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Moritz, 29, Medizinstudent

Menschen in meiner Umgebung erinnern sich manchmal daran, wie ihnen während der Pandemie zu Hause die Decke auf den Kopf gefallen ist. Ich kann das überhaupt nicht nachempfinden, weil ich damals mehr gearbeitet habe als je zuvor. Zu Beginn als Pfleger auf der „normalen“ Station für Coronapatient*innen, später auf der Intensivstation. Vor allem die Arbeit auf der Intensivstation war super anstrengend, hat mich aber auch ein Stück weit entlastet. Weil ich mich wirkmächtig gefühlt habe, zumindest irgendetwas tun zu können gegen diese Situation, der wir ja alle erst mal ausgeliefert waren.

Gleichzeitig war es viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Freizeitausgleich. Früher haben wir Kol­le­g*in­nen uns nach einem anstrengenden Dienst abends noch zusammen in eine Kneipe gesetzt, uns ausgetauscht und abgelenkt. In den Hochzeiten der Pandemie konnten wir noch nicht mal zu zweit draußen spazieren gehen. In meiner WG war es auch nicht einfach, ich hatte eine ganz andere Lebensrealität als meine Mitbewohner. Sie wollten sich am liebsten gar nicht mehr mit Corona beschäftigen und ich suchte den Austausch, weil mich die Eindrücke aus dem Krankenhaus belasteten.

Weil sich auch viele meiner Kol­le­g*in­nen mit Corona infizierten, gab es immer mehr zu tun. Zum Teil musste ich neun oder zehn Tage in Folge arbeiten. Anfangs hatte ich Angst, so viel Kontakt mit Co­ro­na­pa­ti­en­t*in­nen zu haben. Was passiert, wenn ich meine Eltern besuche und krank bin, ohne es zu merken? Oder meinen Mitbewohner anstecke, der dann zu seiner Oma fährt? Vielleicht war ich auch ein bisschen paranoid, das war bestimmt dem Stress und der großen Ungewissheit geschuldet. Zwischenzeitlich habe ich selbst zu Hause eine Maske getragen.

Die ständige Konfrontation mit dem Tod war für mich nichts Neues. Das ist man als Pfleger in einem Krankenhaus gewohnt. Dramatisch war, wie viele Menschen gestorben sind, ohne ihre Angehörigen bei sich zu haben. Für viele waren wir in unserer Schutzausrüstung die Letzten, die sie in ihrem Leben gesehen haben. Von ihnen Abschied zu nehmen, war nicht wirklich möglich, denn kurz nach ihrem Tod mussten wir sie in schwarze Leichensäcke packen.

Nach der Pandemie wusste ich, dass ich nicht in der Pflege bleiben will. Generell halten nur wenige, die die Ausbildung heute abschließen, den Beruf über viele Jahre aus. Er ist für den Körper einfach sehr anstrengend, die Arbeitsbedingungen sind miserabel. Während der Pandemie wurde dafür an den Fenstern geklatscht. Verändert hat das nichts.

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