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Montagsinterview mit Landeswahlleiter Andreas Schmidt von Puskás"Die Kandidaten sind oft näher am Fernsehen als an den Bürgern"

Er hat mehr Wahlen organisiert, als andere erlebt haben, und auch mit 65 noch nicht ans Aufhören gedacht. Erst zum Jahresende darf Andreas Schmidt von Puskás tatsächlich den Ruhestand genießen.

"Ich könnte mir Wahlcomputer vorstellen, wenn die Stimmzettel weiterhin benutzt und aufgehoben werden, so dass man im Zweifelsfall nachzählen kann." Bild: David Oliveira
Interview von Svenja Bergt

taz: Herr Schmidt von Puskás, wie lange wären Sie gerne noch Landeswahlleiter?

Andreas Schmidt von Puskás: Nach 18 Wahlen und drei Volksabstimmungen habe ich jetzt natürlich schon richtig Übung. Aber irgendwann ist es mit der Spannung und dem Adrenalin, das solche Ereignisse verursachen, genug.

Eigentlich sind Sie schon Ende Januar 2008 in den Ruhestand gegangen - haben aber noch weitergearbeitet.

Andreas Schmidt von Puskás

Der Berliner: Schmidt von Puskás wurde im schlesischen Mollwitz geboren und wuchs in Hessen auf. 1964 kam er zum Jura-Studium nach Berlin.

Der Wahlleiter: Seit 2001 ist Schmidt von Puskás Landeswahlleiter, davor war er zehn Jahre Stellvertreter. Nach jeder Wahl geht er in ein Wahllokal und bedankt sich bei den Wahlhelfern - seit fast 20 Jahren.

Der Pensionär: Zum neuen Jahr wird Schmidt von Puskás tatsächlich seinen Ruhestand genießen können - seine Nachfolgerin übernimmt das Amt zum 1. Januar. Am meisten freut sich Schmidt von Puskás auf das "freie Leben", das ihn dann erwartet.

Es gibt einfach die Regel, dass Sie als Beamter mit 65 Jahren in den Ruhestand geschickt werden. Und als das Datum heranrückte, war es so, wie es manchmal in der Verwaltung ist: Es war eine gewisse Überraschung.

Inwiefern?

Sonst hätte man ja rechtzeitig einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht, eingearbeitet und so weiter. Das war aber nicht der Fall. Und deswegen habe ich mit dem Innensenator eine Übergangszeit vereinbart. Schließlich standen nicht nur Wahlen, sondern auch Volksentscheide an. Wobei die Bedingung war, dass ich ein bisschen Frühstücksdirektor sein konnte - die eigentliche ständige Arbeit erledigen die Geschäftsstelle des Landeswahlleiters und natürlich die Bezirkswahlämter.

Sie sind in Hessen aufgewachsen und zum Jura-Studium nach Berlin gekommen. Warum Jura, warum Berlin?

Beides aus einem allgemeinen politischen Interesse heraus. Das war Anfang der 60er-Jahre und Berlin war einfach eine spannende Stadt. Durch die Mauer war sie eine Art Nahtstelle zwischen Ost und West. Außerdem hatte ich einen familiären Bezug: Meine Mutter stammt aus Charlottenburg.

Haben Sie als Student auch in Charlottenburg gewohnt?

Nein, in einer Wilmersdorfer Wohnung, in einer Kammer. Dort haben früher die Dienstmädchen gewohnt, mehr als ein Bett und ein Stuhl passte da gar nicht rein. Eine alte Dame hat die Wohnung an Studenten vermietet. Es war eine Art Wohngemeinschaft, in einer Zeit, in der man noch nicht so darüber sprach.

Mit einem Jurastudium werden die meisten später eher Anwalt oder Richter.

Anwalt wäre für mich nichts gewesen. Ich wollte mir eine gewisse Unabhängigkeit bewahren und das geht als Anwalt nicht. Da ist man immer abhängig von seinem Klienten. Und als Richter fehlte mir die Möglichkeit, etwas zu bewegen. Außerdem waren irgendwelche zivilrechtlichen Verträge nicht so mein Ding. Verfassungs- und Verwaltungsrecht fand ich schon immer spannender.

Und in der Verwaltung lässt sich unabhängig etwas bewegen?

Ja, zum Beispiel bei Gesetzesvorschlägen. Wer die schreibt, kann viel bewirken. Und zu meinen Verwaltungstätigkeiten, zum Beispiel als Referatsleiter in der Innenverwaltung, gehörte auch immer viel Beratung dazu, die kann auch oft etwas bewegen.

Sind Sie dann in den Job des Landeswahlleiters mehr so reingerutscht?

Reingerutscht vielleicht nicht, auf die Haupttätigkeit muss man sich schon bewerben. Aber klar, auf das Nebenamt des Landeswahlleiters bewirbt man sich nicht mehr. Die das entschieden haben, wollten jemanden, der sie in der Wahlorganisation unterstützt und juristisch beraten kann. Man wächst da hinein.

Was ist daran spannend, in Berlin Wahlen zu organisieren?

Berlin hat die Besonderheit, dass es eine Stadt und ein Land zugleich ist. In einem Flächenland ist ein Landeswahlleiter weiter von der eigentlichen Wahlorganisation entfernt, die Arbeit machen die Leute vor Ort, also Kreiswahlleiter, Landräte und Gemeinden. Was die Sache aber immer spannend macht, ist die Frage: Klappt das auch alles? Es ist ja eine riesengroße Organisation, die da zu bewältigen ist. Am Wahltag hat man in den Wahllokalen 18.000 - wenn auch ehrenamtliche - Mitarbeiter. Dass da immer wieder Dinge passieren, die ich auch mit meiner Erfahrung nicht für möglich gehalten habe, ist dann so etwas wie das Salz in der Spannungssuppe.

Wie zum Beispiel?

Wenn zum Beispiel Stimmzettel vertauscht werden. Man glaubt ja immer nicht, dass so etwas möglich ist. In anderen Ländern gab es sogar Vertauschungen durch die Druckerei. Und das geht dann bis ins Wahllokal.

Es sind also die Pannen, die eine Wahl spannend machen.

Ein bisschen schon - die Wahlvorbereitung soll ja gerade so gut sein, dass Pannen ausgeschlossen werden. Und Pannen können Konsequenzen haben bis zur Neuwahl. Bisher haben wir aber im Großen und Ganzen Glück gehabt.

Was ist zum Beispiel bei der letzten Bundestagswahl schiefgegangen?

Der Bundeswahlleiter hat zum Beispiel von einer Seltsamkeit aus Pankow berichtet, obwohl ich eigentlich dachte, dass ich Pankow diesmal loben kann. Da hat die Polizei auf der Straße einen Behälter mit Wahlunterlagen gefunden - allerdings nach der Abrechnung. Da hat wohl ein Wahlvorstand den Behälter beim Zurückbringen des Wahlmaterials verloren. Das wird jetzt untersucht.

Aber auch Meldungen über vertausche Wahlzettel gibt es immer wieder. Bei der letzten Wahl zum Beispiel in Charlottenburg-Nord und Wilmersdorf.

Das stimmt, hier ist es aber glücklicherweise früh bemerkt worden. Bei einer früheren Wahl hat ein Wahlvorstand die Vertauschung erst nach zwei Stunden bemerkt. Das ist natürlich sehr peinlich. Solange das Ergebnis im Wahlkreis nicht knapp wird, nützt eine Anfechtung aber nichts. Aber es gab schon Fälle, in denen wir noch mal nachzählen mussten.

Mit den Stimmzetteln ist es in manchen Ländern schon vorbei, da übernehmen das Wahlcomputer. Was halten Sie davon?

Ich könnte mir Wahlcomputer vorstellen, wenn die Stimmzettel weiterhin benutzt und aufgehoben werden, sodass man im Zweifelsfall nachzählen kann. Und Sie brauchen natürlich die Sicherheit, dass es keine Fremdeinwirkung geben kann. Was auf keinen Fall geht, ist wählen über das Internet. Das wäre eine Wahl wie mit einer Postkarte.

Bislang haben Sie aber in Berlin nicht auf Wahlcomputer gesetzt.

Das lag auch daran, dass sie sehr teuer sind. Denn Sie müssen die Maschine bezahlen und die Programme und zwischen den Wahlen können Sie nichts damit anfangen.

Könnte man etwas mit den Computern anfangen, würde es aber dem Sicherheitsgedanken widersprechen.

Ja, deshalb sehe ich ein sicheres Verfahren im Moment noch nicht so richtig. Ich habe aber auch viele internationale Besuchergruppen hier, die nicht so recht verstehen, dass in einem so hochtechnologisierten Land wie Deutschland manuell ausgezählt wird. Manche sehen das mit den Wahlcomputern eben nicht so eng.

Der größte Teil der Vorbereitung läuft im Hintergrund ab. Vor einer Bundestagswahl muss aber der Landeswahlausschuss unter Ihrem Vorsitz die Landeslisten nach formalen Kriterien wie eingereichten Unterschriften zulassen oder ablehnen. Wie fühlt man sich da, wenn man dafür den Arm hebt, dass rechtsextreme Parteien, die diese Demokratie ablehnen, zugelassen werden?

Das sind ja nicht nur rechtsextreme Parteien. Es gibt von beiden Seiten Gruppen, die würden unser System gerne abschaffen. Ein Unbehagen hat man da schon, und im Ausschuss gibt es auch immer ein gewisses Grummeln. Aber man muss sich klar machen, dass das Monopol der Verbotsentscheidung beim Bundesverfassungsgericht liegt. Und bei vielen Parteien kennt man ja die Ziele auch gar nicht so genau. Wissen Sie, was die Tierschutzpartei will? Oder ob die Familienpartei oder irgendeine andere Partei irgendwelche finsteren Vorstellungen hat? Ausschließen kann man das nicht.

Darf ein Landeswahlleiter eigentlich verraten, was er selbst wählt?

Es gibt Landeswahlleiter, die das tun, manche gehören ja auch einer Partei an. Ich bin parteilos. Ich hätte eine Parteizugehörigkeit eher als einengend empfunden.

Verraten Sie es denn jetzt?

Auch nicht. Man muss das Wahlgeheimnis besonders achten.

Wahlgeheimnis bedeutet auch, dass es geheim bleibt, wenn man nicht gewählt hat. Und die Zahl derer, die nicht wählen, hat bei der Bundestagswahl einen neuen Höchststand erreicht. Verlieren Wahlen an Bedeutung?

Es sieht danach aus. Das liegt zum Teil auch an den Strukturen. Gäbe es zum Beispiel einen europäischen Präsidenten, wäre die Wahlbeteiligung bei der Europawahl sicher höher.

Aber bei Bundestagswahlen gibt es immerhin einen Kanzler und trotzdem sinkt die Wahlbeteiligung.

Ich finde jetzt 70 Prozent im internationalen Vergleich immer noch ganz gut. Persönlich ist es natürlich enttäuschend, wenn weniger Menschen wählen gehen. Wenn man sich so viel Mühe mit der Vorbereitung macht, will man schon, dass das Angebot auch genutzt wird.

Wie ließe sich das Ihrer Meinung nach ändern?

Das Angebot macht die Musik. Eine Kollegin sprach kürzlich von "denen da oben". Ich habe widersprochen, das sind nicht "die da oben", das sind die, die wir in das Parlament schicken, damit sie uns vertreten.

Also mehr Bürgernähe.

Auch umgekehrt. Ein gewählter Abgeordneter hat ein Büro, da kann man auch als Bürger mal hingehen und seine Fragen loswerden.

Das wird kaum ein Bürger von sich aus machen.

Ja, dann sind die Politiker gefragt, sich nicht nur im Wahlkampf auf den Marktplatz zu stellen. Auch wenn das natürlich anstrengend ist. Die Kandidaten sind oft näher am Fernsehen als an den Bürgern.

Sie haben es geschafft, blinden Wählern das Wahlgeheimnis zurückzugeben. Früher brauchten sie eine Vertrauensperson, um ihr Kreuzchen zu machen. Sie haben zusammen mit dem Blindenverein eine Schablone entwickelt.

Das war nicht nur ich alleine, sondern zusammen mit der Geschäftsstelle. Wir haben 1994 bei einer Europawahl damit angefangen und das dann weiterentwickelt. Da sind wir in Berlin auch ein bisschen stolz drauf, dass diese Schablone inzwischen bundesweit eingesetzt wurde - gegen die Vorbehalte mancher Landeswahlleiter.

Warum die Vorbehalte?

Weil es ein Zusatzaufwand für die Wahlhelfer wäre.

Und wie haben Sie es trotzdem geschafft?

Die Angst der Amtsträger war vor allem, dass die Wahlhelfer den kompletten Stimmzettel im Wahllokal vorlesen müssten. Das ist nicht möglich. Wer alles in Brailleschrift drucken will, was auf dem Stimmzettel steht, hat stapelweise Papier. Durch die neuen Medien ist das einfacher geworden. Wer die Schablone beim Blindenverein anfordert, bekommt die Erklärungen auf DVD gleich dazu. Weil es bundesweit eingeführt wurde, hat auch der Bund die Kosten übernommen, das war sicher ein zusätzliches Argument.

Ähnlich wie die Wahlbeteiligung sinkt, gibt es auch bei jeder Wahl wieder Klagen, weil immer weniger Menschen Wahlhelfer sein wollen. Können Sie verstehen, dass jemand keine Lust hat, für 31 Euro seinen Sonntag in einem Wahllokal zu verbringen? Zumal das Auszählen ja sehr in den Abend gehen kann.

Ich denke nicht, dass man die ehrenamtliche Tätigkeit wie einen Job bezahlen sollte. Aber angemessen muss die Entschädigung schon sein. Ich hätte in Berlin gerne 40 Euro für Wahlhelfer und 50 für den Wahlvorstand möglich gemacht - also für alle, die nicht aus dem öffentlichen Dienst kommen und daher keinen Freizeitausgleich haben. Aber dieser finanzielle Mehraufwand war weder bei der Innen- noch bei der Finanzverwaltung durchsetzbar.

Können Sie sich vorstellen, wenn Sie ganz im Ruhestand sind, auch selbst Wahlhelfer zu sein?

Schon, aber vielleicht ist jetzt auch genug mit den Wahlen. Dazu kommt: In meinem Wahllokal kennt man mich natürlich. Wenn ich anonym bleiben könnte und so tue, als ob ich nicht wüsste, wie es geht, dann ginge es vielleicht. Ich könnte mich ja in Brandenburg bewerben … Aber es wäre auch in der Sache nicht so dienlich.

Inwiefern?

Stellen Sie sich doch mal vor, die halten sich bei der Auszählung nicht streng an die Regeln. In Berlin ist es so, dass die festgestellte Stimmabgabe vorgelesen werden muss. Da halten sich diejenigen nicht dran, die besonders schnell fertig werden wollen. Und so ein Verhalten könnte ich natürlich nicht dulden.

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