Montagsinterview mit Georg Mendler: "Wir Bauern nutzen die Nähe zur Stadt aus"
Eigentlich war ein Treffen mit dem Bruder geplant, doch der sitzt auf dem Trecker. Also muss Georg Mendler ran. Auch gut! Die Brüder machen ohnehin alles gemeinsam: Kühe melken, Pferde halten, Milch verkaufen auf dem Hof in Rudow. Nur Urlaub nicht.
taz: Herr Mendler, müssen Sie sich angesichts der europaweiten Finanzkrise Sorgen machen? Sie haben doch einen festen Investitionswert: mehr als 35 Milchkühe.
Georg Mendler: Egal ist mir die Krise auf keinen Fall. Wir haben einen landwirtschaftlichen Betrieb und leben hauptsächlich von der Direktvermarktung. Aber das heißt nicht, dass mich im Umfeld nichts interessiert.
Immerhin können Sie schlecht pleitegehen.
Na ja, am Ende würden mir die Kühe auch nichts nutzen. Wenn die Währung zusammenbricht, kriege ich nichts mehr dafür. Und wenn die Leute nicht mehr bei mir einkaufen gehen, weil sie kein Geld mehr haben, bin ich ebenfalls betroffen.
Merken Sie konjunkturelle Schwankungen in Ihrem Hofladen?
Der Bauer: Schon die Eltern von Georg und seinem Bruder Joachim hatten einen Bauernhof und einen Hofladen. Damals verkauften sie noch in der Schöneberger Steinmetzstraße. Aus Platzgründen zogen die Mendlers mit ihrem Milchhof noch vor der Wende an den Stadtrand nach Rudow.
Der Milchexperte: Mendler, 59, hat immer auf Milchwirtschaft gesetzt. Am meisten verdient er über den Direktverkauf. Im Hofladen kostet der Liter unbehandelte Kuhmilch 80 Cent, der Preis ist seit Jahren stabil. Darüber hinaus bieten die Mendlers Fleischwaren und Brötchen aus der Gegend an, Kaffee und Zeitungen gibt es auch.
Der Berliner: Wenn es die Zeit erlaubt, geht Mendler gern mit seiner Frau ins Kino. Er hat einen Sohn, der bisher wenig Interesse an der Übernahme des Hofes zeigt.
Die Grüne Woche: Am kommenden Freitag beginnt die Grüne Woche, die weltgrößte Landwirtschaftsmesse. Mendler wird voraussichtlich nicht dabei sein.
taz_akt_426478
Bis jetzt nicht, toi toi toi. Das läuft. Da die Leute immer mehr Wert darauf legen, zu wissen, wo etwas herkommt, ist die Nachfrage sehr stabil.
War das schon immer so?
Na, das hat sich entwickelt. Den Hofladen gab es ja immer, selbst als der Hof noch in Schöneberg war. Schon meine Großeltern hatten einen Direktverkauf, als sie so um 1925 herum nach Berlin gekommen sind. Mit der Internetseite, die wir in den 90er-Jahren eingerichtet haben, wurde es noch mal mehr. Außerdem sind wir öfter mal in der Zeitung, und unser Erntefest, das ist die größte Werbung für uns.
Wer kauft bei Ihnen Milch und Fleisch?
Manche kommen weit hergefahren, die kaufen dann gleich 20, 30 Liter. Auch türkische Familien kommen viel, sie machen Käse aus der Milch. Die meisten sind immer noch ältere Stammkunden aus der Gegend hier.
Wie war das vor der Wende?
Im Grunde genommen auch nicht anders. Die Leute aus der Stadt sind da auch schon zum Einkaufen gekommen. Die Wende war für uns nur positiv: Wir arbeiten jetzt mit mehreren Agrargenossenschaften im Umland zusammen, was die Futtergewinnung betrifft; wir verkaufen im Laden Eier und Geflügel aus Brandenburg. Dieses breitere regionale Angebot ist ein Vorteil, die Kunden fragen danach.
Wo haben Sie denn vor der Wende Ihr Futter hergekriegt?
Auch von hier, aber wir mussten alles selbst anbauen. Wir hatten Flächen am Hof und weiter in Richtung Schönefeld, da steht heute ein Wohngebiet. Heute ist das alles nicht mehr so ein Platzproblem.
Waren Sie schon immer auf Milchkühe spezialisiert?
Bis 1995 hatten wir auch noch Mastschweine, danach sind wir auf Pensionspferde umgesattelt.
Wie kommt man auf so eine neue Idee, woher weiß man, dass es funktioniert?
Also das mit den Mastschweinen ging nicht mehr, weil wir sie nicht mehr mit Küchenabfällen füttern dürften. Wir hatten hier eine komplette Kochanlage, aber der Gesetzgeber hat diese Art zu Füttern verboten. Das wäre dann alles so umständlich geworden, es hätte sich für den Betrieb nicht mehr gerechnet. Wir mussten uns etwas Neues überlegen. Also haben wir gesagt, komm, weg mit den Schweinen, wir probieren das mit den Pensionspferden. Erst mal in ganz kleinem Stil, um zu sehen, wie es ankommt. Es gab gleich so einen Zuspruch, dass wir das ausgebaut haben.
Wie hat sich das herumgesprochen?
Na, wir hatten das Angebot gleich auf unserer Homepage, und wir haben uns bei Reiter-Vereinigungen in Berlin listen lassen. Eigene Pferde haben wir da gar nicht, ausschließlich Pensionspferde.
Der Liter Milch kostet 80 Cent im Laden. Wie kalkulieren Sie?
Im Detail möchte ich das nicht sagen. Wir haben eine Verkäuferin im Laden, die wir bezahlen müssen. Wir vermarkten direkt, das spart den Lieferweg, wobei wir einen Teil auch zur Molkerei nach Prenzlau bringen. Kraftfutter wird zugekauft.
Wer sitzt an der Melkmaschine?
Mein Bruder und ich. Für die anderen Arbeiten auf dem Hof haben wir eine Hilfskraft.
Schon mal für höhere Milchpreise demonstriert?
Nee. Aber klar: Von der Molkerei könnte es etwas mehr geben. Mit dem Preis im Laden kommen wir zurecht. Wobei man sagen muss, es sind ja nicht immer 80 Cent. Wenn Kunden 100 Liter mit einem Schlag holen, kriegen die das günstiger. Bisher ist der Preis immer stabil geblieben.
Könnte Ihr Hof überall stehen?
Nein.
Warum?
Weil wir die Nähe zur Stadt ausnutzen. Wenn ich irgendwo im tiefsten Brandenburg stehen würde, käme doch keiner aus Berlin, um Milch zu holen.
Nutzen Sie im Gegenzug die Stadt und ihre Vorzüge, mal ins Kino gehen oder so?
Jetzt schon eher, spontan halt. Unser Leben ist ruhiger geworden, seit meine Frau ihren Hof am Niederrhein nicht mehr aktiv bewirtschaftet. Früher sind wir ständig zwischen Westdeutschland und hier hin- und hergefahren. Dann kam das Theater mit der Blauzungenkrankheit, da konnten wir die Rinder nicht mehr hierherholen. Wir haben dann beschlossen, ein paar Kühe weniger zu halten. Jetzt können wir schon ab und zu abends weggehen.
Woher kennen Sie Ihre Frau?
Wir haben uns auf der Grünen Woche getroffen, lange vor der Wende. Sie hatte eben diesen Betrieb am Niederrhein.
Ist das Zusammenleben leichter, wenn beide aus der Branche kommen?
Ja. Ich habe zwar nie danach getrachtet, unbedingt eine Frau aus der Landwirtschaft zu treffen, aber einfacher ist es schon. Die Lebensgefährtin meines Bruders kommt aber zum Beispiel nicht aus der Branche.
Und macht trotzdem alles mit: um vier Uhr früh aufstehen, kein Wochenende, die körperliche Arbeit?
Ja, klar.
Wie klappt das überhaupt, wenn zwei Brüder zusammen einen Hof führen?
Wir entscheiden alles gemeinsam, das funktioniert schon. Größere Probleme gab es noch nie. Es hat jeder seine Schwerpunkte, wir rühren nicht alle im selben Topf. Mein Bruder und seine Partnerin kümmern sich vor allem um die Pferde, meine Frau und ich um die Kühe. Deswegen weiß mein Bruder aber trotzdem über alles Bescheid, was die Kühe betrifft, und mir geht es mit den Pferden genauso.
Wohnen Sie zusammen?
Wir haben ein Doppelhaus mit zwei Eingängen.
Fühlen Sie sich als Großstadtmensch oder eher als Landwirt mit dörflicher Umgebung?
Na ja, bei uns war das ja immer anders. Schon weil wir früher eingeschlossen waren in Berlin: Wir konnten nicht einfach mal raus. Wir Berliner Landwirte haben immer eng zusammengehalten. Es gab ja auch immer einen eigenen Landesverband, damals waren wir bestimmt 40 Bauern.
So viel gibt es heute nicht mehr.
Doch! Das denkt man nicht. Es gibt viele Pensionspferdehalter, Gemüsebauern und so, das muss man mitzählen. Wir haben sehr guten Kontakt zueinander, zu runden Geburtstagen oder Hochzeiten kommen wir alle zusammen.
Geht das so weit, dass Sie wirtschaftlich kooperieren? Ihr nächster Nachbar zum Beispiel, Bauer Mette in Buckow, hat keinen Hofladen. Verkaufen Sie seine Produkte mit?
Das ist schwierig. Wenn er Waren hätte, die es bei uns nicht gibt, wäre das kein Thema. Er hat aber zum Beispiel nicht so viele Hühner, als dass er uns beliefern könnte. Fleisch haben wir selber. Und Blumen bietet er an zum Selberpflücken, das scheidet also auch aus.
Haben Sie jemals überlegt, auf Bio umzustellen?
Nein, das haut nicht hin.
Warum?
Flächenmäßig. Sie dürfen nicht so viele Tiere pro Hektar halten. Dann müssen Sie anderes Getreide beziehen und so, Sie müssten alles komplett umwälzen. Wir haben entschieden, dass das bei uns nicht passt.
Ihre Tiere sind auch draußen.
Ja, das schon, aber nicht immer alle zusammen auf der Weide.
Schlachten Sie selbst?
Nein, das Vieh kommt zum Schlachthof. Wir dürfen nicht auf dem Hof schlachten, allein wegen des Milchverkaufs, wir müssten alles viel strenger räumlich trennen. Rindfleisch muss 14 Tage abhängen, sonst ist es zäh wie Schuhsohle. Der nächste Schlachthof ist in der Nähe von Kremmen. Wir schlachten nur auf Bestellung; in der Regel nehmen wir Anfragen sechs bis acht Wochen vorher an.
Wird man als Bauer reich?
Reich ist ja relativ. Wir können davon leben, aber das hat nichts mit Reichtum zu tun.
Sie könnten öfter schlachten lassen, die Nachfrage ist da.
Klar, das hat sich gut angelassen, aber das hat doch mit Reichwerden nichts zu tun. Man kann mal ein bisschen mehr vermarkten. Aber um reich zu werden, müsste ich das industriell machen.
Viele in der Branche machen das doch auch, das Streben nach Wachstum ist als Bauer ja nicht verboten.
Das Wachstum ist aber begrenzt. Du kannst nicht sagen, wir nehmen noch mal 50 Hektar dazu, die sind einfach nicht da. Wir haben auch eine Quote auferlegt bekommen und dürfen gar nicht mehr Milch erzeugen, zum Beispiel. Es muss alles irgendwie passen, im Gleichgewicht sein.
Oft passt es aber nicht mehr - denken Sie den Dioxinskandal in Eiern und ganz aktuell die Antibiotika in Geflügel.
Das hat für mich nichts mit Wachstum zu tun.
Sondern?
Mit Profitgier. Dass man Schmierfett ins Tierfutter mischt, damit es billiger wird. Für meine Begriffe hat das auch nichts mit Wettbewerb zu tun. Wettbewerb für mich ist, dass alle die gleichen Voraussetzungen haben: Man kann vermarkten, manche ein bisschen mehr, manche weniger. Aber dass man sagt, wenn man erwischt wird, hat man Pech gehabt? Man hat ja auch eine Verantwortung den Tieren gegenüber und den Menschen. Wir werden außerdem ständig kontrolliert. Die Amtsärzte ziehen regelmäßig Proben, da kann ich mir keine Späßchen erlauben und sagen, vielleicht kriegen sie es nicht mit. Das kann ich mir nicht erlauben und das will ich auch nicht.
Wie wichtig ist Glaubwürdigkeit?
Wir haben Urkunden mit Zertifikaten unserer Milch und Milchkühe im Laden hängen, das ist schon wichtig. Wir können auch jederzeit nachweisen, dass hier Proben gezogen werden. Mehr kann man nicht machen.
Wenn sich herausstellt, dass die im Laden angebotenen Freilandeier nicht von frei laufenden Hühnern sind?
Das ist bis jetzt nicht passiert. Wir haben ein Zertifikat, dass das Freilandeier sind. Das wäre erstmal Betrug uns gegenüber.
Kennen Sie den Betrieb?
Ja, klar. Wir waren auch schon da, es ist ein Betrieb in Brandenburg. Die Hühner laufen herum.
Für einen Landwirt ist meist ja nicht mit 65 Schluss. Trotzdem: Wenn Sie nicht mehr wollen, wer übernimmt den Hof?
Warum soll es für mich keine Rentenzeit geben? Ich habe noch so viele Sachen, die ich dann machen möchte.
Zum Beispiel?
Reisen, dahin, wo ich noch nicht war.
Können Sie denn derzeit überhaupt wegfahren?
Klar, wir fahren regelmäßig weg, entweder mein Bruder und seine Familie oder wir. Im Winter und im Sommer.
Übernimmt Ihr Sohn den Hof?
Im Moment ist die Tendenz: eher nicht.
Und dann?
Es wird sich eine Lösung finden. Notfalls wird der Hof verkauft. Das ist ja bei anderen Betrieben auch so, wenn keiner da ist, der weitermacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“
Bequem gemacht im Pseudoliberalismus