Montagsinterview mit "Bommi" Baumann: "Rausch und Terror, davon habe ich Ahnung"
Michael "Bommi" Baumann hat viele Leben. Er war Arbeiterkind und Terrorist, Drogenjunkie und Verfolgter. Inzwischen lebt er unauffällig in Friedrichshain und ist verheiratet.
Michael Baumann wurde 1947 in Lichtenberg geboren und ist gelernter Betonbauer. Der Spitzname Bommi ist nicht seiner zeitweiligen Tätigkeit als Bombenbauer geschuldet, sondern rührt von Baumanns Vorliebe für das Getränk "Bommi mit Pflaume" her.
Er gehörte in den 60ern der Kommune I und den umherschweifenden Haschrebellen an. In den 70ern war er Mitbegründer der "Bewegung 2. Juni", die als terroristische Stadtguerillagruppe auch Sprengstoffanschläge verübte.
Von 1972 bis 1981 war Baumann auf der Flucht und lebte in Syrien, Iran, Afghanistan und Indien. Seine Autobiografie "Wie alles anfing" wurde 1975 unmittelbar nach Erscheinen wegen "Aufrufs zur Gewalt" beschlagnahmt. 1981 wurde er festgenommen und saß fünf Jahre im Gefängnis. 1993 wurde Baumann nach über 25 Jahren Drogenabhängigkeit in das Urban-Krankenhaus eingeliefert. Seither ist er clean.
Heute lebt der Ex-Terrorist und Ex-Junkie in Friedrichshain und schreibt Bücher. Sein neuestes, "Rausch und Terror. Ein politischer Erlebnisbericht" (Rotbuch, 17,90 Euro), ist gerade im Buchhandel. Am 30. September liest Baumann daraus um 19.30 Uhr im taz-Café.
taz: Herr Baumann, hört sich irgendwie witzig an, dass Sie Rentner sind.
Michael "Bommi" Baumann: Wieso?
Wir gehören einer jüngeren Generation an. Unsere Opas haben immer vom Krieg erzählt - und nicht von Terror-Anekdötchen und Drogenstorys.
Ich hätte ehrlich gesagt auch nicht gedacht, dass ich mich mal Rentner nennen würde. Aber wenigstens kann ich darüber lachen.
Sehr gut. Wir wollen mit Ihnen nämlich nicht über alte Zeiten, sondern über Rollenbilder reden. Wie ist es denn so, wenn man von allen nur als Drogenjunkie oder Ex-Terrorist abgestempelt wird?
Wie soll das denn sein? Ich war doch 30 Jahre lang Drogenjunkie. Und ich war auch Terrorist. Ist doch klar, dass man das für die Leute auch bleibt.
Und ist das nicht furchtbar ätzend?
Quatsch. Das sind die Rollen meiner Vergangenheit und die schleppe ich immer noch mit mir herum.
Sie waren in der terroristischen "Bewegung 2. Juni" aktiv und 25 Jahre lang drogenabhängig. Selbst schuld?
Ja, irgendwie schon. Es hat mich ja niemand zum Terror gezwungen oder zum Drogenkonsum. Deshalb hab ich auch als Letzter das Recht, mich irgendwo zu beschweren. Das ganze Gerede von den Verhältnissen und den Eltern, das ist doch Quatsch.
Gerade ist ein Buch von Ihnen mit dem Titel "Rausch und Terror" erschienen. Hört sich so an, als fühlten Sie sich ganz wohl in Ihren Schubladen.
Auch wenn nicht ich, sondern der Verlag den Titel bestimmt hat: Klar gehören diese Schubladen zu mir. Rausch und Terror - das sind die Dinge, von denen ich Ahnung habe. Ich werde heute in Schulklassen eingeladen, um über unsere Zeit bei der "Bewegung 2. Juni" zu sprechen. Das macht doch Sinn, ich war ja schließlich auch dabei.
Dass Sie Bomben gebaut haben, ist jetzt 36 Jahre her. Da waren wir noch lange nicht geboren. Sie haben als einer der Ersten die Waffen fallen lassen und sich mit vielen Ihrer alten Genossen überworfen, weil Sie den bewaffneten Kampf früh für gescheitert erklärten. Dass Sie sich noch immer als Terrorist sehen, nehmen wir Ihnen nicht ab.
Ich sehe mich auch heute nicht mehr als Terrorist. Trotzdem gehört diese Zuschreibung noch zu meinem Alltag. Ich nenn Ihnen mal ein Beispiel: Kurz nach dem 11. September 2001 rief mich eine Freundin aus New York an, die die Flugzeugeinschläge selbst gesehen hat. Wissen Sie, was sie wollte? Sie wollte von mir hören, dass ich mit der Sache nichts zu tun hatte. Klar erschreckt einen das. Aber ich kann es auch irgendwie verstehen: Die Leute wissen nicht, was sie einem wie mir alles zutrauen können.
Was kann man Ihnen denn heute noch zutrauen?
Ich glaube nicht, dass heute noch jemand Angst vor mir haben muss. Der Drogenscheiß und die harte Politik, das ist Vergangenheit. Und ehrlich gesagt: Gemessen daran führe ich im Moment ein ziemlich belangloses Leben.
Hört sich langweilig an.
Ja und nein. Ziehen Sie sich mal rein: Ich hab zum ersten Mal eine eigene Wohnung gemietet, als ich 50 war. Da hatte ich die wilde Studentenzeit, den Hippie-Treck nach Afghanistan und fünf Jahre Knast hinter mir - und plötzlich musste ich mit dem ganz normalen Leben klarkommen. Das war für mich völlig neu und ziemlich spannend.
Das ist jetzt elf Jahre her. Was machen Sie in Ihrem neuen Leben denn den ganzen Tag?
Meine Frau arbeitet und ich halte die Bude sauber. Das nimmt viel Zeit in Anspruch. Und dann hänge ich einen Großteil des Tages im Internet rum und lese in jeder freien Minute Artikel.
Was denn für Artikel?
Alle möglichen Zeitungsartikel, aus den USA, Pakistan, aus Spanien und Birma. Was so los ist in der Welt halt. Das haben wir schon in der Kommune I so gemacht - und ich kann es mir irgendwie nicht abgewöhnen.
Sie leben in einer Wohnung im Berliner Stadtteil Friedrichshain, an Ihren Wänden hängen Bilder von alten Adeligen, Sie haben eine anschauliche Krawattensammlung. Wie fühlt sich das an, wenn man plötzlich der Feind seiner eigenen Vergangenheit ist?
Ich bin zwar Rentner, aber ich beschwere mich weder über meine Nachbarn, noch hänge ich den ganzen Tag am Fenster und glotze raus.
Nicht dass es schlimm wäre, aber es sieht ja doch eher gediegen aus hier bei Ihnen in der Wohnung.
Meine zurückgezogene Lebensweise ist sicherlich auch ein Schutz. Was Sie hier sehen, die goldenen Bilderrahmen, die Krawatten, das alles hat mich gerettet, als ich Schluss gemacht habe mit den Drogen. Die Krawatten waren lange Zeit meine Ritterrüstung: Einen Typen in Schlips und Anzug spricht kein Junkie an. Und das hat mir geholfen, aus der Scheiße rauszukommen. Heute hängen die blöden Schlipse zwar noch da rum, aber ich muss sie nicht mehr tragen.
Früher waren Sie dort zuhause, wo Sie eingeschlafen sind. Was macht man, wenn man davon müde wird?
Als ich müde geworden bin, weiter sinnlos mit Waffen rumzulaufen, waren meine Brücken zur bürgerlichen Welt schon lange abgebrannt. Da kann man sich das Müdesein nicht leisten.
Gut, also doch ein bisschen Geschichtsstunde: Wie ging es mit Terror-Bommi denn zu Ende?
Ich war bis Ende 1972 in der "Bewegung 2. Juni" voll aktiv, mit Banküberfällen, Bombenanschlägen und dem ganzen Pipapo. Wer Augen im Kopf hatte, musste irgendwann merken, dass politisch nichts mehr zu reißen war. Ein paar Leute blieben dennoch übrig, die wollten nur noch Gefangene gewaltsam freipressen. So ein Scheiß. Die saßen doch da nicht im Knast, weil sie Gummibärchen verteilt hatten, sondern weil sie wie ich Terroristen waren. Die freizukriegen sollte unser einziger Kampf bleiben? Nee. Der Terror war zum Selbstläufer geworden, das fand ich beknackt.
Unsere Kollegen haben uns aber auch erzählt, dass viele Menschen es damals ganz sympathisch fanden, als die "Bewegung 2. Juni" nach einem Banküberfall erbeutete Hundertmarkscheine in den Fußgängerzonen an Passanten verteilte …
Das war doch alles nur Spinnerei. Da gings doch um nichts mehr. Jetzt mal im Ernst. Da war mir ehrlich gesagt dann auch egal, wenn mich manche Betonköpfe später als Verräter beschimpft haben.
Viele Ihrer alten Genossen fanden es auch nicht lustig, dass Sie bei der Stasi die Details des westdeutschen Widerstandskampfes ausgeplaudert haben.
Moment mal. So einfach können Sie sich das nicht machen. Das war nicht eine Frage von freier Entscheidung. Da hatte ich keine Wahl.
Es gibt 97 Seiten Stasiakten mit Persönlichkeitsprofilen führender RAF-Mitglieder, die auf Ihren Informationen beruhen. Da hatten Sie keine Wahl?
Ich war 1974 während meiner Flucht mit einem gefälschten Pass auf dem Weg von Tschechien nach Westberlin, um mir Geld zu besorgen. Eine DDR-Grenzkontrolle hat meinen gefälschten Pass erkannt. Dann hatte ich die Wahl: Entweder ich kooperiere - oder die DDR liefert mich an die Bundesrepublik aus, da hätte ich 15 Jahre gesessen. Minimum.
Also hatten Sie doch die Wahl.
Heute tun viele so, als ließe sich das aus der Rückschau vornehm beurteilen. Damals aber hatte ich erstens einen klaren Feind: die BRD. Das war schon mal eine Gemeinsamkeit mit der DDR. Zweitens wussten die doch sowieso schon alles. Drittens habe ich niemandem direkt geschadet. Ich sag Ihnen: Das hätte damals niemand anders gemacht.
Die Belohnung war: Die Staatssicherheit hat Sie laufen lassen. Und Michael Baumann war wieder auf der Flucht. Wie hießen Sie eigentlich unterwegs?
Die meiste Zeit hieß ich entweder David Davidson oder Gerald Green.
Das sind ja nicht unbedingt die unauffälligsten Namen für eine gefälschte Identität.
Ich konnte mir doch die Pässe nicht aussuchen. Da musste ich nehmen, was ich kriegen konnte. Ich war dann neun Jahre auf der Flucht, während denen ich steckbrieflich gesucht wurde. Bis mich dann eines Morgens 1981 Scotland Yard aus einer Londoner Wohnung geholt hat. Da gings dann zurück in die BRD und in den Bau.
Und als Sie 1985 rauskamen, ging es direkt zurück in die Drogenszene?
Ja, scheiße war das.
Womit wir bei der Schublade Drogenjunkie wären. Viele unserer älteren Kollegen haben sich auch gewundert, dass Sie überhaupt noch leben.
Die haben ja sogar recht damit. Ich wundere mich doch selbst. Als wir damals mit den Umherschweifenden Haschrebellen der Meinung waren, wir könnten mit Drogen unsere Bewusstseinsebenen erweitern und sie zum Teil unseres politischen Lebens machen, waren wir naiv und blauäugig. Erstens waren wir arschjung und zweitens hatten wir mit den ganzen Substanzen keine Erfahrung. Und da uns langweilig war, haben wir halt das Zeug ausprobiert und sind hängen geblieben. Überlegen Sie mal: Ich habe in meinem Leben mehr als anderthalb Millionen Euro für Drogen ausgegeben.
Konsequenterweise hätten Sie auch schon zweimal fast dran glauben müssen.
Ich war tatsächlich schon zweimal klinisch tot, beidesmal war es verdammt knapp. Einmal bin ich auf der Drogenstation gelandet, einmal nach einem Herzinfarkt noch rechtzeitig ins Krankenhaus gekommen. Nach dem zweiten Mal habe ich mich fürs Leben entschieden. Seitdem ist Schluss mit den Drogen. Nur noch Menthol-Zigaretten und Tee.
Turnt das noch?
Ich sage Ihnen: Tee turnt viel geiler als Kaffee. Langsam, aber oho.
So viel zum Tee. Aber turnt das Leben noch?
Genau genommen bin ich ein armer, alter, kranker Mann, der versucht, wieder aktiv zu werden.
Und wie machen Sie das?
Das Buch ist eine Weise, sich wieder aus der Deckung zu begeben. Ich hab ja schon ein paar Bücher geschrieben. Einerseits hilft das zu verarbeiten. Andererseits, glaube ich, interessiert das auch die Menschen. Ich war jahrelang in Afghanistan und ich weiß, worum es geht, wenn die Bundeswehr heute die Betäubungsmittel am Hindukusch verteidigt. Ich sag: Das wird in den nächsten Jahren die politische Debatte in Deutschland prägen. Wir sind im Krieg, das müssen die Leute langsam mal begreifen. Und eins ist klar: Krieg ist ja wohl der größte Abturner. Da muss man auch einfach mal wieder das Maul aufreißen.
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