Montagsinterview Senatsbaudirektorin Regula Lüscher: "Unter den Fernsehturm passen keine Townhouses"
Soll Berlin wieder eine Altstadt bekommen? Kurz vor dem Baubeginn des Humboldt-Forums hat sich Klaus Wowereit für eine Rekonstruktion ausgesprochen. Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hält dagegen.
taz: Frau Lüscher, verzweifeln Sie manchmal an Berlin?
Regula Lüscher: Nein.
Kommt jetzt noch ein aber?
Ohne aber.
Andere scheinen jedenfalls an Ihnen zu verzweifeln. "Frau Senatsbaudirektorin, Sie nerven uns". So hat die Bild-Zeitung schon vor einem Jahr getitelt.
Lüscher wurde 1961 in Basel geboren und studierte Architektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.
Seit 2007 ist sie Senatsbaudirektorin und damit Nachfolgerin des mächtigen Hans Stimmann. Anders als der hat sie mit moderner Architektur keine Probleme.
Zu den wichtigsten städtebaulichen Aufgaben gehören die Nachnutzung des Flughafens Tempelhof und der Bau eines neuen Stadtquartiers an der Heidestraße.
Zu ihrer "Kultur der Offenheit" gehören auch Presserundfahrten mit dem Bus. Klaus Wowereit darf aber bestimmt nicht mehr so schnell mitfahren.
In meinem Job kann man es nicht jedem recht machen, man muss auch manchmal nerven. Man nervt, weil man gegensteuern muss, weil man öffentliche Interessen vertreten muss, oftmals gegen die Interessen Privater. Vielleicht fällt man manchmal auch dadurch auf, dass man sich das Recht herausnimmt, über Dinge vertieft nachzudenken. Stadtentwicklung ist eine komplexe Angelegenheit.
Was man Ihnen vorwirft, ist eher konkret: Sie hätten versucht, die Humboldt-Box an der Baustelle des Stadtschlosses zu verhindern. Sie seien verantwortlich für die gescheiterte Ausschreibung bei der Sanierung der Staatsoper. Auch die Morgenpost meinte: "Berlins überforderte Baudirektorin". Läuft da was schief?
Ich habe die Humboldt-Box nicht verhindert, im Gegenteil: Durch meine starke Intervention haben sich alle Beteiligten nochmals bewegt, so dass endlich ein Standort gefunden wurde. Auch das Thema Staatsoper ist typisch für einen Zielkonflikt: Wenn Sie das Denkmal erhalten wollen, geht das auf Kosten der Akustik. Wollen Sie die Akustik in Ordnung bringen, leidet das Denkmal. Beides geht nicht. Das muss man akzeptieren. Deshalb mussten wir intensiv diskutieren und haben anschließend entschieden. Jetzt wird saniert.
Sowohl bei der Staatsoper als auch bei der aktuellen Diskussion über die Bebauung des Marx-Engels-Forums waren es der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und sein Kulturstaatssekretär André Schmitz, die ein Machtwort gesprochen haben. Wer baut denn eigentlich in Berlin?
Der Senat baut für die Berlinerinnen und Berliner. Dabei ist der Senat aber darauf angewiesen, dass er in seinen stadtentwicklungspolitischen Fragen fachliche Unterstützung erhält. Ich sehe mich als Senatsbaudirektorin als fachliche Instanz. Dafür hat man mich auch geholt. Ich bemühe mich, zusammen mit der Verwaltung, aber auch mit anderen Experten, Konzepte zu erarbeiten, die aus fachlicher Sicht Sinn machen. Vor, nach oder parallel zur Fachdiskussion gibt es politische Diskussionen. Dass es dabei unterschiedliche Ergebnisse geben kann, finde ich völlig normal.
Sie sind also Moderatorin, keine Chefin?
Ich sehe mich selbstverständlich als Chefin. Ich sehe mich aber auch als Gestalterin und als Impulsgeberin. Das heißt aber nicht, dass sich andere zu stadtentwicklungspolitischen Fragen nicht äußern sollen. Manchmal wird das in Berlin missverstanden und diese Kultur der Offenheit nicht als Stärke, sondern als Schwäche ausgelegt.
In die Debatte um die Rekonstruktion der Altstadt hat sich inzwischen auch ihr Vorgänger Hans Stimmann eingeschaltet, Seit an Seit mit Wowereit. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten Sie am Marx-Engels-Platz den laufenden Wettbewerb abgewartet, auf den Koalitionsvertrag hingewiesen, der an dieser Stelle eine Freifläche vorsieht, und das Verfahren dann ohne Zeitdruck moderiert. Haben Sie die Dynamik unterschätzt, die das Thema Berliner Altstadt mit sich bringt?
Die kritische Rekonstruktion zwischen Schloss und Fernsehturm ist eine uralte Idee. Dass man eine solche, nicht besonders innovative Idee wieder lanciert, finde ich keine besondere Leistung. Wichtig ist es aber, sich nun, nachdem man den Entwurf von Stella für das Humboldt-Forum gewählt hat, Gedanken über das Gegenüber zu machen, welches sich genau auf diesen Entwurf bezieht.
Ist der Stella-Entwurf für Sie ein Abschluss der historischen Rekonstruktion Unter den Linden? Oder zwingt er auch auf der anderen Spreeseite zu einem baulichen Gegenüber?
Vor dem Wettbewerb zum Humboldt-Forum war diese Frage offen. Jetzt ist klar, dass das Schloss als Solitär verstanden wird. Sonst hätte man diesen Entwurf so nicht gewählt, der ja zum Beispiel auf eine kritische Rekonstruktion des Apothekerflügels gänzlich verzichtet. Eine bauliche Reaktion gegenüber ist damit nicht nötig.
Welche Qualität hat das Gegenüber für Sie.
Sie haben das Marx-Engels-Forum mit dem Fernsehturm. Das ist eine axialsymmetrische Anlage, die enorm stark ist, eine Teilrekonstruktion eines Quartiers passt nicht dazu. Die axiale Ausrichtung und die Kraft des Fernsehturms, der ja auch ein Monument ist, das räumlich ausstrahlt, kann in keiner Weise mit einer solchen Teilrekonstruktion zusammenkommen. Unter den Fernsehturm passen nun einmal keine kleinen Townhouses.
Das Wettbewerbsverfahren, das derzeit läuft, schließt also eine Bebauung aus?
Mich interessiert in diesem Verfahren vor allem, wie andere europäische Städte mit solchen Plätzen und Räumen umgehen. Man muss auch wahrnehmen, was zwischen Marx-Engels-Forum und Fernsehturm an Qualität vorhanden ist. Aus dieser Analyse heraus kann man dann weitere Schritte entwickeln. Denn für mich ist klar: Das Marx-Engels-Forum ist ein öffentlicher Raum.
Nun hat sich auch Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer in die Diskussion eingemischt und erklärt, sie könne sich auf dem Areal auch die heiß ersehnte Berliner Kunsthalle vorstellen. Ist der politische Druck so groß, dass man mit fachlichen Argumenten allein nicht mehr weiterkommt?
Wir wollen beide einen öffentlichen Ort. Was wir bislang haben, ist ein grün geprägter öffentlicher Raum. Wenn Frau Junge-Reyer nun eine Kunsthalle ins Spiel bringt, zeigt das: Wenn man an diesem Ort überhaupt an einen Weiterbau denkt, kann es nur eine öffentliche Institution sein, ein Solitär und nicht ein Stadtquartier.
Der Regierende Bürgermeister hat sich ja nicht nur zu diesem Thema geäußert. Bei einer Stadtrundfahrt mit Frau Junge-Reyer und Ihnen hat er sich auch über die Alexa beklagt oder über Kaugummis auf dem neu gepflasterten Alexanderplatz. Hält da plötzlich der Populismus Einzug in die Stadtentwicklungsdebatte?
Als sich der Regierende Bürgermeister auf der Stadtrundfahrt geäußert hat, fand ich das einfach nur positiv. Er äußert eine persönliche Meinung und nimmt kritisch Stellung. Er hat da so seine Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen.
Mit Verlaub - den Mitarbeitern Ihrer Verwaltung stand in diesem Moment das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Und Frau Junge-Reyer musste hinterher schnell auf eine geplante Gestaltungsverordnung für den Alexanderplatz verweisen.
Die Gestaltungssatzung war keine Reaktion auf Wowereit, sie bezieht sich auch nicht auf den Alexanderplatz.
Sie wurde von Ihrer Senatorin als solche aber ins Spiel gebracht.
Die Gestaltungsverordnung war schon in Arbeit, als ich mein Amt antrat. Man war sich bewusst gewesen, dass die Verordnung Unter den Linden ergänzt und auch an das angrenzende Gebiet angepasst werden soll. Die Äußerung des Regierenden hat dann dazu geführt, dass Frau Junge-Reyer gesagt hat: Ja, es ist richtig, wir müssen uns natürlich um Qualität kümmern. Und ein Instrument dafür können Gestaltungsverordnungen sein. Die wiederum machen nur an gewissen Stellen Sinn. Diese Verordnung ist in der Zwischenzeit ausgearbeitet. Einerseits bringt sie eine gewisse Liberalisierung, weil sich die strenge Ordnung Unter den Linden nicht bewährt hat. Andererseits bezieht sie sich auf das Unesco-Weltkulturerbe Museumsinsel. Da geht es auch darum, den Kontext etwas zu kontrollieren. Das zwingt Investoren dazu, Qualität in der Architektur zu bringen.
Hätten Sie mit dieser Verordnung die Alexa, wie sie heute dasteht, verhindern können?
Nein. Dieses Areal wird von der Verordnung nicht einbezogen.
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten den Druck der Politik in Berlin unterschätzt. Wie gehen Sie mit dem Druck um? Beim Joggen um den Schlachtensee?
Ja, ich gehe joggen, auch um den Schlachtensee. Ich mache Yoga, sehr intensiv. Das Segeln ist wichtig. Mal eine Woche weg und wirklich im Sturm zu sein, fünf Stunden am Steuer, das liebe ich. Das gibt mir ein Gefühl dafür, was Druck wirklich bedeutet. Das hat etwas Befreiendes.
Wie stark ist denn dieser Druck, und wie viel Irrationalität ist da dabei? Vor Jahren noch galt der Versuch, großflächige Werbeplakate zu verhindern, der Bauverwaltung als investitionsfeindlich? Heute will die Bauverwaltung selbst verhindern.
Stadtplanung ist immer einem Druck ausgesetzt, einem politischen Druck, einem Druck der öffentlichen Meinung, einem Druck der Investoren. Ich glaube nicht, dass der politische Druck zugenommen hat. Mal gibt es mehr Bedürfnis nach Regulierung, mal weniger. Stadtentwicklung ist ein großer Dampfer, auch wenn es viele Wellenbewegungen gibt, kann man deshalb Kurs halten.
Haben sich die Ziele und Motive der Einflussnahme geändert? Gibt es heute ein stärkeres Bedürfnis nach der heilen Stadt oder der heilenden Wirkung des Städtebaus?
Wenn ich die zwanzig Jahre Stadtplanung seit der Wende beobachte, dann ist der Duktus die kritische Rekonstruktion, und die wollte schon immer Wunden heilen. Das ist in Berlin auch gelungen. Aber jetzt ist eine neue Senatsbaudirektorin da. Und ich stehe für etwas andere Werte. Junge-Reyer hat mich geholt im Wissen, dass ich eine Person bin, die für zeitgenössische Architektur steht. Ich stehe auch für eine andere planerische Kultur: für kooperative Prozesse, für dynamische Masterpläne, so wie wir das jetzt an der Heidestraße sehr erfolgreich umgesetzt haben. Das ist für mich professionelle Stadtplanung. Eine lebendige Diskussion gehört zu meinem Verständnis von Stadtplanung.
Gibt es bei Stadtentwicklungspolitik auch Gewinnerthemen?
Die Heidestraße ist ein solches Gewinnerthema. Aber auch die Freifläche zwischen Fernsehturm und Spree. Den Fernsehturm lieben alle Berliner, an ihm orientieren sie sich. Dieser Fernsehturm produziert einen Stadtraum, der bis zur Spree reicht. Wenn man in diesem Raum etwas verändert, muss man den Fernsehturm immer mit einbeziehen.
Das Abgeordnetenhaus hat gerade mit den Stimmen von SPD, Linken und Grünen einen Bebauungsplan für den Schlossplatz gefordert. Darin soll die Freifläche zwischen Spree und Fernsehturm festgeschrieben werden. Begrüßen sie das, oder ist das auch wieder eine Einmischung der Politik?
Das ist natürlich keine Einmischung der Politik. Das Abgeordnetenhaus macht vielmehr von seinem guten Recht Gebrauch, bei wesentlichen Fragen der Stadtentwicklung und Bebauung der Stadt mitzureden. Auch inhaltlich kann ich diesem Beschluss nur zustimmen. Zwischen Spree und Fernsehturm sollte es keine der barocken Stadt nachempfundene Bebauung geben. Es passt da einfach nicht hin.
Was ist das Gewinnerthema an der Heidestraße?
Die Heidestraße bietet die Möglichkeit, an einer Wasserlage Wohnraum und innovative Architektur entstehen zu lassen. Das ist ein Angebot an Menschen, die in der Stadt leben, aber auch Natur haben wollen. Deshalb haben wir auch höchste Kriterien an ökologische Entwicklung. Zweitens: Das Gebiet kann sowohl von Bayer Schering, der Charité als auch vom Hauptbahnhof profitieren. Es gibt dort großes wirtschaftliches Potenzial, Stichwort Gesundheitswirtschaft. Schließlich wird es dort gelingen, einen Stadtteil zu entwickeln, der vielfältige und unterschiedliche Adressen hat. Es gibt den Kunstcampus, der wieder eine ganz andere Bevölkerungsschicht anspricht.
Ist das Thema Mediaspree dagegen ein Verliererthema? Zum Konflikt über den Bürgerentscheid ist nun auch noch die Finanz- und Kreditkrise gekommen?
Längerfristig ist der Spreeraum kein Verliererthema, das ist ein hochattraktives Areal, einer der wichtigsten Entwicklungsräume am Wasser. Die alte Industriekante am Wasser ist ein hervorragender Ort für Wohnen und Dienstleistungen. Das Areal wird sich entwickeln, selbst wenn es gelegentlich Verzögerungen gibt.
In Zürich haben Sie mitten in der Stadt gelebt. In Berlin haben Sie einen Bogen um Mitte, Prenzlauer Berg oder die Spree gemacht.
Liegt Wilmersdorf nicht auch mitten in der Stadt?
Je nachdem, es kann auch ein Rückzugsort sein.
Eigentlich war das nicht geplant. Es war die zweite Wohnung, die ich mir angeschaut habe. Ein tolles Quartier, fünf Minuten zum Volkspark, da kann ich am Morgen joggen, viele Läden, das Yogastudio ist in der Nähe. Es ist alles da, was ich brauche, ich lebe ja allein in Berlin, mein Partner ist in der Schweiz. Dass es vermeintlich, im Vergleich zum Prenzlauer Berg, ein gewisser Rückzugsort ist, ist Ansichtssache. In ein paar Minuten bin ich zu Fuß in der City-West, die sehr lebendig ist und die ich sehr schätze.
Berlin feiert in diesem Jahr 20 Jahre Mauerfall. Wo waren sie am 9. November 1989?
Ich war in Barcelona, auf einer Seminarwoche mit meinen Studenten. Wir haben dort Plätze angeschaut. Eine Assistentin von mir war Deutsche, die ist direkt zurückgeflogen. Das hat mich sehr beeindruckt.
Was ist für Sie das gelungenste Beispiel der baulichen Veränderung seit der Wende?
Was mich sehr beeindruckt, ist Hellersdorf. Was für eine Leistung im Stadtumbau. Eine hohe Qualität, sozialverträglich.
Was ist die größte Sünde?
Dass der Verlauf der Mauer kaum mehr zu sehen ist. Da hätte man sich mehr Zeit nehmen müssen. Aber ich kann auch gut verstehen, dass man damals schnell die Spuren der Teilung tilgen wollte.
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