■ Morgen wird das Europäische Parlament gewählt – na und?!: Gut, daß es eine nationale Testwahl ist
Der Europawahlkampf war inhaltsarm, aber das haben Wahlkämpfe heute so an sich. Allerdings wurde nicht einmal behauptet, daß sich durch die Wahl des Europäischen Parlaments etwas ändern könnte. Keine Partei verspricht für den Fall ihres Wahlsiegs, Europa so oder anders zu gestalten. Keine Partei fordert den Wechsel in Straßburg und sagt, „wir sind bereit“. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, aber es ist gut so, weil es ehrlich ist.
Das Europäische Parlament hat zwar in den letzten 15 Jahren neue Befugnisse erhalten, es ist trotzdem noch immer ein eher marginales Organ. Das hat zwei Gründe: So ist der Ministerrat, das Gremium der Regierungen, immer noch das Hauptrechtssetzungsorgan der EU. Nur dort können Kompromisse zwischen unterschiedlichen Rechts- und Gesellschaftsordnungen sinnvoll ausgehandelt werden. Selbst wenn das Parlament ein Vetorecht hat, macht es davon nur selten Gebrauch. Die im Europaparlament seit langem bestehende große „Koalition“ aus Christ- und SozialdemokratInnen will die fein austarierten Kompromisse des Ministerrates nicht gefährden. Insofern ist aber das Europawahlergebnis für die europäische Politik ohne große Bedeutung.
Anders als bei nationalen Parlamentswahlen geht es bei Europawahlen auch nicht um die Bildung einer neuen Regierung. Für das wichtigste Organ der EU, den Ministerrat, sind die Europawahlen ohne Belang. Wer Deutschland dort vertritt, wurde bei der letzten Bundestagswahl entschieden. Auch die Besetzung der EU-Kommission, die dem Rat ohnehin nur Vorschläge unterbreiten darf, wird von den Regierungen ausgehandelt. Wenn das neue Team steht, muß es zwar vom Europaparlament bestätigt werden. Das war's dann aber schon. Danach nimmt die Kommission dann vor allem auf den Rat Rücksicht, weil jener das entscheidende Gremium ist.
Daß das Europäische Parlament bei jeder Vertragsrevision neue Mitbestimmungsrechte erhält, ändert daran wenig und ist vor allem von symbolischer Bedeutung. So wird den BürgerInnen signalisiert, daß die Integration Fortschritte macht und immer „demokratischer“ wird. Sinn macht das Europaparlament als Symbol aber nur mit einer passablen Wahlbeteiligung. Will man die WählerInnen dabei nicht über die Bedeutung des Europaparlaments täuschen, bringt man sie nur mit nationalen Themen zur Stimmabgabe. So gesehen ist es letztlich sogar besser für Europa, daß die Europawahl überall als nationale Testwahl gilt. Christian Rath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen