Montagsinterview: "Enterbt war ich sowieso!"
Michael Brenncke ist Travestiekünstler und Intendant der kleinsten Showbühne Berlins in Neukölln. Ein Gespräch über Tunten und Türken - und über Licht und Schatten.
taz: Herr Brenncke, wie haben Sie das Wochenende verbracht – schön im Neuköllner Kiez?
Michael Brenncke: Nein, ich war in Rheinsberg. Mit Vogelgezwitscher und allem. Habe ein Eis gegessen und bin sofort wieder nach Hause gefahren. Das war so ruhig dort, grauenhaft! Ich brauche Stadt: je mehr Rummel, desto besser.
Aber Rheinsberg ist doch ein sehr schwuler Ort.
Wenn man von den Neonazis absieht, vielleicht. Friedrich der Große und Katte … früher muss es da hoch hergangen sein. Aber da habe ich ja leider noch nicht gelebt, sonst hätte ich sicher Spaß gehabt.
Person: Michael Brenncke wurde 1943 im oberösterreichischen Steyr geborene und wuchs bei den Großeltern auf. Später holte ihn seine Mutter nach Hamburg, wo ihm der Psychiater und Sexualforscher Hans Bürger-Prinz höchstpersönlich attestierte, dass er homosexuell sei. Er lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und hat einen Adoptivsohn.
Werdegang: Gegen den Willen seiner Mutter machte er eine Ballettausbildung. Doch nach einem Unfall konzentrierte er sich auf eine Karriere als Schauspieler, hatte Engagements zunächst in München, später auch in Berlin – wo er sich schließlich niederließ.
Travestie: Die Idee, ein Travestietheater ausgerechnet in Neukölln zu eröffnen, entstand vor 25 Jahren. Seitdem sind die Vorstellungen in dem Haus mit nur 47 Plätzen fast immer ausverkauft. Stets verlässlich steht Michael Brenncke im Fummel auf der Bühne, umringt von ambitionierten Nachwuchskünstlern. Sohn Maik betreibt die zum Theater gehörige Bar Kulisse, sein Mann Ludwig Auster kümmert sich um die Technik.
Kontakt: Theater im Keller, Weserstraße 211 Ecke Friedelstraße, 12047 Neukölln, www.tikberlin.de, (030) 623 14 52
Sie sind Jahrgang 1943.
In Steyr, Oberösterreich geboren. Ich bin bei meinen Großeltern aufgewachsen. Meine Mutter war in Hamburg, die hat mich dann mit 14 zu sich geholt, als meine Großmutter gestorben war. Aber das ging auch nur ein Jahr gut.
Warum?
Na ja. Man soll seine Eltern lieben, nicht? Als ich zu ihr zurückkam, war es ihre siebte Ehe. Und ich war schon zu groß. Wenn wir zusammen auf der Straße gingen, fragten die Leute, ob sie Besuch habe. Sie hat nie gesagt: „Das ist mein Sohn.“ Sie hat nicht zu mir gestanden.
Wie kamen Sie denn zum Theater?
Ich wollte zur Ballettschule, aber meine Mutter hat es mir verboten. Kein Beruf für Männer! Kaufmann sollte ich werden, wie in Hamburg üblich.
Ein Pfeffersack.
Ich zog dann zu Peter Gorski, dem Adoptivsohn von Gustaf Gründgens. In der Ballettschule habe ich geputzt, um die Ausbildung zu finanzieren. Margot und Hedi Höpfner haben mich unterrichtet. Mein Gott, ich war 15. Irgendwann bin ich zu Gründgens gegangen und habe mich für meine erste Rolle beworben: in Schneeweißchen und Rosenrot.
Und welche Rolle wurde es?
Der Bär, der nachher der Prinz wird. Am Abend der Premiere stand auf einmal meine Mutter vor dem Bühnenausgang. Und fragte, ob ich den Muttertag vergessen habe. Ich habe ihr noch geantwortet: Und du hast vergessen, dass du ein Kind hast. Das war das letzte Mal, dass wir miteinander gesprochen haben. Vor ein paar Jahren erst habe ich erfahren, dass sie gestorben ist. Enterbt war ich ja sowieso: Homosexuell! Schauspieler!
Eigentlich haben die Väter traditionell Probleme mit schwulen Söhnen.
Nein, es war umgekehrt. Meinen Vater habe ich immer nur von der gegenüberliegenden Straßenseite gesehen. Irgendwann habe ich ihn einfach angesprochen. Er war gerade im Begriff, nach München zu gehen, und so ging ich einfach mit. Er war Gastronom, hatte dort mehrere Lokale. Und ich ging in München ans Theater.
Als Balletttänzer?
Nein, ich hatte einen Unfall, danach war es vorbei mit dem Tanzen. Also Schauspieler! 3.000 Vorstellungen von Sartres „Ehrbarer Dirne“. En suite, jeden Abend. Ich war der Sohn des Senators, Fred. Und gelebt habe ich bei meinem Vater.
Damals war Paragraf 175 in seiner Nazi-Fassung noch in Kraft, Homosexualität war strafbar.
Ich habe mich nie wirklich versteckt. Ich habe immer versucht, das zu ignorieren. Es gab eine Szene, aber ich mied sie eher.
Hatten Sie wenigstens Liebschaften?
Mit einem Bühnenbildner vom Theater. Hübsch und jung. Und dann war es ganz schnell wieder vorbei. Dann hatte ich einen in Österreich, der war aber verheiratet, hatte Kinder … wie es so war zu dieser Zeit. Aber ich wollte mich sowieso nie mit einem Mann binden.
Warum?
Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Es gab in mir keine Idee davon. Zwei Männer leben zusammen!
Aber heute Sind Sie verheiratet.
Ja, mit meinem Mann Ludwig. Wir haben auch einen Sohn. Er ist adoptiert, aber das ist sehr kompliziert, weil ein Männerpaar ein Kind nicht einfach so adoptieren kann, das geht nur nacheinander. Sie machen es einem möglichst schwer.
Kannten Sie Schwule, die aufgrund des 175er im KZ waren?
Ganz ehrlich: Ich wollte damals nichts davon wissen. Es war alles so grauenhaft und beängstigend. Ich habe mich nicht darum bemüht, aber es wurde auch nicht darüber gesprochen. Die Schwulenszene war für mich immer irgendwie tabu.
Warum?
Mir war das zu aufdringlich. Angeben und zeigen, hey, ich bin schwul. Gut, wieder ehrlich gesagt: Es lag auch daran, dass es so unangenehm war, wenn die Leute wussten, man ist schwul. Da war man unten durch. Ich habe mich nicht verleugnet, aber auch darauf geachtet, nicht aufzufallen. Auf der Straße musste man unsichtbar sein – klar, es gab Klappen, zum Beispiel am Viktualienmarkt. Aber das waren flüchtige Begegnungen, mehr nicht.
Wann haben Sie überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickelt, was Sie sind?
Mit fünfzehn hat mich meine Mutter zu Professor Bürger-Prinz geschleppt, dem berühmten Psychiater, weil sie gemerkt hatte, dass ich kein „normaler Junge“ bin. Der musste mich untersuchen, ob ich schwul bin. Er hat dann zu ihr gesagt, dass das keine Krankheit ist, sondern ein Empfinden. „Lassen Sie ihn leben“, hat er gesagt. Aber das hat sie nicht akzeptiert. Sie wollte ihre Schwiegertochter, ihre Enkelkinder.
Wie hat Ihr Vater sich dazu verhalten?
Mein Vater wusste, was los ist. Aber es war auch klar, dass die Leute im Geschäft das nicht erfahren sollten. Mir war das dann irgendwann alles zu blöd, ich wollte meine Ruhe haben. Ich fand diese Ablehnung einfach nur dumm.
War denn nicht wenigstens das Künstlermilieu offener?
In München nicht. Meine Theaterintendantin zum Beispiel, die war eine richtige Schwulenhasserin. Und bei der Bewerbung für eine Rolle hat mich einmal der Regisseur angesprochen: „Du bist kein Mann“, sagte er. Sag ich: „Ich hab ihn aber noch.“ Das war’s dann mit der Rolle.
So war das damals …
Was heißt damals – vor zwei Jahren war ich beim CSD in München. Es war unglaublich. Da haben die Leute gesagt: „Guck mal, da kommen die Schwulen.“ Es waren ja nur sechs Wagen, und die haben alle weggeguckt. Bayern ist schön, aber verbrettert.
Und dann kam: Berlin.
Ja, endlich! Ich war hier zunächst Solo-Pantomime im Theater des Westens. Um halb zwölf, wenn die Vorstellung zu Ende war, hieß es: Jetzt gehen wir aus. Ich konnte das zuerst gar nicht fassen – aber die sagten: Um die Zeit fängt’s bei uns erst an. Ich verkehrte ja mehr so mit den vornehmeren Tunten, mit denen, die in die Oper gehen. Das waren auf einmal wunderbare, offene Kreise. Und wenn man auf der Straße mal gekreischt hat oder einige der Mädels ein Handtäschchen schwenkten, wurde man nicht angepöbelt. Ich war frei! Ich musste keine Angst mehr haben, verhaftet zu werden oder ein paar aufs Maul zu bekommen.
Wohin sind Sie ausgegangen?
Ins Chez Nous, ins Pink Elephant, zu Romy Haag. Kleist-Casino – wie soll ich sagen … du hast dich da gut gefühlt. Irgendwo stand dann David Bowie rum. Was soll ich sagen?! Es war toll.
Romy Haag, das Chez Nous – die große Zeit der Travestie.
Im Theater des Westens waren die großen Nummern aus Paris zu Gast. Und die Garconnes Terribles. Das war damals eine Riesennummer, auch in London. Da wäre ich noch nicht auf die Idee gekommen, dass ich selbst mal im Fummel auf der Bühne stehe, in der Wüste von Neukölln.
Vor genau 25 Jahren haben Sie das Theater im Keller eröffnet.
Na ja, eigentlich wollten wir eine Suppenküche eröffnen. Ich weiß noch, der Hit zu dieser Zeit war „Mamma Leone“. Da war hier im Kiez auch noch alles anders. Es gab arme Neuköllner und zugezogene Türken.
Hatten die Probleme mit Ihrem Theater?
„Du Schwuchtel“ – „Du Arschficker“ – das kannst du heute noch hören, wenn du hier auf der Straße sitzt. Das war damals noch härter. Neulich kam ein türkischer Jungmann und meinte: „Na, du Schwuchtel, arbeitest du auch für den Tuntenladen?“ Da habe ich geantwortet: „Ja mein Schatz, ich arbeite hier, aber nicht wie du. Du gehst am Hermannplatz auf den Strich.“ Jetzt grüßt er, wenn er vorbeigeht.
Wenn, dann pöbeln die Jungmänner?
Ja, bei den älteren Migranten gibt es eine andere Haltung inzwischen. Und bei den Jungs ist das auch nur so, wenn sie zu viert oder fünft unterwegs sind. Dann müssen sie sich was beweisen.
Kommen wir noch mal zur Suppenküche …
Neukölln war so was von arm damals. Wir sind von Haus zu Haus, um zu sondieren, ob es überhaupt Kundschaft für so eine Suppenküche gäbe. Aber der eine mochte keine Kartoffeln, der andere keinen Reis oder nur Tomaten. Wir haben das dann gelassen. Ein Ballettkollege von mir meinte: „Machen wir Travestie.“ Am Kurfürstendamm war das ja sehr erfolgreich, aber in Neukölln? Wir haben es dann einfach gemacht. Ich stand zum ersten Mal im Fummel auf der Bühne – und es machte Spaß. Seitdem läuft der Laden. Die meiste Zeit ausverkauft. Wir sind das einzige ständige Travestieteater Berlins. Mit nur 47 Plätzen, dafür haben wir eine VIP-Loge. Da sitzen meistens die Tunten drin und halten ihr Gläschen Sekt raus, herrlich.
Und Ihr Publikum?
Zwischen 20 und 100. Zurzeit oft aus Bayern, Holland, Dänemark. Touristen. Letzte Woche erst hatte ich zwei Bayern richtig mit Lederhosen da, die habe ich dann auf die Bühne geholt. Als sie wieder runtergingen, wollten sie ein Küsschen – süß, nicht? Aber wir haben auch unser Stammpublikum in Berlin.
Apropos süß: Im Reuterkiez entwickelt sich gerade eine sehr junge, queere Szene.
Finde ich gut. Die ganzen kleinen schwulen Spanier mit ihren Bärten, und dann zeigen sie stolz ihr Brusthaar: Hey, wir sind alle so männlich! Nichts gegen früher, aber ich fühlte mich zum Teil nicht mehr wohl, das Milieu war gekippt. Jetzt kommt der Prenzlauer Berg her und alles mischt sich. Amerikaner, Franzosen – zum Teil kaufen die ihr Bier noch an der Tanke, aber wenn die dann irgendwann zu Ende studiert haben, kommen sie vielleicht auch mal zu uns ins Theater. Im Moment sind wir noch zu teuer für die, das verstehe ich. Aber wir bekommen ja überhaupt keine Subventionen.
Wirklich nie?
Wir haben mal zur Eröffnung ein paar alte Stühle vom Bezirksamt bekommen. Zu unserem Jubiläum kam jemand vom Rathaus, aber vom Kultursenator kam nichts, gar nichts. Nicht mal ein Brief. Auch von Klaus Wowereit nicht, der Kultursenatorin. Travestie, pah! Im Saalbau Neukölln, da wollte ich mit der Künnecke ein Abonnement-Theater machen – wir hatten keine Chance. Der Schwule und die schräge Alte.
Evelyn Künnecke?
Lotti Huber, Brigitte Mira, alle sind hier aufgetreten. Die Künneke war ja ein Phänomen, die hat dann nach einer halben Stunde einfach aufgehört und gesagt: „Entweder ihr klatscht oder ich gehe.“ Und dann haben sie aber geklatscht! Oder Marika Rökk: Die hat sich dann verbeugt und immer wieder den Satz „Scheißpublikum, Scheißpublikum“ gesagt, wenn’s ihr nicht gepasst hat. Ach, der Tuntenball damals in der Hasenheide …
Wann war das?
Gottchen, fragen Sie mich nicht, ich bin so vergesslich. In den Achtzigerjahren. Nackte Männer ritten auf Elefanten in die „Neue Welt“, so was gibt es ja heute nicht mehr. Und dann waren einmal Zarah Leander und die Rökk zugleich da. Das war was! Da kamen die Leute wirklich verkleidet, und dazu gab es richtige Stars. Nur schön war das. Mein Sohn sagt: „Erzähl nicht immer von früher.“ Aber ich sage dann zu ihm: „Mike, es war früher wirklich schöner!“
Na ja … erinnern wir uns an den Anfang des Gesprächs – es war nicht alles golden damals.
Es ist offener geworden, richtig. Es kommen ja auch junge Männer vorbei, wenn man im Fummel draußen sitzt, und lachen freundlich und rufen: „Hey, cool.“ Das ist doch toll.
Im Theater im Keller treten auch viele junge Travestiekünstler auf.
Das sind Schauspielschüler. Die haben hier ihren Spaß, probieren sich aus. Für junge Schauspieler ist es fast unmöglich, einen Job zu bekommen. Und dann landen sie in unserem Familienbetrieb. Ohne meinen Mann und meinen Sohn gäbe es das Theater nicht mehr. Mein Mann macht die Technik, Mike vorne die Gastronomie – ich bin nur noch Statistin. Ich werde auf die Markierung geschoben und los geht’s.
Macht es Ihnen keinen Spaß mehr?
Doch, und wie! Immer wenn ich auf der Bühne stehe, ist alles plötzlich wunderbar.
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