Mord an Rosa Luxemburg: Letztes Kapitel einer Tragödie
Die Prozesse um die Ermordung Rosa Luxemburgs waren einer der größten Justizskandale. Die Identifizierung der Leiche könnte den Mord an der Sozialistin nun endgültig aufklären.
Am 31. Mai 1919 zogen der Tischler Otto Fritsch und ein Schleusenwärter in Berlin-Tiergarten eine Frauenleiche aus dem Landwehrkanal, die wenig später als Rosa Luxemburg identifiziert und neben dem mit ihr ermordeten Karl Liebknecht auf dem Friedhof Friedrichsfelde beigesetzt wurde. Mord und Leichenfund sind Szenen aus einer der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts, und noch neunzig Jahre nach dem Geschehen werfen die Ereignisse um den Tod Rosa Luxemburgs neue Rätsel auf. War es tatsächlich der Körper der charismatischen Sozialistin, den man am letzten Maitag des Jahres 1919 tot im Landwehrkanal fand? Welche Identität hat die Wasserleiche, die seit Jahrzehnten in der Charité liegt und in der Michael Tsokos, der Leiter der Berliner Rechtsmedizin, die sterblichen Überreste von Rosa Luxemburg zu erkennen glaubt?
Der Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war nur der Auftakt für weitere politische Morde, an Kurt Eisner, Matthias Erzberger und Walther Rathenau, begangen von Tätern aus den Reihen der politischen Rechten. Schon im Krieg hatten rechte Militärs den Grundstein gelegt für finstere Verschwörungstheorien und die sogenannte Dolchstoßlegende, die ihnen dann in der Weimarer Republik im Kampf gegen die neu entstandene Demokratie diente. Die Rechten malten die Vision von einer jüdisch-bolschewistischen Vorherrschaft in Politik und Wirtschaft an die Wand. "Reichstag der Juden" und "Judenfrieden" waren ihre Schlagworte. Wer sich damals zu Demokratie und Pazifismus bekannte und das Militär kritisierte, galt als "innerer Feind" und konnte sich seines Lebens nicht mehr sicher sein. Die Hassparole lautete: "Verräter verfallen der Feme!" In den Krisenjahren der Republik, von 1919 bis 1923, wurden mehr als 300 Menschen von rechtsradikalen Freikorpskämpfern ermordet. Dies war das Milieu, in dem der Weltkriegsgefreite Adolf Hitler als Redner über den "jüdischen Bolschewismus" seine politische Karriere begann.
So waren es junge Offiziere der kaiserlichen Kriegsmarine, die in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 die beiden führenden Politiker der Linken, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, ermordeten. Anführer des Mordkomplotts war der Hauptmann Waldemar Pabst, beteiligt waren Leutnant zur See Hermann W. Souchon - ein Neffe des Admirals Wilhelm Souchon -, Kapitänleutnant Horst von Pflugk-Harttung und andere. Diese Offiziere gehörten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (GKSD) an, einem Eliteverband des Heeres, der die letzten Kriegsmonate an der Westfront gekämpft hatte.
Der Erste Generalstabsoffizier der GKSD, Hauptmann Waldemar Pabst, wandelte die kaiserliche Division in ein schwer bewaffnetes Freikorps um. Bekannt wurde die Garde-Kavallerie-Schützen-Division vor allem bei der Niederschlagung des sogenannten Spartakusaufstandes im Januar 1919 sowie ihrer Beteiligung am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920. Pabst war es, der den Befehl zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erteilte: "Ich habe die beiden richten lassen", rühmte er sich noch 1962 in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Auch der von Reichswehrminister Gustav Noske am 9. März 1919 während der Märzkämpfe in Berlin ausgegebene Schießbefehl war auf die Initiative Pabsts zurückzuführen. Waldemar Pabst, ein ehrgeiziger und skrupelloser rechtsradikaler Militär, war eine der berüchtigtsten Figuren der Revolution von 1918/19 und in den ersten Jahren der Republik überall dort zu finden, wo ein Militärputsch gegen die Regierung vorbereitet oder durchgeführt wurde.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg wurden am Abend des 15. Januar 1919 von Mitgliedern der Wilmersdorfer Bürgerwehr aus ihrer Wohnung in das Stabsquartier der GSKD im Nobelhotel Eden am Kurfürstendamm verschleppt und noch in den Stunden vor Mitternacht auf Befehl von Pabst ermordet. Luxemburg wurde zu einem vor dem Hotel bereitstehenden Fahrzeug geführt und schon beim Verlassen des Hotels mit einem Gewehrkolben niedergeschlagen. Kurz darauf sprang ein Soldat - laut den Zeugenaussagen zweier Mittäter der Leutnant Hermann Souchon - auf den fahrenden Pkw auf und tötete das bereits schwerverletzte Opfer mit einem Schuss in die linke Schläfe. Den Leichnam warfen die Täter von der Brücke in der Budapester Straße in den Landwehrkanal. Einem Streife laufenden Kameraden gaben sie freimütig Auskunft über ihr Tun. Dieser berichtete seinem Vorgesetzten: "Eben ist die Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen worden, man kann sie noch schwimmen sehen." Es war 23.45 Uhr am 15. Januar 1919. Karl Liebknecht war zu diesem Zeitpunkt schon etwa eine Stunde tot.
Die Täter wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Mehrere Prozesse in den Zwanziger- und Anfang der Dreißigerjahre waren gekennzeichnet durch Verdrehungen und Falschaussagen. Das Ganze geriet zu einer Justizposse, zu einem der größten Justizskandale des 20. Jahrhunderts. Sowohl Waldemar Pabst als auch Hermann Souchon machten unter den Nazis Karriere, Pabst als Waffenfabrikant, Souchon brachte es im Zweiten Weltkrieg bis zum Oberst der Luftwaffe. Beide starben unbehelligt und hochbetagt im Westen der Republik. Noch in den Jahren 1969/70 hatte Souchon gegen den Süddeutschen Rundfunk geklagt, als der Sender in einem Dokumentationsbericht von "Zeitgeschichte vor Gericht: Der Fall Liebknecht-Luxemburg" auf die Täterschaft Souchons hinwies. Souchon gewann den Prozess, der SDR musste die Behauptung der Täterschaft Souchons widerrufen.
Mit dem Fund der mysteriösen Leiche in der Berliner Charité beginnt nun das letzte Kapitel einer großen politischen Tragödie, die wie keine zuvor die Gemüter der Menschen bewegt und das politische Klima in Deutschland verändert hatte. So wird die Identifizierung der Leiche endlich Licht ins Dunkel um den Mord an Rosa Luxemburg bringen. Gerechtigkeit wird die "Göttliche", wie sie voller Bewunderung von ihren Anhängern genannt wurde, dadurch wohl nicht mehr erfahren.
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