht einer Staatsgründung, wie sie die Palästinenser verlangen, sogar zustimmen müssen? Man will ja doch die zwei Staaten, was ist dann also das Problem?
Wenn man die wahren Interessen Israels vertreten möchte, muss man für eine solche UN-Resolution sein. Letztendlich war die UN-Resolution im Jahr 1947 eine für die Gründung von zwei Staaten nebeneinander. Wenn der eine Staat legitim ist, Israel, ist der andere Staat automatisch auch legitim. Das heißt, Israel hätte jetzt eher dafür agieren sollen, dass so eine Resolution akzeptiert wird. Nun ist es aber so, dass Netanjahu und Co automatisch gegen alles eintreten, was am Ende zur Gründung des Palästinenserstaates führt.
Offiziell unterstützt Netanjahu doch die Zweistaatenlösung, demnach müsste er doch dem Begehren der Palästinenser etwas abgewinnen können?
ist Professor für Neuere Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Zuletzt erschien auf Deutsch von ihm: "Die Angst vor dem Frieden. Das israelische Dilemma" (Aufbau 2010).
Wenn Netanjahu über zwei Staaten spricht, dann ist das nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Wenn Netanjahu Friedensverhandlungen ohne Vorbedingung fordert, bedeutet dass, dass er von der anderen Seite verlangt, dass seine Vorbedingung sehr wohl akzeptiert wird, nämlich die Fortsetzung der Siedlungspolitik. Das ist sein Ziel und das geht mit der Gründung eines Palästinenserstaates nicht zusammen.
Deswegen versucht man, die Staaten, die man bei uns "moralische Mehrheit" nennt - die Europäer, USA et cetera, die angeblich bedeutender sind als die eigentliche Mehrheit von rund 130 Staaten, die für die Anerkennung Palästinas sind - unter Druck zu setzen. Hier muss man sagen, dass die israelische Politik erfolgreich ist. Anstatt Außenminister Liebermann und Regierungschef Netanjahu die Leviten zu lesen, versuchen die US-Außenministerin Hillary Clinton, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle die Regierung in Jerusalem zu besänftigen. Da muss man den Kopf schütteln.
Dann hätte der Westen Ihrer Meinung nach erheblich mehr Druck ausüben sollen?
Es geht nicht um Druck, sondern um Überzeugung. Die westlichen Mächte hätten die Israelis davon überzeugen sollen, dass eine Entscheidung in der UN für die Gründung eines Palästinenserstaates für Israel selbst vorteilhaft ist. Stattdessen nimmt man automatisch eine Haltung gegen den Palästinenserstaat ein, nur weil der israelische Regierungschef Netanjahu darauf besteht und weil er gegen den "einseitigen Schritt" protestiert.
Wie sieht ihr "worst case scenario" für die Ereignisse in der kommenden Woche aus?
Das wäre, dass die UN-Generalversammlung tatsächlich den Antrag der PLO so oder anders befürwortet, dass dann die Palästinenser mit großen Demonstrationen beginnen, auf die dann Israel überreizt reagiert, während die Siedler dafür sorgen, dass die Auseinandersetzungen außer Kontrolle geraten.
Sollte es zu Gewalt kommen, wird man im Ausland Israel verantwortlich machen. Wie viel an westlichem Ärger hält das Land aus?
Israel wird zweigleisig reagieren und sagen: Das ist nicht unsere Schuld, sondern die Palästinenser sind dafür verantwortlich. Deshalb wird man von Amerika und Europa erwarten, dass sie Druck auf die Palästinenser ausüben. Wenn das nicht passiert, sondern Israel stattdessen unter Druck gesetzt wird, dann kann man sich wieder auf die alte Predigt berufen, nämlich: "Die ganze Welt ist antisemitisch." Und zwar nicht nur die Palästinenser, die Türken und die Ägypter, sondern auch die Deutschen und die Amerikaner und so weiter.
Das Traurige ist, dass US-Präsident Barack Obama leider keine Opposition in seinem Land hat, die ihn korrigieren könnte. Die republikanische Opposition in den USA ist zum großen Teil fundamentalistisch und unterstützt Netanjahu, der damit rechnet und deshalb seine unnachgiebige Politik fortsetzen kann. Obama ist zu schwach, und die Republikaner und die Evangelisten sind stark genug.
Kann denn überhaupt noch etwas gerettet werden oder sind wir alle nur tatenlose Zuschauer?
Es ist jetzt viel schwerer, das Verpasste wieder aufzuholen, und das wird von der jetzigen Regierung auch gar nicht versucht werden. Erst wenn die Leute verstehen, dass ihr persönlicher Wohlstand unmittelbar mit der israelischen Palästinapolitik in Verbindung steht - was jetzt in der Sozialbewegung in Israel leider wieder verpasst wurde -, erst dann wird Druck von unten kommen, und dann kann sich auch etwas ändern. Erst wenn wir und die gesamte Region weniger religiös und fundamentalistisch Politik machen, kann sich etwas ändern. Solange wir Geiseln der Siedler, und der Besatzung sind und mit den Geiselnehmern kollaborieren, bewegt sich nichts.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Kretschmer als MP von Linkes Gnaden
Neuwahlen hätten der Demokratie weniger geschadet
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt