Montagsinterview Gartenaktivistin Gerda Münnich: "Die Gartenbewegung ist eine Guerillabewegung"

Einst saß sie in dunklen Büros, jetzt beackert sie öffentliche Flächen. Gartenaktivistin Gerda Münnich planzt gegen soziale Unterschiede und Gentrifizierung - seit Samstag auch auf dem Tempelhofer Feld.

Hält nichts von Gartenzwergen: Gerda Münnich im Wuhlegarten. Bild: David Oliveira

taz: Frau Münnich, was bringt eine Computerfachfrau zum Gärtnern?

Gerda Münnich: Die Frage müsste andersrum lauten: Was bringt eine Naturverbundene zum Computer?

Na gut. Sie kommen aus dem Spreewald, sind auf dem Bauernhof ihrer Großeltern großgeworden. Liegen da die Wurzeln Ihres Gartenengagements?

Gerda Münnich, 1939 geboren, wächst in Lübben (Spreewald) auf einem Bauernhof auf. Sie studiert erst Bankorganisation, ab 1962 Finanzwirtschaft und Angewandte EDV. Münnich arbeitet im Leitzentrum für Anwendungsforschung in Berlin. Nach der Wende ist sie Technische Redakteurin bei IT-Unternehmen. 1993 und 2003 wird die dreifache Mutter arbeitslos.

2003 macht Münnich ihr Hobby zur Hauptaufgabe: Sie gründet Berlins ersten interkulturellen Garten mit, den Wuhlegarten in Köpenick. Seitdem ist sie bei vielen Stadtgartenprojekten dabei, vermittelt zwischen Bürgern und Verwaltung. Seit 2006 vertritt Münnich die "AG Interkulturelle Gärten in Berlin und Brandenburg". Ein Auto hat die 71-jährige Treptowerin nie besessen.

Berlin gilt als "Hauptstadt der interkulturellen Gärten". 25 verteilen sich über die Stadt. Daneben beherbergt Berlin Generationengärten, Selbsterntegärten, urbane Kleinstlandwirtschaft und illegales Guerilla Gardening.

Münnichs neuestes Projekt ist das "Allmende-Kontor", ein Gemeinschaftsgartenprojekt auf dem Tempelhofer Feld. Startschuss war am Samstag. Mehr dazu auf www.tempelhoferfreiheit.de und www.urbanacker.net.

Ich war fünf Jahre, als 45 der Krieg zu Ende ging. Das war genau die Jahreszeit wie jetzt - März, April. Es gab nur noch alte Leute, Mütter und Kinder. Wir mussten dafür sorgen, dass überhaupt Essen auf dem Tisch stand. Fast ohne Maschinen und ohne männliche Hilfe. Kartoffeln, Getreide und Gemüse haben wir angebaut, Saatgut gesammelt. Das ist mir bis heute präsent, trotz aller virtuellen Welten, in die ich mich später eingearbeitet habe.

Das klingt mehr nach Zwang als nach Lust zum Gärtnern.

Damals gings ums Notwendige. Gleichzeitig war aber auch ein besonderes Bewusstsein da. Für mich ist immer noch mein Großvater, ein alter Bauer, der erste Ökologe. Der hatte dieses Wort zwar noch nicht gekannt, aber er hatte immer eine ganzheitliche Sicht auf das Leben, die den Menschen, Pflanzen und Tiere, Boden, Luft und Wasser einschloss. Das Spannende ist, dass das den Generationen heute wieder bewusst wird.

Ihr Großvater hat Sie geprägt?

Sicher. Es gibt Leute, die könnten zehn Jahre ohne Blumentopf leben, ich könnte das nie. Auch im kleinsten Raum brauche ich Pflanzen.

Und wie sind Sie dann zur Informatik gekommen?

Ich habe Bankkaufmann gelernt - diese Bezeichnung hat mich schon damals gestört, aber so stehts in der offiziellen Urkunde. Danach habe ich Bankorganisation studiert, woraus in der DDR später die Studienrichtung Angewandte EDV entstanden ist. Inhaltlich war das das, was heute Wirtschaftsinformatik heißt.

Informatik in der DDR, wie hat man sich das vorzustellen?

Ich war im Leitzentrum für Anwendungsforschung in Berlin beschäftigt. Unsere Hauptaufgabe war, Informationen für Führungskräfte zu sammeln. Gleichzeitig haben wir damals schon an offenen Systemen wie Unix gearbeitet. Das glaubt heute kaum noch jemand! Anfangs gab es noch nicht mal Bildschirmtechnik. Unsere Programme liefen noch über Lochkarten, die mit dem Auto ins Großforschungszentrum nach Dresden gefahren wurden. Hatten wir da schlecht gelocht, sind die Arbeitsaufträge erst gar nicht gelaufen. Rechner und Rechenzeiten waren knapp, gearbeitet wurde oft nur nachts. Da war man entweder Single und Freak - oder man suchte die Balance im wirklichen Leben.

Ihr Ausgleich war das Gärtnern?

Ja, zum Beispiel unser Pachtgarten in Zeuthen.

Heute sind Sie eine der umtriebigsten GartenaktivistInnen Berlins. Warum ist gerade die Hauptstadt eine Hochburg des Community Gardening geworden?

Weil hier Ost und West, Altes und Neues zusammenkommt. Das ist noch keine sortierte Gesellschaft. Und wo es anfängt, sich zu sortieren, wird das eher skeptisch angesehen. Außerdem gibt es in Berlin nach deutschem Maßstab viele arme Leute. Gemeinschaftsgärten aber kosten keinen Eintritt. Es gibt keinen Kleiderzwang und keine Hierarchien. Man kann selber etwas machen und trifft die spannendsten Leute.

Wenn man sich etwa die Prinzessinnengärten in Kreuzberg anguckt, sind es nicht die Armen, die dort graben, sondern die jungen Hippen.

Das stimmt nicht. Dort sind Nachbarn aus allen Schichten und Kulturen beteiligt - Deutsch, Türkisch, Französisch oder sonst wie Sprechende.

Aber ist die neue Lust am Stadtgärtnern nicht auch nur ein Lifestyle-Fragment der Bionade-Boheme?

Nicht nur Fragment, das ist sogar eine ganze Bewegung. Und da kann man sich eigentlich nur drüber freuen.

Sie denken nicht, dass das nur eine oberflächliche Episode ist?

Nein! Man kann ja vieles oberflächlich tun, aber pflanzen nicht. Ein Garten ist etwas Lebendiges, das, wenn es da ist, auch Forderungen stellt. Das kann man nicht einfach so wegwerfen. Über das neue grüne Bewusstsein wird ja viel geredet. Die Gärten sind Orte, an denen es auch authentisch praktiziert wird.

Woher kommt diese urbane Garteneuphorie?

Das hat verschiedene Wurzeln. Ein Stichwort wäre Ernährungssouveränität: Die Leute wollen wieder wissen, was da auf ihrem Teller liegt. Und in dem Moment, in dem man einmal richtig gegessen hat, lässt man sich nicht mehr so leicht täuschen. Außerdem steckt dahinter eine unbewusste Sehnsucht nach Orientierung, nach einem Ort, an dem man sich wohlfühlt. Gerade bei den Jüngeren.

Der Garten als Schutzraum?

Und der Begegnung! Gärten sollten Orte sein, die der Gemeinschaft zur Verfügung stehen. Orte, an denen der Mensch lernt, im Einklang mit der Natur zu leben und daraus Kraft zu ziehen. Vielleicht ist es etwas hoch, zu sagen, damit wäre die Gesellschaft zu retten. Aber alles, was ich unter Lebensqualität und gutem Leben verstehe, finde ich in den Gärten.

Wir sitzen gerade im Wuhlegarten, Berlins erstem interkulturellen Garten. Sie haben ihn mitgegründet. Was können solche Orte vermitteln, was Populisten wie Thilo Sarrazin nicht vermitteln können?

Ich zeige Ihnen mal ein Foto von der Eröffnung. Schauen Sie: der deutsche Arbeitslose, hier der Spätaussiedler aus Russland, die Vietnamesin, der Ägypter. Diese Gärten bringen vom Analphabeten bis zum Hochschulprofessor die verschiedensten Menschen zusammen. Wenn die gemeinsam ihren Subbotnik machen, sehen Sie nicht mehr, wer der Professor ist. Dann zählt nur noch, wer wie mitmacht und Hand anlegt. Das schafft Selbstbewusstsein und Achtung.

War diese Idee die Initialzündung für Ihr Engagement?

Es war eine Idee, die mich in ihrer praktischen Umsetzung überzeugt hat, ja. Außerdem finde ich oft eine emotionale Ebene, eine Verständigungsebene mit den Menschen aus den Kriegsgebieten, die in den Gärten neue Wurzeln schlagen. Wenn man wie ich noch selbst Krieg erlebt hat, kann man manche Reaktionen von Migranten viel besser verstehen.

Gibt es gärtnerische Unterschiede zwischen Kulturen?

Oh ja, das ist ja das Spannende! Die Ukrainerinnen etwa pflanzen das, was sie auch zu Hause in ihrem Garten hatten: Kartoffeln, Tomaten, Erdbeeren, Gladiolen, Dahlien. Und die bosnischen Frauen am Gleisdreieck - Kriegstraumatisierte - rekultivieren alte Rosenstöcke, die es traditionell in Bosnien gibt und machen daraus Rosenöl.

Und die Berliner?

Den Berliner gibts nicht. Es gibt Alte und Junge, langjährige Gärtner und Menschen, die zum ersten Mal eine Schaufel in der Hand halten. Und jeder und jede hat seine und ihre Vorlieben.

Okay, anders gefragt: Was pflanzen Sie denn am liebsten?

Auch eine schlechte Frage. Jeder Garten ergibt sich doch aus seiner Grundstruktur, ich würde nie einem Ort etwas aufzwingen. Ich habe aber ein ganz genaues Gefühl, welche Jahreszeiten wie riechen, schmecken und aussehen. Ich setze mich hin, gucke, wo die Sonne scheint und überlege, was wo wachsen könnte.

Haben Sie denn keine Lieblingspflanze?

Doch, vielleicht Jasmin. Falscher Jasmin, um genau zu sein. Dieser Duft weckt Kindheitserinnerungen. Sommer auf dem Dorf, Freizeit und Freiheit.

Vom Urban Gardening zum Schrebergarten ist es nicht weit. Stellen Sie inzwischen auch mal Gartenzwerge auf?

Natürlich nicht. Ein Garten ist etwas Lebendiges, da stelle ich nichts Künstliches rein.

In Berlin sind es vor allem Brachflächen, die mit Gärten als Zwischennutzung aufgehübscht werden. Wird man so nicht Teil der Gentrifizierung?

In dieser Diskussion befinden wir uns auch gerade in der Gartenszene. Das hängt an der Frage: Reprivatisieren wir Freiflächen? Das tun Gemeinschaftsgärten in der Regel nicht, weil sie der Nachbarschaft zur Verfügung stehen. Jemand, der nur für sich sein Beet machen will, wird es schwerhaben, in unsere Gärten aufgenommen zu werden.

Am Ende steht meistens dennoch ein blühender, attraktiver Ort.

Natürlich ist das erst einmal eine Aufwertung. Aber eine, die man nicht wieder so schnell wegschieben kann. Wir fordern mit unseren Gärten ja auch öffentliche Räume ein, die nicht immer den Investoren überlassen werden sollen. Stellen Sie sich mal vor, was hier los wäre, wenn jetzt nach den ganzen Jahren jemand käme und den Wuhlegarten wegwälzen wollte! Das traut sich niemand mehr.

Können Gemeinschaftsgärten denn einen Beitrag für eine partizipative Stadtentwicklung leisten?

Auf alle Fälle. Nehmen wir noch mal den Wuhlegarten. Als wir den im Rathaus Köpenick geplant haben, saß da plötzlich die Ausländerbeauftragte mit Vertretern des Grünflächenamts und des Arbeitsamts zusammen an einem Tisch - Ämter, die sonst nichts miteinander zu tun haben. Dazu kamen die Aktiven der Lokalen Agenda 21 und die verschiedensten Vereine und Verbände. Da gab es keinen "top down"- oder "bottom up"-Ansatz. Da gab es nur den gemeinsamen, großen runden Tisch. Innerhalb eines halben Jahres war der Garten eröffnet. Und zum ersten Gartenfest kamen schon dreihundert Leute. So entwickelt man Projekte!

Ihr neuestes Projekt ist das "Allmende-Kontor", ein Gemeinschaftsgarten auf dem Tempelhofer Feld. Hoffen Sie auch hier: Was blüht, bleibt?

Das ist keine Hoffnung, das wäre mir zu passiv. Wir haben jetzt seit Samstag diese Pionierfläche - genau dort, wo später mal Häuser als Randbebauung stehen sollen. Mein Wunsch aber wäre die heutige Weite zu erhalten und nicht zuzubauen. Das Bedürfnis nach solch einer freien Flächen, nach Freiheit in der Stadt, das ist so was von existenziell, das haben andere auch.

Der Senat hat aber längst seine Bebauungspläne.

Und wir haben jetzt drei Jahre die Chance, parallel zu den Planungen etwas zu entwickeln, mit relativ wenig Vorschriften. Wenn wir das gut machen, wird man das Resultat nicht übersehen können.

Und irgendwann wird das Tempelhofer Feld ein riesiger Gemeinschaftsgarten?

Natürlich nicht. Es gibt ja auch noch andere Lebensbereiche: Kunst, Kultur, Sport zum Beispiel. Ich bin ja auch nicht ausschließlich Gärtnerin in der Stadt.

Haben Sie denn eine andere Vision?

Mein Traum wäre ja, viel Wasser auf das Feld zu bekommen. Vielleicht kennen Sie diesen Vorschlag, den mit dem großen See mit einer Insel in der Mitte? Das wäre toll, aber das würde aktuell natürlich nie genehmigt werden. Auch wenn ich immer dafür bin, sich etwas zu trauen.

Muss man als Gärtnerin eigentlich eine grüne Bürgermeisterin wählen?

Das kommt drauf an, welche Politik eine grüne Bürgermeisterin machen würde. Das ist mir bisher noch nicht ganz klar. Für mich wird bei den Wahlen entscheidend sein, wie Politiker mit Freiflächen umgehen. Und dazu zählt dann auch der Umgang mit dem Weiterbau der A100.

Wo sehen Sie die Zukunft der Stadtgärten in Berlin?

Das Modell Bürgergarten wird zunehmen, egal ob auf freien Flächen oder auf Dächern. Diese öffentlichen Räume von vornherein mitzudenken, sollte Aufgabe von Architekten und Bauplanern sein. Davon wollen wir sie mit viel Reden und guten Beispielen überzeugen.

Gehört dazu auch das Guerilla-Gardening, das klandestine Verstreuen von Pflanzensamen in der Stadt?

Die gesamte Gartenbewegung ist doch eigentlich eine Guerillabewegung. Weil wir von bestehenden Strukturen absehen und Neues sprießen lassen, wortwörtlich. Ich ziehe dafür aber nicht nachts mit der Kapuze los und verstreue Samen. Das wäre mir zu schade, wenn ich mich nachher nicht darum kümmern kann.

Haben Sie als gebürtige Spreewälderin eigentlich den Wunsch, irgendwann wieder raus ins Grüne zu ziehen?

Nein. Ich liebe den Spreewald, aber jetzt zurück in ein Bauernhäuschen, das wäre mir finanziell nicht möglich. Ich will in der Stadt alt werden - mit einer großen, grünen Wiese vor der Tür. Dazu ein kleines Kaffeehaus und eine Bibliothek mit allen Tageszeitungen. Und dann den ganzen Tag draußen lesen, quer durch den Blätterwald, und mit jungen Leuten und alten Menschen darüber reden. Und natürlich auch ein bisschen gärtnern. Das ist meine Lieblingsvorstellung vom Altwerden in der Stadt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.